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Titel: Tasso in Ferrara
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 1 und 2, 3, 4, 6, S. 5–8, 11–12, 15–16, 23–24
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[5]
Tasso in Ferrara.

Wenn den Wogen des sturmbewegten Meeres gleich die Bewegungen der Gegenwart unserm Blick so schnell sich wieder entziehen, als sie gekommen sind, und daher immer so viele verschiedene, gleich richtige und gleich unrichtige Urtheile zulassen, als verschiedene Standpuncte für den Beobachter möglich sind: so bildet die Einwirkung der Vergangenheit mitten in diesem Wechsel ein stehendes unwandelbares Element, das auch von den verschiedensten Standpuncten aus betrachtet, sofern es nicht verkannt wird, nur ein Urtheil erlaubt, und dem vorurtheilsfreien Forscher stets sichern Erfolg verspricht. Nur das Urtheil über Erscheinungen der Vergangenheit ist es daher auch, welches als Prüfstein für die Gesinnung und Ansicht des Beurtheilers dienen und die Gewähr leisten kann für seine Befugniß, über die Gegenwart zu urtheilen. Auch in diesen Blättern, welche ausschließlich den Interessen und vorzugsweise den Erscheinungen der Gegenwart gewidmet sind, soll deshalb die Vergangenheit nicht ausgeschlossen werden; am wenigsten jene Geister derselben, – die Dichter – welche in ewiger Jugendschönheit durch alle Zeiten uns entgegen glänzen. Dieß zur Bevorwortung des folgenden Aufsatzes, mit welchem wir einen stehenden Artikel „des Auslandes“, eine Bildergallerie der ausgezeichnetsten Dichter desselben eröffnen.

Wenn der Fremde die öden Straßen von Ferrara durchwandert hat und, seine Guida in der Hand, das Hospital Santa-Anna betritt, so wird er in ein schmutziges Gemach geführt, welches neun Schritte lang, sechs breit und sieben Schuh hoch ist, und außer den nackten Wänden nicht das geringste Sehenswürdige darbietet. Ueber der Thür liest er, vielleicht schon im Begriff, unwillig diesen unsaubern Ort zu verlassen, eine Inschrift:

Rispettate, o Posteri, la celebrità di questa stanza, dove Torquato Tasso, infermo più di tristezza che delirio, ditenuto dimorò anni VII mesi II, scrisse verse e prose, e fu rimesso in libertà ad instanza della città di Bergamo, nel giorno VI Luglio MDLXXXVJ.

[6] Ueberrascht und gedankenvoll kehrt er zurück, betrachtet noch einmal genauer die Wände des Kerkers und hört, – nach einem Schwall von Redensarten zum Lobe Tasso’s und zum Ruhme des Hauses Este und des alten Glanzes von Ferrara, aus denen er abnimmt, daß man dem Sänger der Gierusalemma liberta und des Aminta hier eine Gelegenheit habe geben wollen, Betrachtungen über Fürstengunst und Höflingstreue zu machen, – zum Schluß: die fehlende Hälfte der Thür, gleich der ganzen Bettstelle, deren der gran Poeta sich bedient habe, sey zwar durch den Enthusiasmus der Herrn Reisenden bereits davongetragen und deshalb streng verboten worden, diesem übeln Beispiel zum Ruin des Spitals zu folgen; doch könne aus besonderer Rücksicht eine Ausnahme gemacht und gegen einige Erkenntlichkeit noch ein Theil von dem Rest der Thür zum Andenken abgelassen werden.

Die Inschrift, welche zur Zeit der französischen Occupation auf Veranlassung des Generals Miollis gesetzt wurde, enthält ungefähr eben so viele Unrichtigkeiten, als Zeilen; doch möchten wir darum die Sage, welche dem großen Tasso diese elende Zelle zum Aufenthalt anweist, keineswegs unbedingt verwerfen. Daß die Zelle eines der Gefängnisse des Hospitals war, ist so gewiß, als daß Tasso in einem derselben als Wahnsinniger verwahrt wurde; und dieß möchte doch zuletzt wohl noch das Wesentlichste und Merkwürdigste an der Sache bleiben.

Offenbare Uebertreibung zu Gunsten des Kerkers ist es, wenn die Inschrift versichert: Tasso habe in demselben sieben Jahre gesessen und Verse und Prosa geschrieben. Er wurde in seinem ersten Gefängniß nur von Mitte März 1579 bis in den December 1580 gehalten und darauf durch die Gunst seines Kerkermeisters, wie er sich selbst ausdrückt, in ein „viel bequemeres Gemach“ gebracht, welches indeß den Wunsch in ihm nicht ausschloß, zu demselben noch ein anstoßendes größeres Zimmer zu erhalten, „damit er auf und nieder gehend philosophiren könne.“ Diese Bitte wurde ihm, wie es scheint, gewährt; wie überhaupt seine Gefangenschaft, als ganz Italien sich für seinen Dichter zu interessiren anfing und den Fürsten mit Bitten um seine Befreiung bestürmte, allmälig milder wurde.

