Studentenliebe
- Mein theures Mädchen!
- Mein geliebter Freund!
Du hast Recht, es bedarf keiner feurigen Versicherung Deinerseits, um mich an Deine Liebe glauben zu lassen. Mein Vertrauen auf Dich ist felsenfest, und wie ich fühle, daß ich Dich nie vergessen kann, so weiß ich auch, daß Du mir treu bleiben wirst.
Ich habe die Ankunft Deines ersten Briefes recht sehnsüchtig erwartet. Obschon wir seit Monaten auf unsere Trennung vorbereitet waren, obschon wir dieselbe oft genug besprochen hatten, so traf mich der Schmerz, Dich auf so lange Zeit entbehren zu müssen, doch recht hart. Der Tag nach Deiner Abreise war ein gar trüber. Von Zeitzu Zeit tropfte eine Thräne auf meine Arbeit und oft sah ich unwillkürlich nach der Thür, als müßtest Du eintreten. Es wollte mir gar nicht zu Sinne, daß Du den ganzen Tag, ach viele, viele Tage nicht kommen würdest. Doch Du hast mir einst gesagt, daß man am besten einen Schmerz ertrüge, wenn man sich von der Nothwendigkeit desselben überzeuge, und an diesem Gedanken habe ich gesucht mich aufzurichten. Freilich wird die Zeit unserer Trennung eine recht traurige für mich sein. Dich beschäftigt und zerstreut Deine Arbeit, Deine Gedanken werden von mir abgezogen; anders ist es bei mir. Meine Arbeit gestattet mir fort und fort an Dich zu denken, und so werde ich meine Sehnsucht nach Dir selbst immer nähren. Doch bin ich nicht undankbar? Ist es nicht schon Glück an Dich denken zu können? Ja, ich will die Erinnerung an die Vergangenheit immer in mir wach rufen und mich an ihr erfreuen. Wie lebhaft steht der Auftritt vor meiner Seele, wie ich Dich kennen lernte, wie Du mir männlich zu Hülfe eiltest, als zwei halbtrunkene Menschen mich anfielen und mir Gefahr drohten, wie Du sie [530] zwangst zu fliehen und mich dann nach meiner Wohnung geleitetest. Am andern Tage kamst Du zu uns und frugst, ob mir der Schreck nicht geschadet hätte. Und als Du erfuhrst, daß mein Vater ein Freund des Deinigen gewesen, daß er, ein tüchtiger Gelehrter, zu früh gestorben und seine Wittwe und Tochter in nicht glänzenden Verhältnissen zurückgelassen hatte, daß Beide in stiller Zurückgezogenheit lebten: wie freundlich batest Du unsere Einsamkeit zuweilen durch Deinen Besuch unterbrechen zu dürfen! Mein lieber, lieber Konrad, Du warst mir, als ich Dich zuerst sah, wie ein rettender Engel erschienen, und so oft Du nun wieder kamst, begrüßte ich Dich mit derselben Freude. Warst Du doch der einzige Freund zweier einsamen Frauen, und der einzige Lichtblick in ihrem Leben waren Deine Besuche. Als ich dann merkte, daß Du öfter und öfter kamst und daß Du anfingst mich zu lieben – ach Konrad, welche Seligkeit mich damals erfüllte, kannst Du nicht glauben. Sieh, mein Freund, an diesen freundlichen Bildern ergötzte ich mich in meiner Einsamkeit und werde mich daran ergötzen, so lange wir getrennt sind, denn an sie zu denken, sie mir immer und immer wieder auszumalen, werde ich nicht müde. – Doch ich habe wohl schon zu viel geschrieben und es ist Zeit, daß ich aufhöre. Meine gute Mutter läßt Deine Grüße herzlichst erwidern.
So lebe denn wohl, mein lieber, lieber Freund, und denke zuweilen an Dein treues Mädchen
- Mein liebes, gutes, mein herziges Mädchen!
Konrad.
- Mein süßes Leben!
