Studien aus dem Leben/Wie schreibt man Briefe

Textdaten
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Autor: Hermann Heiberg
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Titel: Wie schreibt man Briefe?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 610–611
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Studien aus dem Leben.

Von Hermann Heiberg.
2.0 Wie schreibt man Briefe?
Und muß ich es Ihrer eigenen Beurtheilung überlassen, ob das vielleicht die Handlungsweise eines Ehrenmannes ist.
Mit vollkommenster Hochachtung etc.“ 

Nachdem ich den Schlußpassus dieses Briefes niedergeschrieben habe, kommt mir der thörichte Gegensatz zwischen Invektive und Ergebenheitsfloskel nicht einmal befremdlich vor. Gewohnheit stempelt selbst den größten Unsinn zu etwas Verständigem. Vielleicht sollte ursprünglich die Höflichkeit am Schlusse die Brücke zu einem friedlichen Ausgleiche bilden. Die eine Hand giebt einen Backenstreich, die andere streichelt. Vielleicht! Aber in den meisten Fällen denkt sich der kaufmännische Briefschreiber gar nichts bei seinem „Achtungsvoll“ und „Hochachtungsvoll“; höchstens unterscheidet er und setzt ein „Ergebenst“, um seinem Zorn Luft zu machen.

„Ich darf wohl erwarten, daß solche Unregelmäßigkeiten nicht wieder vorkommen.Ergebenst 
Mutzelheim u. Komp.“     

Die Doppelfirma spricht in der ersten Person! Kürze ist des Witzes Seele! Bei dem Versuche, diese Wahrheit in die Korrespondenz überzuleiten, ergeben sich mancherlei Geschmacklosigkeiten. Die Fortlassung von Worten wird als eine besondere Finesse angesehen. So: „Ihr Werthes habe empfangen und werde bedacht sein, den Auftrag für Sie auszuführen.“ Aber nicht die Kürze fordert zum Widerspruche heraus, nur das Motiv.

Derselbe Kaufherr, der aus Ersparniß fünf Zeilen schreibt, steht wohl eine Stunde an der Börse und – ahmt den so oft gescholtenen Frauen nach, die beim Nachmittagskaffee ihre Nebenmenschen aus Engeln zu Teufeln machen. Hierzu findet er genügende Muße.

Einer wirklich vornehmen Kürze, die aber der Wärme nicht entbehrt, befleißigt sich der Engländer. In dem „Dear sir“ und „Yours sincerely“ liegt: „Im Uebrigen bin ich dabei noch Dir gegenüber ein Mensch und nicht nur ein Geschöpf mit einer 1000 ₤-Notenseele.“

In der That ist die Durchführung des Grundsatzes: „In Geldsachen hört die Gemüthlichkeit auf,“ in der Praxis weder durchführbar noch weise. Die Menschen in ihren Beziehungen zu einander sind keine Nummerpersonen, wie in einem Aktienhotel. Rücksichtsvolle Formen geben sogar häufig die Weihe für eine dauernde Verbindung, für Ehrlichkeit in der Handhabung der Geschäfte und die Gewährung und Aufrechthaltung des Kredites.

Wie sehr die Gewohnheit Menschen beeinflußt, wie mechanisch Briefe abgefaßt werden, beweist eine kleine Geschichte, die fast unwahrscheinlich klingt, die ich aber erlebt habe.

Herr X. wurde von einerx seiner Kinder eilig zum Mittagbrot gerufen. Er kouvertirt rasch seinen eben vollendeten Brief und eilt ins Speisezimmer. Beim Braten wandern seine Gedanken ins Komptoir zurück, und es fällt ihm ein, daß er in der Eile vergessen hat, seine Firma zu unterzeichnen. Bevor er ein Schläfchen macht und die Zeitung liest, eilt er deßhalb nochmals ins Bureau zurück, öffnet den Brief und schreibt wörtlich Folgendes an den Schluß:

„Soeben bemerke ich, daß ich mich zu unterzeichnen vergaß. Entschuldigen Sie.‚Der Obige‚‘!“ 

Eine sehr bedeutende Rolle in der Privatkorrespondenz spielt die Entschuldigung wegen verspäteter Antwort. Diese füllt häufig die ganze erste Seite. Zudem seufzt das Briefpapier aller Herren Länder unter den: Herzlichen Grüßen und sonstigen Kratzfüßen am Schlusse.

Und dabei ist ein Gruß so nichtssagend! Lüften wir doch den Hut vor Menschen, deren Geburt uns in der Schöpfung der größte Mißgriff zu sein scheint. Ueberhaupt wimmelt die Privatkorrespondenz von schablonenhaften und unsinnigen Redensarten.

„Ich kam in Besitz Deiner lieben Zeilen“ heißt es, während Zeilen weder lieb noch böse sein können. Sie können nur so wirken.