Daß Tasso in der ersten Zeit nach seiner unerwarteten Verhaftung eben nicht gestimmt seyn konnte, „Verse und Prosa“[1] zu schreiben, bedarf für den, der sich je in einer ähnlichen Lage befunden hat, wohl kaum einer Erklärung. In einem Briefe an seinen Freund Scipione Gonzaga, den er schrieb, nachdem er aus seiner anfänglichen starren Betäubung zu dem vollen Bewußtsein seines Unglücks erwacht war, klagte er: „O mir Armen! Ich hatte mir vorgenommen, außer zwei epischen Gedichten von dem erhabensten und würdigsten Stoff vier Tragödien zu schreiben, von denen ich den Plan bereits entworfen hatte, und viele Werke in Prosa über die schönsten und nützlichsten Gegenstände, in denen ich die Philosophie mit der Beredsamkeit auf eine Weise vereinigen wollte, daß von mir ewiges Gedächtniß in der Welt geblieben wäre; und so hatte ich mir das ehrenvollste und ruhmhafteste Ziel vorgesetzt. Aber jetzt unter dem Druck eines solchen Unglücks habe ich jeden Gedanken an Ruhm und Ehre aufgegeben, und ich würde sehr glücklich seyn, wenn ich mir nur ohne Verdacht den Durst stillen könnte, den ich beständig leide, und wenn ich gleich einem jener gewöhnlichen Menschen mein Leben in der ärmsten Herberge in Freiheit, und, wenn nicht gesund, was ich nicht mehr werden kann, doch nicht in diesem kummervollen Zustande zubringen dürfte; wenn nicht geehrt, wenigstens doch nicht verabscheut; wenn nicht mit den Rechten des Menschen, doch mit denen der Thiere wenigstens, die in den Flüssen und Quellen frei ihren Durst stillen, von welchem – und ich muß es wohl wiederholen – ich ganz entbrannt bin. Dennoch fürchte ich nicht so sehr die Größe des Uebels, als die Fortdauer, die schrecklich vor meinen Gedanken steht; zumal da ich fühle, daß ich in solcher Lage unfähig bin, etwas zu schreiben, oder zu thun. Und wie die Furcht beständiger Gefangenschaft, so vermehrt auch die Unwürdigkeit, die ich dulden muß, meine Betrübniß; und die Verwirrung meines Bartes und meiner Haare und meiner Kleider und der Schmutz und Unflath sind mir zum Abscheu. Ueber alles aber fällt mir die Einsamkeit schwer meine grausame und natürliche Feindin, von der ich auch in bessern Umständen zuweilen so belästigt wurde, daß ich zur ungelegensten Zeit ausging und mir Gesellschaft suchte.“[2]

Auch daß Tasso auf Verwendung der Stadt Bergamo seine Freiheit erhalten habe, wie die Inschrift uns belehrt ist eine Unrichtigkeit. Die Gesandten von Bergamo erhielten nur das Versprechen seiner Befreiung aus dem Kerker, wie dasselbe alle Andern erhalten hatten, die sich seit Jahren für Tasso verwandten; aber erfolgt wäre dieselbe wohl schwerlich eher, als mit der Befreiung aus dem Leben, wenn es nicht den unausgesetzten Bemühungen seiner Freunde, besonders des guten Mönchs Angelo Grillo und des Secretärs der Gesandschaft von Toscana, Antonio Costantini, gelungen wäre, einige Glieder der eigenen Familie des Fürsten für den unglücklichen Dichter zu gewinnen; und wenn zuletzt nicht Don Vincenzo Gonzaga, der Erbprinz von Mantova und Schwager Alfonsos sich mit seiner Ehre verbürgt hätte, daß Tasso nichts gegen das Haus Este schreiben oder unternehmen und Mantova nicht ohne besondere Erlaubniß verlassen würde.[3]

[7]

Und Tasso ist ihr Ruhm und ihre Schmach;
Hör’ seinem Lied und dann schau, wo er wohnte,

Und sieh’, wie herb Torquato Lorbeern brach,
Und wie Alfonso seinem Sänger lohnte!
Dem elenden Tyrann, der in Ferrara thronte,

War doch zu mächtig der gekränkte Muth,
Den Wahnsinn selbst, der ihn umgab, verschonte!

rief Byron aus, als er den Staub Ferrara’s von seinen Füßen schüttelte.[4] Aber wie Wenige von den Tausenden, die Tasso’s Kerker sahen, haben den edeln Unwillen des Briten getheilt? Die große Masse der Reisenden, welche das schöne Italien jährlich heimsucht – um in den Italienern das Gedächtniß an die Barbaren lebendig zu erhalten, die im Alterthum ihr Vaterland so oft überschwemmten – was denkt sie sich wohl anderes bei dem Anblick dieser Mauern, wenn sie sich überhaupt etwas denkt, als etwa: Glücklich, daß wir wenigstens keine Genies sind! Wer weiß, ob wir nicht auch zuletzt im Narrenhause unsere Laufbahn beschlossen hätten? wohin eigentlich dergleichen unruhige Köpfe, die sich in die Formen der gebildeten Gesellschaft nicht zu schicken wissen, insgesammt gehören.

Aber wie, hatte Byron auch Recht, als er sich so unbedingt auf die Seite des Dichters stellte, und den Fluch aussprach über den Fürsten, unter dessen Schutz sich doch zuerst sein poetisches Talent entwickelt hatte?