Heute sind es zwei Jahre, daß ich von Dir wegreiste, zwei Jahre, in denen ich Dich nicht geseben, den Ton Deiner Stimme nicht gehört habe. Wenn ich zurückblicke auf diese lange Zeit, so möchte ich die Frage an das Schicksal richten: warum sind diese Jahre für mein Glück verloren gewesen? Ist denn das Menschenleben so lang, daß man zwei Jahre davon ohne weiteres entbehren kann? Wie doch der Mensch so seltsam ist! Habe ich nicht früher gemeint, die lange Trennung sei ein freundliches Geschick, durch welche unsere Liebe sich stählen solle in Sehnsucht und Entbehren? So wechselt der Mensch seine Stimmungen. Eins nur wechselt nicht, unsere Liebe, Amalie. Sie trotzt der Zeit und erhält sich frisch und lebendig. Und doch beschlich mich der Unmuth, als ich nachrechnete und fand zwei Jahre Trennung. Nicht meinetwegen, Amalie, ich bin ein Mann und muß tragen und kämpfen können! Aber Deinetwegen. Dein Leben ist so einförmig, Dir spinnt sich ein Tag ab wie der andere, keine Abwechslung, keine Zerstreuung, keine Freude tritt an Dich heran. Wahrhaftig, wenn ich zuweilen eine Einladung erhalte, die ich nicht ablehnen kann, so ist mir als beginge ich ein Unrecht, daß ich einige Stunden in Gesellschaft verbringe, während ich Dich einsam zu Hause weiß. Oft habe ich mir schon vorgenommen, mich ganz zurückzuziehen, aber ich darf es nicht. Abgesehen davon, daß ich Manchen vor den Kopf stoßen würde, der mir wohl will, so hasse ich nichts so sehr, als den Schein eines Sonderlings. Aber ich kann Dir versichern, wenn ich mich der Gesellschaft auch einmal hingebe, wenn das Gespräch mich anregt und ich lebhaft Theil nehme, so fällst Du mir plötzlich ein in Deinem einsamen Stübchen und mir wird so weh um’s Herz, daß ich aufspringen und hinauslaufen möchte. Wie, wirst Du sagen, klagst Du? Ach ja, ich klage, laß mich einmal klagen. Daß mir die Trennung schmerzlich, warum soll ich es nicht gestehen? Wo ist denn geschrieben, daß man stumm und ruhig Alles ertragen müsse, daß man seinem Schmerze nicht Worte geben dürfe? Und warum soll ich Dir es verbergen, daß meine Sehnsucht nach Dir täglich größer wird und ich es kaum noch überwinde von Dir getrennt zu sein? Mir sind schon manches Mal tolle Gedanken durch den Kopf geschossen. Wegwerfen wollte ich meine Studien, eine andere Laufbahn anfangen, die mich rascher zum Ziele, zu Dir führt. Jahre lang muß man lernen und sich vorbereiten, will man dem Staate dienen, und wie spät und wie karg lohnt dieser unsere Dienste! Wird denn in der Welt nicht endlich einmal das wahre Verdienst belohnt? Denke an Dich selbst. Dein Vater war Gelehrter, der unendlich viel Gutes gewirkt hat, und wie ist er belohnt worden? Eine karge Pension schützt Dich und Deine Mutter eben vor dem Hungertode und der Fleiß Deiner Hände darf nie ermüden, soll Deine Mutter nicht die kleinen, gewohnten Bequemlichkeiten entbehren. Mein Vater war ein tüchtiger Arzt, der Trost und Hülfe an manches Krankenbett gebracht, der mancher Familie den Vater, mancher Mutter ihr Kind gerettet hat. Und was ward ihm zum Lohne? Ich, sein Sohn, habe mich kärglich durch’s Leben schlagen müssen und muß zu meinem geliebten Mädchen immer und immer wieder sagen: warte, warte, noch habe ich kein Haus, in das ich Dich führen, noch keinen Tisch, den ich für Dich decken kann. Und wenn ich dann sehen muß, wie leicht es Andern – doch es sei genug. Ich will Dich nicht ermüden mit meinen Klagen. Ach, ich knirsche mit den Zähnen, daß ich nach zwei Jahren keinen bessern Gruß für Dich habe, als: warte, warte. Deine schöne Jugendzeit verrinnt im Harren auf mich und zuletzt – –? Fast [531] möchte ich Dir sagen: gieb mich auf, wenn sich ein Anderer Dir naht, reiche ihm Deine Hand. Und doch kann ich es nicht sagen, ohne das Todesurtheil für mein eignes Lebensglück auszusprechen.
Vergieb, liebe Amalie, daß ich Dir meinen Unmuth nicht verborgen habe, aber ich mag auch diese Stimmung Dir nicht verheimlichen; Du sollst mich immer ganz kennen, wie ich bin. Lebe wohl! Ich kann mich nicht zwingen, kann in keine freundliche Stimmung kommen, besser also ich schreibe gar nichts mehr. Lebe wohl. Mit alter Liebe
- Mein lieber, lieber Freund!