Briefschreiben! Welche Kunst, und von wie Wenigen verstanden! Aber ein Brief ist gewissermaßen auch ein Kunstwerk, und deßhalb entfernen sich die Meisten von der schweren Grundbedingung aller Künste: von einfacher Natürlichkeit.

Ein Mensch, der schreibt, wie er spricht, bildet eine Ausnahme. Es soll immer etwas Besonderes sein. Der Geist wird erst zurecht geknetet, statt seine Flügel frei zu entfalten.

Die Anreden in den Briefen junger Mädchen können Hypochondern ein Lächeln entlocken: „Meine herzinnige Dora! Meine innigstgeliebte Nelly! Meine süße Amalie! Meine einzige, unvergleichliche Marie!“

In den Privatkorrespondenzen regiert die Phantasie die Feder, weniger das Nachdenken. Wo aber beide zusammenwirken, da giebt’s ein schönes Ganzes. Die Vorschriften in der Schule für den deutschen Aufsatz: Einleitung, Ausführung des Themas und Schluß sind der Originalität schlimmster Feind. Wie erfrischend wirkt es heutzutage, wenn Jemand ohne Anrede seinen Brief beginnt, gleich die Dinge an der Gurgel faßt und am Schluß nur sein Zeichen malt!

Freilich muß Anmuth der Form die Schablone der vielseitigen Betheuerungen ersetzen, denn allzu sehr hängen wir an dem, was ist. Auch das Briefschreiben hat seine Moden.

Im Rathhause zu Goslar liegen Originalbriefe deutscher Fürsten neben einander. Obgleich in verschiedenen Jahrhunderten geschrieben, zeigen diese in der Bildung der Buchstaben, in der Anwendung der Spatien und in der steifen Form der Abfassung die größte Verwandtschaft. Heute lächeln wir darüber. Aber wie wir über die Schöngeisterei der Weimarer Musenzeit häufig die Mundwinkel verziehen, so wird das nächste Jahrhundert auch über uns seine Glossen machen.

Ein gut geschriebener, warm abgefaßter Brief, zumal in deutlicher Handschrift, erscheint mir stets als ein besonderes Geschenk. Er wirkt wie ein Sonnenaufgang! Und er ist auch der Sonnenaufgang einer menschlichen Seele!

Unter den Briefschreibern sind die Ausnutzer des Briefpapiers die Würgengel unserer Augen und unserer Geduld. Sie packen ihren Koffer so voll, daß Alles verdirbt und nichts zu finden ist. Wenn ein Klein- und Schlechtschreiber wüßte, welche Qualen er über uns unverdient verhängt, er würde Mitleid haben.

Wie wirkt dagegen eine große, kräftige Handschrift! Sie erscheint mir wie eine wahre Kopie, wie das freie, unmittelbare Produkt des Geistes. Ich möchte, ohne ein Anhänger der Graphologie zu sein, glauben, daß Alexander von Humboldt als Mensch ein Pedant gewesen ist. Man sehe nur eines Bismarck’s Handschrift! Als ob irgendwo eine Tanne von einem Abhang gelöst und die Spitze in die Tinte getaucht sei!

„Der Brief wiegt doppelt!“ Welch ein furchtbares Wort für die meisten Menschen! Und doch ist die Zehnpfennig-Marke etwas so Verschwindendes gegen eine Reihe bewußter, thörichter Ausgaben! Kann man sich für eine so wichtige Sache nicht zu hellem Geist, genügender Zeit, gutem, starkem Papier und großer, deutlicher Handschrift aufraffen?

„Ich schreibe nächstens mehr und ausführlicher!“ heißt es. Nur nicht 20 Pfennig für einen Brief aufs mal! Bei Leibe nicht! Und welche Anstalten machen manche Briefschreiber, bis sie an die Sache gelangen! Als ob ein Turngerüst aufgerichtet würde, an dem sie Reckübungen machen sollten!

Was ist ein Brief? Was soll er sein? Ein schöner Abdruck unseres Geistes! Aber welche Kopien dieser unsichtbaren Materie producirt der Durchschnitt! Wie viel nützlicher würde es sein, einigen Krimskrams in der Schule weniger zu lernen, aber statt dessen die Kinder zu lehren, einen Brief in geordnetem Zusammenhange zu schreiben! Wie unverfälscht ist die Sprache der Kinder und wie leicht also, sie anzuleiten, das Natürliche hier auszubilden!

Ich kann es mir nicht versagen, hier den Brief eines sechsjährigen Kindes an eine mit allen Verhältnissen unbekannte Dame wiederzugeben:

„Liebe Tante! Ich bin jetzt einen Platz heraufgekommen. Wir haben so viele Kirschen im Garten. Die Uhr ist sieben. Erna mußte gestern nachsitzen. Wir waren heute am Goldfischteich, es war sehr schön. Gustav hat sein Messer verloren. Er hat es noch nicht wiedergefunden. Unsere Wohnstube wird tapezirt. Schreibe mir recht bald wieder. Jetzt weiß ich nichts mehr. Deine liebe Else.“

Im Grunde sagt die Kleine Alles, was ihr Interesse in Anspruch nimmt, mit kurzen, knappen Worten. Kein unnützes Anhängsel, mit dem die Erwachsenen sich gemeiniglich anlügen. Lange Sätze in Briefen – ganz besonders in Briefen – schädigen die gute Wirkung. Allzuviel Unkraut steht zwischen den Blumenbeeten!