Wir schlagen die gleichzeitigen Geschichten von Ferrara auf. Von einer ganzen Reihe erwähnt nur die des Faustini der Gefangenschaft des Tasso, und diese giebt in der That einen sonderbaren Grund für dieselbe an: „Der Herzog Alfonso II. ließ ihn einsperren, um ihn von einer Fistel zu heilen, an der er litt.“[5] Der Marchese Manso della Villa, welcher der persönliche Freund Tasso’s in seinen spätern Lebensjahren war und seine Biographie schrieb, verbreitet – statt der Aufklärung, die man von ihm erwarten sollte – über diese Periode seines Lebens nur Dunkelheit und Verwirrung.

Die spätern italienischen Schriftsteller, welche Tasso’s Gefängniß berühren, sprechen mit einer Vorsicht von demselben, die nicht selten lächerlich wird. So berichtet uns Muratori in seiner Geschichte des Hauses Este (Antichità estense Part. II. Cap. 13.) von einem geräumigen Gemach, das Alfonsos Gunst dem Dichter angewiesen habe, weil er ihn zu sehr liebte und achtete, um ihn von sich zu entfernen. Und Tiraboschi, in seiner italienischen Literaturgeschichte (tom. VII. p. III. p. 1213) erzählt: „Der Fürst habe geglaubt, daß bei dem aufgeregten Geisteszustande Tasso’s nichts nützlicher für seine Ehre und sein Wohl seyn könne, als ihn, nicht gefangen, aber unter guter Aufsicht zu halten, – zugleich sorgte er, durch Heilmittel sein Gemüth und seine Phantasie zu beruhigen. Aber Alles, was Alfonso zum Vortheil Tasso’s that, diente nur dazu, seinen Zustand immer mehr zu verschlimmern, – er glaubte sich im Gefängniß.“

Ja wohl glaubte er sich im Gefängniß; und fürwahr der Irrthum war ihm zu verzeihen, da halb Italien sich in Bewegung setzen mußte, ehe seine Befreiung erhalten wurde. Aber freilich hatte er Unrecht; denn schwang nicht sein Geist, den der Tyrann in den Mauern seines Kerkers verschlossen zu haben meinte, auf den Schwingen göttlicher Lieder und Sonette in lichthelle Himmelsräume sich empor? und durchflog sein Ruhm nicht frei alle Länder von den Küsten, die das Mittelmeer umspühlt, bis zu den Gestaden, an welche die stürmischen Wogen der Nordsee schlagen?

Aus altadelischem Stamm entsprossen, von welchem ein Zweig aus dem heimatlichen Thale von Bergamo nach Deutschland verpflanzt zu fürstlichen Ehren erblühen sollte,[6] von seinem edeln Vater Bernardo Tasso in frühester Jugend – in der großen Schule des Unglücks – zu allen Wissenschaften, die den Geist bilden, und den Sitten, die ihn veredeln, erzogen, hatte Torquato Tasso bereits als Jüngling neben dem zartesten Gefühl für Freundschaft, Liebe und alles Schöne jenen Stolz und Rechtsinn gezeigt, der, nur durch das Glück zu erweichen, durch die Schläge des Unglücks, wie Stahl durch die Schläge des Hammers, immer starrer, und gediegener verhärtet wird. Ein Heldengedicht, Rinaldo, [8] auf der Universität zu Padova, in den dem Studium der Rechte entzogenen Stunden entworfen, hatte ihm noch vor seinem achtzehnten Jahre bei seinen Freunden den Namen eines Dichters, von seinem Vater die Erlaubniß, nach freier Neigung sich seinen Beruf zu erwählen, und von dem Legaten von Bologna, der die gesunkene Universität wieder in Aufnahme zu bringen wünschte, eine Einladung erworben, unter dem persönlichen Schutze desselben seine Studien in Bologna fortzusetzen.

[11] Während der Zeit, die Tasso in Bologna zubrachte, ereignete sich ein Vorfall, der an sich unbedeutend, dennoch für ihn gleichsam ein Vorobte der Schicksale war, die ihn sein ganzes Leben hindurch verfolgen sollten. Es waren gegen mehrere namhafte Personen der Stadt Schmähgedichte in Umlauf, ohne daß dadurch ein Einschreiten gegen die Verfasser derselben veranlaßt worden wäre. Eines Tages beging auch Tasso die Unvorsichtigkeit, in einer Gesellschaft von Freunden ein Fragment aus einem dieser Gedichte zu recitiren. Zwar war er selbst in demselben nicht verschont; aber man hatte es von keinem Andern bisher erwähnen gehört; Tasso war als Dichter bekannt, und dieß schien genug, ihn für den Verfasser dieses Pasquills zu erklären. Die Beleidigten, die zu den ersten Personen von Bologna gehörten, machten eine Klage gegen ihn anhängig, und es wurde sogleich der Befehl gegeben, sich seiner Person und Papiere zu bemächtigen. Zufällig war er selbst abwesend, als die Sbirren seine Wohnung erbrachen und seine Schriften in Beschlag nahmen. Aus diesen ging seine Unschuld klar genug [12] hervor, da sich nicht die geringste Andeutung einer Satire unter denselben befand. Tasso, der daher für seine Freiheit nichts zu befürchten hatte, wurde indeß durch das tumultuarische Verfahren, welches man gegen ihn beobachtet hatte, so entrüstet, daß er Bologna verließ und von Castelvetro aus, wohin er sich zurückzog – einer Besitzung seiner väterlichen Freunde der Herren von Rangoni – einen Brief voll der bittersten Vorwürfe an den Vicelegaten von Bologna, seinen bisherigen Gönner, richtete: „Ich wünsche zu wissen,“ sagt er darin unter anderem, „von welchen Gesetzen man diese Art Gerechtigkeit entnimmt, von welchen Doktoren sie gelehrt, von welchen Richtern angewandt, in welchen Landen geübt wird? – Mir scheint es doch, daß, wenn man gegen Andere Rücksichten nimmt, man dieselben Rücksichten auch gegen mich beobachten müsse, da ich Edelmann bin und einige Eigenschaften besitze, die vielleicht nicht völlig verachtet zu werden verdienen, und überdieß unter dem Schutz Sr. Excellenz, des Herzogs von Urbino, stehe; wovon das eine mich meinen Verfolgern gleichstellt, so daß man weniger ihr Verlangen und ihre ungezähmte Wuth, als meine Unschuld hätte berücksichtigen sollen, während die beiden andern Umstände, oder vielmehr der letzte allein von solchem Gewicht ist, daß selbst, wenn ich schuldig gewesen wäre, (was sich indessen niemals finden wird), entweder gar nicht, oder doch mit mehr Mäßigung gegen mich hätte verfahren werden sollen.“[7]

