Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 605
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[605]

Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten.

Die kleine Inselwelt der deutschen Nordseeküste hat im Laufe der letzten Jahrzehnte die ihr gebührende Beachtung gefunden. Die Heilwirkung der herrlichen Seeluft und der schäumenden Seebäder ist in weiten Kreisen bekannt geworden, und die Zahl derer, welche die Nordsee-Inseln alljährlich während der Sommer- und Herbstmonate aufsuchen, um dort Gesundheit, neue Kraft und neuen Lebensmuth zu finden, ist in fortgesetztem Steigen begriffen. Auch kranke oder schwächliche Kinder bilden darunter einen nicht geringen Procentsatz, seitdem es festgestellt wurde, daß der gute Einfluß der Seebäder namentlich bei skrophulösen Kindern geradezu ein erstaunlicher zu sein pflegt. Leider konnten bis jetzt nur die Bemittelten ihre Kinder an die See schicken, während die ärmeren Klassen, in denen die Skrophulose am meisten verbreitet ist, auf eine solche Kur verzichten mußten. Noch heute müssen viele Eltern, die ihr krankes Kind vielleicht durch eine sechswöchentliche Kur an der See erhalten und dauernd gesund machen könnten, dasselbe dahinwelken sehen, weil ihnen die Mittel fehlen, den kleinen Kranken und den nöthigen Wärter im theuren Bade zu erhalten.

Seehospiz auf Norderney.
Nach einer Skizze von Ewald Drescher.

Es ist nun das eigenste und große Verdienst des für die Wissenschaft leider viel zu früh verstorbenen Professors Dr. Beneke, ein Institut ins Leben gerufen zu haben, welches diesem Uebel so viel wie möglich Abhilfe schaffen will. Am 3. April 1881 gründete Beneke zu Berlin den „Verein für Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten“ [1], welcher in kurzer Zeit in ganz Deutschland bekannt wurde und eine bedeutende Mitgliederzahl erlangte. Der Zweck dieses Vereins ist die Errichtung von Heilstätten an den deutschen Seeküsten, in denen schwachen und kranken Kindern gegen Zahlung eines geringen Verpfleggeldes, unter Umständen auch umsonst, Wohnung, Beköstigung, erziehliche Obhut und Leitung, sowie ärztliche Behandlung gewährt werden soll. Der Verein erbaute darum Heilstätten oder Hospitäler in Wyk auf Föhr, in Zoppot bei Danzig und auf Norderney, welche letztere Anstalt die beiden erstgenannten an Umfang und Bedeutung weit übertrifft.

Nach den Plänen und Kostenanschlagen, mit deren Anfertigung der Regierungsbaumeister Nienburg aus Oldenburg betraut wurde, stellte sich die Bausumme für das Norderneyer Seehospiz auf eine halbe Million Mark. Eine so bedeutende Summe konnte der Verein in kurzer Zeit nicht aufbringen, und der Bau hätte vorläufig unterbleiben oder doch bedeutend eingeschränkt werden müssen, wenn es nicht dem damaligen Vorsitzenden, dem Professor Dr. Beneke, gelungen wäre, unseren Kaiser für die Sache des Vereins zu gewinnen. In anderen Staaten, besonders in England, Frankreich und Italien hat man schon seit längerer Zeit die eminente Heilkraft der See bei so vielen Krankheiten der Menschen erkannt und Anstalten gegründet, welche ähnlichen Zwecken dienen, wie die Heilstätten an den deutschen Seeküsten, und welche auf große Erfolge zurückblicken können. Die Erwägung dieses Umstandes mag mit dazu beigetragen haben, daß dem Verein aus dem kaiserlichen Dispositionsfonds die Hälfte der Bausumme unter der Bedingung zugesichert wurde, daß die andere Hälfte bis Ende des Jahres von der deutschen Nation aufgebracht würde.

Inzwischen hatte unser stets zu thatkräftiger Hilfe bereites kronprinzliches Paar das Protektorat des Vereins übernommen, und unter dem Schutze desselben wurde eine Lotterie veranstaltet, welche dem Verein eine bedeutende Summe einbrachte. Schenkungen von Privatpersonen, welche sich für die Sache besonders interessirten, kamen hinzu; so spendete unter Anderem ein unbekannt gebliebener Deutschamerikaner allein die Summe von 100000 Mark, und am Schlusse des Jahres 1883 konnte der Verein über mehr als 600000 Mark verfügen. Die Bausumme für das Seehospiz auf Norderney war also aufgebracht, und man zögerte nun nicht mehr, an die Ausführung zu gehen.

Heute steht das umfangreiche Institut bis auf den inneren Ausbau fertig da und wird voraussichtlich zum Schluß der diesjährigen Bauperiode vollendet sein.

Die aus 12 größeren Gebäuden bestehende Anstalt liegt in einem Thalkessel, geschützt durch hohe Dünenketten gegen die rauhen Winde, in geringer Entfernung vom Inseldorfe und doch nahe am Badestrand. Sie bietet Raum für 400 kranke Kinder und entspricht in ihrer praktischen Einrichtung allen den Anforderungen, welche die medicinische Wissenschaft an ähnliche Institute stellen muß.

Nach dem Tode des Professors Dr. Beneke, welcher sich in dem Seehospiz auf Norderney ein bleibendes Denkmal gesetzt hat, in welchem sein Streben und Wirken für die leidende Menschheit den schönsten Ausdruck gefunden, übernahm der hanseatische Gesandte zu Berlin, der Ministerresident Dr. Krüger, die Leitung des Vereins und setzte das angefangene Werk thatkräftigst fort. Unter dem Vorsitze desselben wird der Verein für Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten bald die Norderneyer Anstalt der öffentlichen Benutzung übergeben können und als dirigirender Arzt ist der durch seine Wirksamkeit an dem Luftkurorte Lippspringe in weiten Kreisen bekannt gewordene Dr. Rohden in Aussicht genommen. Die Zeit der Kämpfe hat jedoch für dieses gemeinnützige Institut ihr Ende noch nicht erreicht. Es müssen noch Mittel für den Betrieb und namentlich für Schaffung von Freistellen gesammelt werden. Hoffen wir, daß die werkthätige Hilfe des deutschen Volkes auch künftighin der edlen Stiftung nicht versagt bleibe! D.     


  1. Vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1882, Nr. 8, S. 127.