- Mein herrliches Mädchen!
Dein Brief hat mich tief beschämt und mich doch zugleich auf das Freudigste bewegt. Geschämt habe ich mich, daß mich mein Unmuth hinreißen konnte, Dir einen Brief voll Klagen zu schreiben und ihn auch wirklich in Deine Hände gelangen zu lassen. Ich möchte Etwas darum geben, wenn ich mich Dir nicht so schwach gezeigt hätte. Und doch ist diese Schwäche Gelegenheit geworden, nicht Dich von einer neuen Seite. aber in der ganzen Fülle Deiner Liebenswürdigkeit kennen zu lernen. Ja, meine Amalie, indem Du an Dich gar nicht denkst, indem Du Dich glücklich schilderst, nur um mich zu beruhigen, indem Du alle Entbehrungen leugnest und mich glauben machen willst, daß nie eine trübe Stimmung auf Dir laste, wie die, welche bei mir zu heftigem Unmuth ausschlug, verleugnest Du ganz Dich selbst in hingebender Liebe. Das ist echt weiblich. Und in dieser echten Weiblichkeit liegt der Vorzug, die Stärke eures Geschlechts. Die Liebe ist die Hauptaufgabe des Weibes. Das Weib ist schwach und stark in der Liebe. Die Liebe erfüllt ihr ganzes Leben. Deswegen kann das Weib eine Höhe der Vollkommenheit erreichen, die dem Manne versagt ist. Es giebt ganz vollkommene Gattinnen, Hausfrauen, Mütter.
Auch der Mann ist der stärksten Liebe fähig, allein die Liebe darf sein Leben nicht ausfüllen. Er hat noch andere Pflichten, Pflichten für das allgemeine Leben. für seinen Beruf, für die Gemeinde und den Staat. Und diesen Pflichten in ihrem vollen Umfange zu genügen, vermag der Mann nicht. Insofern sind die Frauen glücklicher. Darum auch, weil wir die Fülle eurer Liebe nicht erreichen können, bewundern wir Euch. Wir lieben Euch gewissermaßen um eurer Liebe willen. Habe Dank, mein herziges Kind, für Deinen schönen Brief oder besser für die Offenbarung Deines schönen Herzens. Du hast Recht, ich bin nicht immer so trübe und verstimmt, wie ich Dir in meinem letzten Briefe erschien. Es sind eben nur Stunden des Unmuths, die ich wieder bekämpfe, und es ist abscheulich von mir, in einer solchen Stunde an Dich geschrieben zu haben. Ich mag Dich nachträglich gar nicht um Verzeihung deshalb bitten, weil Du verziehen hast, ehe ich gebeten habe. Wenn aber jemals mich der Unmuth wieder beschleichen sollte, will ich Deinen Brief lesen und jenen dadurch verscheuchen.
So hast Du mir ein treffliches Mittel gegeben, mir meine Heiterkeit zu bewahren. Dank, tausend Dank, meine Amalie. Und nun lebe wohl für heute. Ich bin so überhäuft mit Arbeiten, daß ich die Nächte zu Hülfe nehmen, meine liebste Beschäftigung abkürzen muß, die, an Dich zu schreiben. Lebe wohl. Der Gedanke, daß Du einen Menschen mit Deiner schönen Liebe unendlich glücklich machst, möge Dich stärken in Deiner Einsamkeit.
- Mein süßes Herz!
- Mein theurer, theurer Freund!