Sonderbar ist es, daß dieser Vorfall, wie er zuerst jene Reizbarkeit des Rechtsgefühles zeigt, welche wir als die wahre Quelle aller der traurigen Schicksale betrachten müssen, die Tasso bevorstanden, zugleich die erste Gelegenheit zur Anknüpfung jenes Verhältnisses zu dem Hause Este darbot, welches der Mittelpunkt werden sollte, um den die ganze Zukunft des Dichters sich bewegte. Auf einer Ferienreise von Padova, wohin er zurückgekehrt war, zu seinem Vater nach Mantova, wurde er in Ferrara von dem Grafen Fulvio Rangoni bei Hofe vorgestellt und erhielt das Versprechen, daß in Kurzem von demselben für ihn gesorgt werden sollte. Dieser Zusage folgte in wenigen Monaten die Einladung, in das Gefolge des Kardinals Luigi da Este zu treten, dem er auf den Wunsch seines Vaters seinen Rinaldo gewidmet hatte.

Am 31. October 1565 kam Tasso, ein einundzwanzigjähriger Jüngling, in Ferrara an. Die breiten symmetrischen Straßen, welche jetzt, einem verlassenen Zauberpalaste in den Wüsten des Orients gleich – als ob der Fluch des rächenden Schicksals auf sie gefallen wäre – verödet da liegen, schienen ein unermeßliches, gedrängtes, glänzendes Theater durch die Zurüstungen zum festlichen Empfange – nicht Tasso’s, sondern der Erzherzogin Barbara von Oesterreich, mit welcher der ältere Bruder des Kardinals, der Herzog Alfonso II, sich zu vermählen im Begriff stand. Die Hoffnungen, die der feurige Jüngling in dem glühenden, träumenden Herzen trug, gingen schneller in Erfüllung, als seine kühnste Erwartung es hätte ahnen dürfen. Aber die Hofgunst, in deren Schwüle so manches schöne Talent verwelkte, schien das seinige, durch den Talisman des Genius geschützt, nur früher zur Reife zu bringen.

Das ist das wahre Geheimniß der Dichterbrust, was – so oft es auch der Sänger ausschwatzt – doch nie von der kalten Menschenmenge gefaßt werden wird, und daher auch verrathen stets sicher genug verwahrt bleibt: die dunkeln Erscheinungen der Welt, die nach Platon’s schöner Allegorie nur die Schatten sind, welche Geister auf die Erde werfen, verwandeln dem Dichter sich in jene durchsichtigen himmlischen Körper, deren ätherische Form in ungetrübter Klarheit die göttliche Idee darstellt, welche die Seele derselben ist.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum,
Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;
Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,
Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:
Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüth,
Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.
Oft adelt er, was uns gemein erscheint,
Und das Geschätzte wird vor ihm zu Nichts.
In diesem eignen Zauberkreise wandelt
Der wunderbare Mann und zieht uns an,
Mit ihm zu wandeln, Theil an ihm zu nehmen:
Er scheint sich uns zu nah’n und bleibt uns ferne;
Er scheint uns anzuseh’n und Geister mögen
An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

Dieß schöne Wort, das Göthe über den Dichter spricht, erklärt uns die Stellung, in der dieser nothwendig sich Ferrara befinden mußte. Wunderbar bleibt es nur, daß Göthe, nachdem er die Auflösung des Räthsels gefunden hatte, dennoch dasselbe – sey es uns erlaubt, unsere Ansicht der Meinung des hoch geehrten Dichtergreises gegenüberzustellen – auf eine Weise gedeutet hat, welche wir für irrig halten müssen.