Und nun das Kapitel von der Undeutlichkeit der Namensunterschrift. Es ist ein Mangel guter Erziehung, seinen Namen zu einem Mysterium zu machen, und eine Beschränktheit, die undeutliche Schnörkelei noch dazu schön zu finden. Das gilt auch unter Bekannten. Sodann ist das Ausstreichen eine sehr böse Unart. Ein Brief, in dem viel gestrichen ist, erscheint mir stets wie ein geflickter Rock. Ein so ärmlicher Geist hat ihn producirt. Wer den fehlerlosen Brief nicht im Original schreiben kann, der möge Kladde machen. Esprit und Formgewandtheit lassen sich nicht für 5 Silbergroschen im Krämerladen kaufen.

Es ist ein Vorrecht der Frauen, ihre Briefe zu parfümiren. Bei Männern würde dies abschreckend wirken. Wenn wir uns ehrlich fragen, erfüllt uns ein parfümirter Damenbrief mit einem gewissen Mißtrauen gegen die Briefschreiberin. Im Parfüm liegt überhaupt etwas Unwahres, Gesuchtes, und nur wenige Frauen verstehen hier, wie im Schnupftuch, jene weise Beschränkung, welche die vornehme Frau unterscheidet von einer – nun, von einer nicht vornehmen.

Aber nicht minder abstoßend wirkt ein von Tabaksrauch duftendes Schreiben. Es liegt ein Mangel natürlichster Rücksicht darin, daß der Briefschreiber die Pfeife nicht so lange aus dem Munde nehmen konnte, und das gilt immer für einen an eine Dame gerichteten Brief.

Wiederholt mangelhaft frankirte Briefe zu moniren, erscheint mir eine verletzende Kleinlichkeit. Ich frage Jeden, dem ’s mal passirt ist. Der [611] übliche Hinweis mit dem Wortlaut: „Ich will nur die Reichspost nicht bereichern und lediglich deßhalb mache ich aufmerksam,“ wirkt kläglich. Aber anders ist es um die Pflichten des Absenders. Er darf sich niemals dieses Irrthums schuldig machen.

Die Postkarten sind ein Stück rohesten Materialismus unserer Zeit. Ich las neulich folgende Sätze auf einer offenen Postkarte: „Daß Emil nun doch hat Konkurs erklären müssen, wirst Du schon vor Monaten gehört haben. Er ist schrecklich herunter, und zunächst haben wir Alle zusammengeschossen, um ihm über das Schlimmste fortzuhelfen. — Und dabei sonst noch so viel Herzensleid! Peter hat in eine Besserungs-Anstalt gebracht werden müssen. Ich fürchte, er ist ein vollkommener Taugenichts.“ U. s. w.

Die Manie, Briefe aufzubewahren, führt zu den schlimmsten Konsequenzen. Zu dem Platzmangel gesellt sich der Staub und allerlei Unbehagen, den Schatz zu hüten. Die endliche Bestattung durch Anfüllung von Kisten auf dem Hausboden giebt dem ewig lauernden Teufel „Feuer“ bei Gelegenheit die beste, und schließlich doch dem Papiermüller alleine Nahrung. Ein herrliches Gesetz ist es, Privatbriefe unmittelbar zu beantworten und sie zwischen die gegenseitigen Zeigefinger und Daumen der rechten und linken Hand zu nehmen. Wer aber einen Ofen hat, der gönne diesem das Papier. Vertrauliche Briefe lediglich zu zerreißen, statt zu verbrennen, erachte ich als eine strafwürdige Vertrauensseligkeit gegen Dienstboten.

Wer einen Brief schreibt, der schüttele goldene Früchte von seinem Baume, biete sie in silberner Schale und mache sie so schmackhaft, daß das stete Verlangen nach der Wiederholung auftaucht. Solche Briefe wird der Empfänger nicht zerreißen oder verbrennen! Giebt es doch Briefe, die man nie würde vernichten können! Ich betone das Wort „können“, denn oft ist ein Brief, ein geschriebenes Wort die einzige Wohlthat gewesen, die ein nach Glück und Liebe hungernder und dürstender Mensch überhaupt in seinem Leben besaß. Welche Flammen schlagen aus Briefen, und welche sanften Beruhigungsmittel deckt das Kouvert! Liebesbriefe! Ein großes, unendliches Kapitel! Wer jemals von diesem geheimnißvollen Lebenszauber berührt ward, kennt ein Stück menschlicher Glückseligkeit!