Heute fühle ich recht schmerzlich, daß ich nicht bei Dir sein darf, nur um meiner Freude einen recht warmen Ausdruck geben zu können. Ach, das Schreiben drückt ja so wenig aus, was man fühlt, was man denkt, was man sagen will. Die Freudenthräne im Auge, das glückliche [532] Lächeln, den hellen, fröhlichen Ton der Stimme kann man ja nicht zu Papiere bringen. Meinen herzlichsten Glückwunsch, Konrad! Ach, lieber Freund, mir bist Du durch Dein Examen nicht um ein Haar lieber geworden, ich ehrte und schätzte Dich schon vorher eben so hoch. Aber um der Welt willen freut es mich doch unendlich. Ich glaube, man kann ein braver und tüchtiger Mann sein, selbst wenn man kein drittes Examen zu bestehen vermag, aber es ist doch schön, daß Du es so glänzend bestanden hast. Ach, ich besinne mich noch recht wohl, daß mein guter Vater davon sprach, wie schwer jetzt den jungen Leuten das Examen gemacht würde. Warum ist denn das nur, Konrad? Ist denn eine so fürchterliche Menge von Kenntnissen nothwendig, daß man ein guter Staatsbeamter oder Richter sein kann? Ich sollte doch denken, daß Redlichkeit, Unparteilichkeit, Menschenkenntniß und Scharfblick die nothwendigsten Eigenschaften für einen Beamten seien. Diese werden aber nicht gelehrt und in diesen werdet ihr auch nicht examinirt. Mein Gott, was schreibe ich da! Ich weiß auch wirklich nicht, sind das meine Gedanken, oder ist mir das so aus den Gesprächen meines Vaters sitzen geblieben? Ich komme auch nur darauf, weil Du mich dauerst, daß Du so fürchterlich hast studiren müssen, selbst die Nächte hindurch. Daher kommt es, daß so viele junge Leute mit Brillen gehen, weil sie sich die Augen verdorben, und daß sie engbrüstig werden, weil sie zu viel sitzen müssen. Du darfst jetzt nicht mehr so viel studiren und künftig – – – das wird sich finden. Ich glaube, ich schreibe in meiner Freude lauter dummes Zeug, darum ist es wohl besser, ich höre auf. Ich hoffe, Du hast Dir bei Deinem Schmause ein kleines Räuschchen getrunken, weil Du in Gedanken oft auf mein Wohl angestoßen hast. Dein Räuschchen hat auch bis hierher auf mich gewirkt, denn ich bin auch ein wenig trunken vor Freude! So lebe wohl, mein liebster Freund, – ich hoffe, Du wirst nun, wenn Du Dich nicht mehr mit Justinian und den andern alten Knasterbärten abzugeben hast, wieder Zeit bekommen, recht viel zu denken an
- Dein Dich liebendes Mädchen Amalie.
- Mein theures, geliebtes Mädchen!
Hast Du nach dem Poststempel gesehen, als Du diesen Brief eröffnetest? Schwerlich, denn als Du meine Handschrift erkanntest, genügte es Dir, zu wissen, der Brief sei von mir. Nun, sieh jetzt nach, woher der Brief kommt. Aus Heinrichshausen! Schwerlich werden Deine geographischen Kenntnisse so weit gehen, daß Du weißt, wo Heinrichshausen liegt. Und doch wird dieser Ort Dir von Wichtigkeit, denn er wird Dein künftiger Wohnort sein. Du lässest hier den Brief sinken – Du erschrickst – freudig – Du rufst: „Mutter, höre!“ Ich sehe das Alles vor mir. Nur rasch, Amalie, gieb Dich an das Einpacken, Du mußt kommen, bald kommen, sobald als möglich. „Aber wenn er nur ordentlich erzählte,“ denkst Du bei Dir, „daß ich ihn begriffe.“ Gut, mein Herz, ich will mir Mühe geben, ordentlich, der Reihe nach zu erzählen. Wo fange ich aber an? Richtig! Nach meinem glänzenden Examen hoffte ich auf eine baldige Anstellung – und doch verging Monat auf Monat, ehe davon die Rede war. Du wirst aus meinen Briefen in der Zeit hier und da eine Bitterkeit herausgelesen haben, die ich eben nicht unterdrücken konnte. Bei alledem wurden mir viele und just die schwierigsten Arbeiten zugetheilt. Da stieg in mir der Verdacht auf, daß man in mir den guten Arbeiter schätze und mich so lange als möglich in meiner jetzigen Stellung lassen wolle, die mir nichts oder wenig einbringt. Ich entschloß mich kurz, ging zum Präsidenten und sagte ihnm geradezu meine Meinung. Der Präsident sah mich an und lachte, indem er erwiderte: „Sie haben Recht, daß ich Sie gern hier behielte, und wer weiß, wie bald ich Sie wieder an uns fesseln werde. Aber mit dem Verdacht, daß ich Ihre Beförderung aus eigensüchtigen Gründen hindere, thun Sie mir Unrecht. Hier der Beweis. Dieses eben eingelaufene Schreiben vom Ministerium ernennt Sie zum Kreisrichter in Heinrichshausen.