[15] Tasso, unfähig, das Leben als mechanische Bewegung zwischen konventionellen Formen zu fassen, konnte sich nur in persönliche Verhältnisse denken, in denen der Geist dem Geiste gleich frei, gleich edel, gleich berechtigt gegenübersteht. Unbefangen, wie die Hirten des romantischen Arcadiens, von dem die Dichter jener Zeit erzählten und sangen, trat er vor die fürstlichen Schwestern, Lucrezia und Leonora, bei denen sein Gönner, der Kardinal, ihn einführte. Die hohe Gestalt, die kräftigen Züge, der schnell aufleuchtende siegende Blick des glänzenden grauen Auges unter der hohen Stirn[8] empfahlen den arglosen Jüngling [16] vielleicht nicht weniger, als der Dichterruhm, der ihm voranging, der Geist, der aus seinen Worten sprach, und die Seele, das tiefe, liebevolle Gemüth, welches in süßen Klängen seine Lieder hauchten. Zwar war Lucrezia bereits ein und dreißig, Leonora dreißig Jahre alt, als Tasso beide sah; aber in Italien, wo die weibliche Schönheit früher erblüht, als in unserm Norden, scheint dieselbe, durch eine seltene Gabe des Himmels, zugleich auch dauernder zu seyn: nicht selten begegnet man Frauen, die mit vierzigen noch schön genannt zu werden verdienen, und neben der Tochter reizt oft nicht weniger die Mutter. Mehrere Dichter dieser Zeit preisen die Schönheit und Anmuth der Prinzessinnen; und der Erbprinz von Urbino, dem die ältere von seinem Vater zur Gemahlin bestimmt wurde, stand von seiner Weigerung ab, sobald er sie gesehen hatte. Auch auf Tasso, dessen glühende Seele jeden Gegenstand, den sie berührte, mit Liebe umfaßte, machten die schönen Schwestern einen Eindruck, dessen Wahrheit der scharfe weibliche Blick leicht von dem erheuchelten bei ihrem gewöhnlichen Höflingen unterscheiden mußte.

Daß dieß Gefühl, wenn auch Liebe, doch nicht jenes leidenschaftliche Streben nach dem Besitz eines Gegenstandes war, das man gewöhnlich Liebe nennt, würde von Niemand bezweifelt worden seyn, wenn reine Neigung nicht eben so selten wäre, als eine reine Seele. Die wahre Liebe ist nur Erkenntniß der geistigen Schönheit in der Hülle der schönen äußern Form, nur geistige Vermählung ist ihr Streben; und arm müßte der Geist seyn, der auf der ganzen weiten schönen Welt nur Ein Wesen als schön erkennen, nur mit Einer Seele die Vereinigung der seinigen wünschen sollte. Ob zu der geistigen Liebe auch die sinnliche treten soll, die viel öfter jene als fremdartiges Schmarotzergewächs zerstört, als daß sie – der Zauberrose gleich, die aus der Lilie erblühte, – aus derselben hervorginge, hängt von zufälligen Umständen ab, die zwar nicht immer in der Gewalt des Menschen stehen, aber auch nie über ihn jene unwiderstehliche Gewalt üben, die man aus Läßigkeit so gern sich einbildet. Warum sollen wir Tasso nicht glauben, wenn er in einem Lied an Leonore singt:

Und als vor meinem Aug’ am ersten Tag
Die schöne Heitre deiner Stirn erschienen,
Und Liebe sich in Waffen glänzend wies;
Bezähmte da nicht Ehrfurcht mein Erkühnen,
Schuf Staunen nicht die Brust in kalten Kies,
Gewiß, daß ich zweifachem Tod’ erlag;
Doch auch der Stein, als er die Wirkung fühlte
Der Strahlen und der Gluth in sich, erschrak.[9]

Schon der Umstand, daß Tasso seine Neigung zwischen beiden Prinzessinnen so gleichmäßig theilte, als sie von beiden gleichmäßig, wenn nicht erwiedert, doch geduldet und begünstigt wurde, hätte als Beweis gelten sollen, daß diese Liebe zu keiner von beiden einen sinnlichen Charakter trug. Außerdem war Leonora, auf welche ihre klösterliche Erziehung tiefern Einfluß zurückgelassen zu haben schien, als auf ihre Schwester, fast beständig krank und Lucrezia nach einigen Jahren durch ihre Vermählung mit dem Prinzen von Urbino, von Ferrara entfernt. – Wenn wir dennoch finden, daß sich vielleicht schon bei dem Leben der Prinzessin und in Ferrara selbst die Sage verbreitete, daß Tasso mit Leonora in einem geheimen Liebesverständniß gestanden; so wird dieß nur dadurch erklärt, daß der Dichter, nach der Entfernung der ältern Schwester seine Bemühungen verdoppelte, sich die Gunst der jüngern zu erhalten, welche, wie sie überhaupt zurückgezogener war, so auch gegen ihn kälter gewesen zu seyn scheint; und daß man nach jener Entfernung Lucrezia’s Tasso’s früheres Verhältniß zu ihr allmälig aus dem Gesicht verlor.

Zur Beglaubigung der Sage in spätern Zeiten, wo dieselbe fast allgemein verbreitet war, trug wahrscheinlich am meisten die Mühe bei, die sich der Hof von Ferrara gab, jede Anspielung darauf zu unterdrücken; wodurch die Sache natürlich nur an Wichtigkeit gewann. So wurde ein Roman, in dem Girolamo Brusone die Liebe Tasso’s mit der Prinzessin Leonora von Este kleidete, auf die Verwendung des Hauses Este streng verboten und der größte Theil der Auflage in Venedig mit Beschlag belegt; die einzige Folge davon war, daß das Buch um so begieriger gesucht und sein Inhalt um so fester geglaubt wurde.[10]

[23] Wie so oft die schönsten Gemählde alter Meister das Loos gehabt haben, schlechten Farbenmischern in die Hände zu fallen, welche dieselben, in der Meinung sie zu verbessern, überpinselten und verderbten; auf ähnliche Weise ist es auch oft den Sternbildern großer Geister ergangen, die aus der dunkeln Nacht der Vergangenheit uns entgegenleuchten. Aber möge diese Entstellung auch das Werk von Jahrhunderten seyn; so darf den, dessen Blick die ursprünglichen Züge einmal unter derselben durchschimmern gesehen hat, keine unzeitige Bedenklichkeit zurückhalten, sie von dem Firniß oder Farbenschmutz zu reinigen, mit dem sie überdeckt sind.

Tasso liebte Lucrezia, er liebte Leonora; aber er liebte sie, wie der Dichter, dessen größtes und schönstes Gedicht zugleich sein größtes und schönstes Liebeslied ist, alles Schönes lieben mußte, das in Natur und Menschenwelt ihm begegnete. Wie Virgilius von den Alten, so verdient nur Tasso von den Neueren der jungfräuliche Dichter genannt zu werden. Jede Zeile aus seinem Leben athmet die süßeste Liebesgluth; selbst in der Gerusalemma, wo seine Muse geharnischt auftritt von Kopf bis zu Fuß, ist dennoch Liebe die Seele, die unter dem aufgeschlagenen Visier aus den trotzigen, stolzen, schönen Zügen spricht.

Aber selten zeigt sich eine Spur jener wildlodernden verzehrenden Flamme der Leidenschaft, in die sinnliche Liebe ausbricht, sobald sie auf Hindernisse stößt, die ihrer Befriedigung in den Weg treten. Daß niemals seiner geistigen Gluth irdische Elemente sich beigemischt hätten; wer dürfte dieß behaupten, ohne ihn den Reihen der Sterblichen zu entrücken? Aber wenn immer; so war es doch gewiß keine der Fürstinnen in die er entbrannt war.

Der Polarstern, um den – wie es scheint – der Himmel aller Poeten von Ferrara sich drehte, war Lucrezia Bendedio, ein schönes Hoffräulein, dessen Namen jedoch wahrscheinlich zugleich mit aller seiner Schönheit der ewigen Nacht der Vergessenheit anheimgefallen wäre; wenn nicht auch Tasso ihm gehuldigt, wenn seine Lieder ihm nicht ewige Jugend verliehen hätten.

Die erste Stufe der Liebe ist Bewunderung der Schönheit und Anmuth, die aber eher mit ehrerbietiger Scheue in der Entfernung halten, als zur Annäherung drängen wird. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß Tasso in seinem Verhältniß zu den Fürstinnen je diese erste Stufe überstiegen habe; und seine Gedichte, welche ihre liebenswürdigen Eigenschaften schildern, legen durch ihre stets sich gleich bleibende Wärme das unzweideutigste Zeugniß dafür ab. Unverkennbare Leidenschaft dagegen, wenn gleich in ihrem zartesten Ausdruck, ist der Inhalt der wenigen Zeilen die wir unter seinen Gedichten an Lucrezia Bendedio gerichtet finden; Sirene, redet er sie an:

Sirene, die als Göttin uns erschienen,
Lebst du im Meer um dich vergoßner Thränen,
dem – Strömen gleich – in nie erfülltem Sehnen,

Als Unterthanen meine Augen dienen.

Und jener Mund, der Zorn des Himmels sühnen
Durch süßen Wohllaut muß, wenn du die schönen
Rubinen öffnest, mich kann er nur höhnen,

Und, nah’ ich mich dir, strafen mein Erkühnen.

Die Seele, die durch Harmonie gebunden,
Entbrannt durch deiner heitern Sonne Strahlen,

In deren Schein kein Winter wird erfunden:

Wie soll sie dir, die arme, widerstehen?
Was bleibt ihr, als – da ewig ihre Qualen –

Sie minder hart zu strafen, dich zu flehen?[11]

Selten sind Dichter glücklich in ihren Neigungen. Wie die Israeliten vor Moses zurückwichen, als er mit leuchtendem Antlitz vom Sinai zu ihnen herabstieg; so treten die Menschen auch vor den Dichtern scheu zurück, sobald sie das Feuer der Begeisterung ahnen, mit welchem die Gottheit die ihr geweihten Gemüther heiligt. Semele ward von den Flammen verzehrt, als ihr der liebende Gott, den sie umarmte, in seiner wahren Gestalt erschien; auch des Dichters Busen trägt dieselben Flammen in sich.