“ Ich war wie aus den Wolken gefallen und sah den Präsidenten etwas verdutzt an. Dieser reichte mir die Hand und sagte: „Meinen besten Glückwunsch! Ihre neue Stellung ist ehrenvoll, weil sie wichtig ist. Der letzte Kreisrichter, der vor kurzem in Ruhestand versetzt wurde, war ein alter Mann, der ohne eigentliche Thatkraft in dem Gerichtswesen des ganzen Kreises einen gewissen Schlendrian hat einreißen lassen. Das Ministerium glaubt in Ihnen den Mann gefunden zu haben, der mit sicherm Blick alle Mängel erkennen und beseitigen wird. Aber ich kann Ihnen keinen Augenblick Zeit gönnen. Sie müssen auf der Stelle, das heißt, mit dem nächsten Eisenbahnzuge, abreisen. Gleichzeitig mit dem Ministerialschreiben erhalte ich die Anzeige, daß in Heinrichshausen ein schweres Verbrechen begangen worden ist, dessen Untersuchung die untergeordneten Beamten nicht zu führen verstehen. Eben, als Sie mir gemeldet wurden, wollte ich zu Ihnen schicken, Sie müssen augenblicklich fort.“ Ich war wie im Traume, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ja, ich glaube, der Präsident hat mich förmlich hinausgeworfen, damit ich fort kam. Ich hatte eben auch nur so viel Zeit, das Nöthigste in den Koffer zu werfen und meinem Wirth meine übrigen Sachen zu übergeben, daß er sie mir nachschicke. So saß ich plötzlich im Eisenbahnwagen und kam da erst recht zur Besinnung. Eine Stunde früher noch voll Unmuth und Bitterkeit, und jetzt am Ziele meiner Wünsche. Nach langem, oft schwerem Harren kann ich Dir sagen: „Komm, Amalie, jetzt habe ich ein Haus für Dich.“ Und was für ein Haus, mein Liebchen! Laß mich nur weiter erzählen! Ich kam in Heinrichshausen an und die Untersuchung des Verbrechens nahm mich sogleich dermaßen in Anspruch, daß ich zwei Tage lang keinen ruhigen Augenblick gewinnen konnte, Dir zu schreiben. Denn ich wollte Dir ja Alles ausführlich berichten, mir konnten einige flüchtig hingeworfene Worte nicht genügen. Höre weiter. Meine Stelle ist gut und wird uns für die ersten Jahre ein anständiges Auskommen verschaffen, und daß ich später weiter kommen werde, verbürgt mir das Versprechen des Präsidenten. So komm denn, Du treues Lieb, die Du so lange fest an mir gehalten, komm, sei mein Weib, mache mich glücklich und sei selbst glücklich, indem Du der Segensengel meines Lebens bist. Ich denke, es soll Dir hier gefallen. Heinrichshausen liegt in einer reizenden Gegend. Die Stadt ist nicht übergroß, aber so viel ich bemerken konnte, sind die Bewohner gute, gebildete Menschen, mit denen sich schon wird leben lassen. Ich habe eine Amtswohnung, viel zu groß für uns im Anfange, mit schönen, großen Räumen, mit hübschem Garten und herrlicher Aussicht auf den Fluß und das Gebirge. Nun komm und verleihe dieser Wohnung ihren eigentlichen Schmuck. Für Deine gute Mutter ist ein Zimmer da, wie sie es liebt, still, sonnig, die Fenster mit Weinlaub bewachsen. Nur zögere nicht, Gieb Dich an das Packen Deines Hausraths, den Du mitbringen willst; was fehlt, ergänzen wir hier. Dann schreibe mir, wenn Du fertig bist, und ich komme und hole Dich ab. Unterwegs soll uns mein alter Universitätsfreund in Friedrichsdorf trauen, das mache ich Alles ab. Aber beeile Dich, denn jetzt, wo die Erfüllung meiner Wünsche so nahe, steigt meine Ungeduld zum Fieberhaften. Welch ein Wiedersehen! Oft, oft habe ich daran gedacht, nun es mir aber so nahe gerückt ist, strahlt mir der Augenblick in hellster Herrlichkeit entgegen, daß ich es kaum erwarten kann. Ich mag auch nicht mehr schreiben, denn mir kommt es vor, als verzögere ich durch jede Minute des Schreibens den Augenblick des Wiedersehens. Lebe wohl. mein süßes, süßes, süßes Mädchen, bald mein herziges, liebliches Weib!
- ↑ Mit ausdrücklicher Genehmigung des Verfassers dessen so eben erschienenem „Briefsteller für Liebende“ entnommen, einer Sammlung ganz allerliebster Novelletten in Briefform.D. Red.