[24] Tasso fand in seiner Liebe einen Nebenbuhler an Giambattista Pigna, dem Philosophen und Secretair des Herzogs, der zwar die schöne Lucrezia in ungleich schlechteren Versen besang, doch wahrscheinlich durch das Ansehen, dessen er bei Hofe genoß, besser empfohlen wurde, als Tasso durch seine Leider. Die Prinzessin Leonora, die von dieser Nebenbuhlerschaft Unfrieden und Störungen befürchten mochte, fand ein sonderbares Mittel, alle Parteien zu vereinigen: auf ihren Rath wechselte Tasso mit seinem Gegner die Waffen. Er überließ es diesem, seine Geliebte zu besingen und einen ganzen Band Gedichte zum Lobe derselben zu schreiben und übernahm es dagegen diese Poesien in philosophischen Abhandlungen zu erklären. Ob mit der Art, wie dieß geschah, der Verfasser zufrieden war, müssen wir dahin gestellt seyn lassen: von Eifersucht, wenn er zu dieser Leidenschaft geneigt war, wurde er gewiß nicht geheilt. „Wie die Sterblichen Gott erkennen – sagte Tasso in der Zueignung seiner Erläuterungen an die Prinzessin, – wie die Sterblichen Gott erkennen, nicht in dem reinen und einfachen Wesen der Gottheit – denn dazu wären sie unfähig – sondern in dem Meisterwerke ihrer Schöpfungen; oder, wie wir die Sonne betrachten, nicht in ihrem eigenen ursprünglichen Glanze, sondern in dem Abbilde, welches das Wasser von derselben zurückwirft; so habe auch ich beschlossen zu thun, nämlich Signora Lucrezia in ihren Werken zu bewundern und zu feiern. Von diesen, so mannigfaltig und rühmlich sie auch sind, läßt sich aber keines mit den Liebesgedichten vergleichen, – ich weiß kaum, ob ich sagen soll des Secretairs Pigna oder der Signora Lucrezia; denn wenn sie von dem Geiste des einen in das Licht gestellt sind, so ging dagegen von der andern die Lebenskraft aus, welche sie schuf. Signore Pigna muß mir verzeihen, wenn ich ihn dieser Ehre beraube; ich kann jene Gedichte indeß nicht anders, als Gedichte der Signora Lucrezia nennen; weil so viele und so mannigfaltige Poesien, in so kurzer Zeit, über so bedeutende verschiedenartige Gegenstände, mit so großer Kunstfertigkeit geschrieben, und dieß unter den Abhaltungen der wichtigsten Geschäfte und in der Vertiefung eines unausgesetzten Studiums, nicht sowohl Erzeugnisse der Kunst und Wissenschaft, als Schöpfungen und Werke der Liebe seyn können.“[12]


  1. Che oltre questa stanza, la qual per cortesia del Sig. Agostino m’ è stata data assai comoda, mi sia data l’altra che m’ è vicina, assai più ampia, ove possa filosofando passeggiare. Serassi, Vita di Torquato Tasso. In Roma, 1785. 4. pag. 307.
  2. Serassi, Vita di T. Tasso. pag. 284 sq.
  3. Neigebaur’s Handbuch für Reisende in Italien (Leipzig, 1820. 8. S. 300) wiederholt bei Ferrara, wie überall, redlich alle Fabeln, welche die italienischen Lohnbedienten von ihren Ortsmerkwürdigkeiten zu erzählen wissen. „In dem Sanct Annen-Hospital sieht man noch das Gefängniß, wo Tasso von seinem Gönner Alfons II. sieben Jahre als wahnsinnig eingesperrt wurde, weil er das Unglück gehabt hatte, die Schwester dieses Fürsten zu lieben. Er wurde 1586 auf Ansuchen der Stadt Bergamo befreit.“ Ein Seitenstück hiezu ist die schöne Geschichte von der Gemahlin Friedrich des Rothbarts in Mailand, die man, mit ähnlichen Curiositäten, in dem angeführten Werke selbst nachlesen mag. Für die Charakteristik des Ganzen, und um uns die Mühe zu ersparen, etwa künftig [7] noch einmal auf dasselbe zurückkommen zu müssen, ist hinreichend zu wissen, daß der Verfasser uns allen Ernstes versichert, es gebe in Italien keine Wälder, und daß die Devise seines Pfeifenkopfes: Sic transit gloria mundi! ihm zum Motto für seine scharfsinnigen Bemerkungen über Rom dienen muß. Das Erstere giebt einen Maaßstab für seine Kenntniß des Landes, das zweite für den Geist, mit dem er die Geschichte desselben auffaßt. Daß sein Werk indeß eine bedeutende Menge von zusammengetragenen Notizen enthält, wollen wir, um nicht ungerecht zu seyn, nicht in Abrede stellen.
  4. Byron’s Childe Harold, str. 36.


    And Tasso is their glory and their shame.
    Hark to his strain! and then survey his cell!
    And see how dearly earn’d Torquato fame,
    And where Alfonso bade his poet dwell:
    The miserable despot could not quell
    The insulted mind he sought to quench and blend
    With the surrounding maniacs – etc.

  5. Siehe bei Tiraboschi, storia della letteratura italiana, ed. Venez. 1796. 4. tom. VII. part. III. pag. 1210.
  6. Wenigen unserer Leser wird es bekannt seyn, daß das Haus der deutschen Fürsten von Thurn und Taxis ursprünglich eine Seitenlinie von den Grafen Tassi in Bergamo ist, von denen auch der große Torquato stammt; den diplomatischen Beweis davon giebt der Albero della Famiglia de’ Tassi, die der Graf Gio. Jac. Tasso im Jahre 1718 zu Bergamo herausgab. Die älteste Erwähnung derselben ist aus dem 12ten Jahrh., wo sie sich zu Herren des Thales Cornello am Brembo bei Bergamo machten. Um das Ende des 13ten (1290) wird Amadeo de Tassi del Cornello genannt, dem die Sage die Erfindung der Posten zuschreibt. Sein Urenkel war Paxio de Tassi, dessen jüngster Sohn Ruggiero am Hofe Friedrich des III. lebte und als der erste Stifter des Hauses Taxis in Deutschland betrachtet werden kann. Sein Sohn Francesco wurde von Maximilian I. mit dem Generalat aller Posten im deutschen Reiche belehnt, und da derselbe sich ohne Kinder fand, rief er drei seiner Neffen, Giambattista, Maffeo und Simone von Bergamo zu sich, denen er von Carl V. die Nationalisirung in allen Staaten der spanischen Monarchie und das erbliche Eigenthum der Posten in Flandern und Deutschland auswirkte, welches darauf von Giambattista, dem ältesten der Brüder von Lionardo, seinen ältesten Sohn, und von diesem auf seine Nachkommen – das noch heut blühende Fürstengeschlecht der Taxis [8] – überging. – Die erstgeborne Linie der Tassi blieb indeß in Bergamo, und Paxios ältester Sohn, Pietro, war der gemeinschaftliche Ahn von dem Grafen Gio Jacopo, von welchem die Grafen Tassi in Bergamo stammen und von Bernardo Tasso, dem Vater Torquatos:
    Paxio de Tassi.
    • Pietro.
      • Agostino, Stammvater der Grafen Tassi in Bergamo.
      • Giovanni.
        • Gabriele.
          • Bernardo.
            • Torquato Tasso.
    • Giovanni.
      • Giambattista.
        • Lionardo. Stammvater der Fürsten von Taxis.
      • Maffeo.
      • Simone.
    • Ruggero.
      • Francesco.
  7. S. Serassi, Vita di Tasso, pag. 116.
  8. Gio. Battista Manso, Vita del Tasso. p. 241. Torquato Tasso war von hoher Gestalt, so daß er unter den Menschen von ansehnlicher Leibesgröße zu den größten und zu den am verhältnißmäßigsten gebildeten gerechnet werden konnte. Seine Haut war sehr weiß, aber durch seine Studien und Nachtwachen, und darauf durch seine Unglücksfälle und Krankheiten etwas bleich geworden. Die Farbe seiner Haare und seines Bartes hielt die Mitte zwischen dem Braunen und Blonden, so daß die einen etwas mehr in’s Dunkle, die andern in’s Lichte spielten, beide aber waren fein, zart und schlicht. Sein Haupt war groß, und die Stirn wie der Hinterkopf erhoben, aber in der Mitte beider Schläfe eher eingedrückt, als rund. Die Stirn war breit und viereckig, und in der Mitte erhob sie sich gegen den Haarwuchs, dessen er später durch das Alter größtentheils beraubt wurde. Die Brauen waren in Bogen gespannt, schwarz, sparsam und von einander getrennt. Die Augen groß im Verhältniß zum Kopfe und rund, aber länglich nach den Winkeln zu; die Pupillen waren von mittlerer Größe und von blau-grauer lebhafter Farbe, wie sie von Homers der Pallas zugeschrieben werden; in Blick und Bewegung ernst und oft sich nach oben erhebend, als wenn sie der Richtung des Geistes folgten, der meist zu himmlischen Dingen erhoben war. Die Ohren mittelmäßig, die Wangen eher länglich, als rund, und sowohl von Natur mager, als durch Krankheit farblos. Die Nase groß und gegen den Mund geneigt, der gleichfalls groß und löwenartig war. Die Lippen dünn und blaß, die Zähne weiß, groß und dicht; die Stimme klar und hell tönend, und am Ende der Rede tiefer. Er war sehr gewandt in der Rede, sprach aber eher langsam, als schnell, und pflegte oft die letzten [16] Worte zu wiederholen. Er lachte selten, nicht laut und eben nicht angenehm. Sein Kinn war viereckt, der Bart dicht, und von einer Farbe, die – wie wir gesagt haben – dem Kastanienbraunen nahe kam. Sein Hals war lang und dick und hielt den Kopf erhoben; Brust und Schultern breit, die Arme lang, nervig und gewandt; die Hände ziemlich groß, aber zart und weich, und die Finger so, daß sie sich leicht nach oben bogen. Die Beine und Füße waren lang und von groben Verhältnissen, aber mehr nervig, als fleischig, und eben so war auch der ganze Rumpf, obwohl im Verhältniß zu der Größe vollkommen genug, mit wenig Fleisch bedeckt. Alle seine Gliedmaßen waren so gewandt, daß er in allen ritterlichen Uebungen große persönliche Tapferkeit zeigte, indem er im Fechten, Reiten und Turnieren vor Keinem zu weichen brauchte. Aber dennoch machte er alle diese Bewegungen mit mehr Geschicklichkeit als Anmuth; daher man bei ihm die natürliche Lebendigkeit in so hohem Grade vermißte, als ihm die geistige eigen war.
  9. E certo il primo di, che ’l bel sereno
    Della tua fronte agli occi miei s’ offerse,
    E vidi armato spaziarvi Amore,
    Se non che riverenza allor converse
    Emeraviglia in fredda selce il seno,
    Ivi peria con doppia morte il core:
    Ma parte degli strali e dell’ ardore
    Senti pur anco entro ’l gelato marmo.

  10. La Gondola a tre remi. Venez. 1662. 12.
  11. Sonett, aus einer handschriftl. Reimsammlung bei Serassi, Vita di Torquato Tasso, pag. 139:
    Tu, che’ n forma di Dea, vera Sirena,
    Nel mar di pianto di chi t’ama vivi etc.
  12. Serassi, vita di Tasso pag. 11?. S. im sechsten Band der großen Venet. Ausgabe von Tasso’s Werken, die Considerazioni sopra tre Canzoni di Gio. Batt. Pigna, intitolate le tre sorelle; nelle quali si tratia dell’ Amor Divino in paragone del lascivo.