Streifzüge eines Feldmalers (Die Gartenlaube 1870)
„Heute da und morgen dort, wie Einen der rauhe Kriegesbesen fegt und schüttelt von Ort zu Ort; bin indeß weit herumgewesen.“ So kann ich auch von mir sagen, indem ich Ihnen heute die neuesten drei Skizzen schicke, welche ich in den letzten Tagen der Ruhe ausgeführt und ausgearbeitet habe. Dieselben sind, wie Sie sehen, an verschiedenen Orten und zu verschiedenen [785] Zeiten entstanden. Das eine der Bilder rührt aus den Tagen nach Sedan, die andern beiden verdanken ihre Entstehung den Tagen von Metz, die nun auch, Gott sei Dank, ihr Ende gefunden haben.
Zu der erstgenannten Illustration fand ich das Motiv auf dem Marktplatz von Remilly, einem Dorfe in der Nähe von Sedan (s. S. 784), wo ich mit einem französischen Gefangenentransport zusammentraf, der sich noch einmal einige Stunden Ruhe gönnte, bevor er die Fahrt nach Deutschland antrat, wohin der Kaiser, gleichfalls gefangen, bereits vorausgeeilt war. Die escortirende Mannschaft bestand aus Landwehr-Infanterie und Landwehr-Cavallerie, Kürassiere, aber ohne die beschwerlichen Kürasse. Die Gefangenen sahen über alle Begriffe abgerissen und heruntergekommen aus, Viele liefen auf bloßen Füßen; das Wenige, was ihnen von den Einwohnern des kleinen Dorfes gereicht wurde, nahmen sie mit Begier an. Sie hatten offenbar seit Tagen keine ausreichende Nahrung mehr gefunden, und Viele von ihnen mochten die Gefangenschaft, so schmerzlich sie auch an sich war, doch als das willkommene Ende eines unerträglich gewordenen Zustandes ansehen.
Von Sedan aus zog ich wieder südwärts auf Metz zu, wo inzwischen die Armee Bazaine’s von den Bajonneten des deutschen Heeres umschlossen und umgittert lag. Ich wollte zunächst nach Marly, einem kleinen Dorfe südlich von Metz und zwischen diesem und dem Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl, Corny, gelegen. Schon meine letzte Zeichnung „Wache im Dorfe Marly“ hat Ihnen Anlaß gegeben, davon zu reden.
Auf dem Wege dorthin kam ich über St. Privat la Montagne, ein in der Schlacht von Gravelotte vielgenanntes Dorf. Es ist damals total zusammengeschossen worden, von der preußischen und der sächsischen Artillerie. Was stehen geblieben war, ward von den Flammen eingeäschert. Noch sah ich die Spuren dieses grausamen Geschickes, dem das arme Dorf zum Opfer gefallen war. Der Thurm der Kirche war in sich zusammengestürzt und hatte die Glocken in seinem Sturze begraben. Der Kirchhof, der sich um die Kirche rundum zog, der Todten Ruheplatz, war von Granaten durchwühlt, die Leichensteine abgebrochen und zerschossen, die Kreuze verkohlt, die Bäume, welche rings den Platz umfriedet hatten, hingeschmettert und angebrannt. Das Thor der Kirche war verschwunden; vielleicht hatten es die Geschosse zertrümmert, vielleicht auch war es am Abend nach dem blutigen Kampfe beim nächsten Bivouac in Stücke gespalten und in das Feuer geschoben worden. Nun sah man durch die zertrümmerte Kirchhofsmauer und durch die Thorwölbung in’s Innere der Kirche, das unheilig genug aussah. Der Kronleuchter war zerschmettert, die ewige Lampe verlöscht, Balken, Steine, Ruinen bedeckten rings den Boden, und da das Kirchendach in Brand geschossen worden war, so sah des Himmels Blau auf alle die Gräuel und Schrecken, welche hier von nackten Kirchenwänden eingeschlossen wurden, ungehemmt herab. Die Treppe zur Kirchenthür aber war merkwürdiger Weise ganz wohl erhalten; auf ihr und um sie saßen und standen unsere tapferen Soldaten, ernst und ruhig. Die Einen bereiteten und verzehrten ihr einfaches Mittagsmahl, die Andern setzten ihre Waffen in Stand zu neuem Kampfe, wenn ihn der Feind wagen sollte (s. S. 781).
Man hatte in der That damals alle Ursache, auf seiner Hut zu sein; Bazaine hoffte in jenen Tagen noch ernstlich, durchzubrechen, und [786] so gehörte es denn keineswegs zu den behaglichsten Situationen, hier Tag und Nacht auf der Lauer zu liegen und jede verdächtige Bewegung des eingeschlossenen Feindes, der die belagernde Armee überdies beständig in Athem zu halten suchte, zu beobachten. Ich erfuhr das bei meinem ersten Nachtquartier auf Schloß Montbel in Marly, welches den Gegenstand meiner dritten Darstellung bildet (s. S. 785). Das genannte Schloß gehört einem Grafen oder Baron von Montbel. Wie man aus den zerstreut umherliegenden Briefen ersehen konnte, hatte derselbe es erst Ende August schleunigst verlassen. Das dargestellte Zimmer war unser Nachtlager. Die erste Nacht, welche ich hier zubrachte, war, ich will es gern gestehen, etwas unheimlich für mich. Denn eben hatten wir eine treffliche Glühweinbowle geleert und standen im Begriffe unser Lager aufzusuchen, als mein Freund, Hauptmann R., den Befehl gab, daß Jeder seine Sachen neben sich zu legen und seine Waffen umzuschnallen habe, damit, wenn die Franzosen ausfallen sollten, Alles zur Stelle sei. Die Thüren mußten geöffnet bleiben, und vor dem Haupteingange blieb ein Meldeposten aufgestellt. Auf meine Bemerkung: „Sieht es hier so aus?“ erwiderte mein Freund: „Ja, gestern haben wir Metz beschossen und heute werden sich die Franzosen möglicherweise dafür revanchiren; wir müssen also jeden Augenblick bereit zum Abmarsch sein.“ Der Hauptmann machte noch seine Nachttoilette, indem er verschiedene Leibbinden sich um Kopf und Hals band, und ermüdet streckten wir Alle uns nunmehr auf das bereitgehaltene Strohlager. Als Decken benützten einige Herren außer unseren Mänteln noch mehrere Damengarderoben, welche sich in den von uns benutzten Zimmern vorfanden. Alle schliefen auch sofort ein, nur ich konnte den so nöthigen Schlaf lange nicht finden, mir gingen die aufregendsten Gedanken durch den Kopf.
Nach und nach duselte auch ich ein, und als ich Morgens zwischen drei und vier Uhr wach wurde, bemerkte mein Freund, daß wir jetzt noch einmal so ruhig unsern Schlaf fortsetzen könnten, denn jetzt würden die Franzosen nichts mehr untermehmen. Doch kaum waren wir fest eingeschlafen, als der Posten uns weckte und meldete, daß nach der Feldwache Nr. 3 zu stark geschossen würde! Seine Meldung wurde durch vielfaches „Paff, Paff!“ unterstützt. Wir sprangen auf und gingen zur Dorfwache, wo gerade die Meldung anlangte, daß die gegenseitigen Patrouillen aufeinander gestoßen seien und etwas heftiger, als sonst, auf sich schössen. Das Geknatter hörte bald auf, wir suchten schleunigst unser Lager wieder, denn es war sehr kalt und nebelig, der Tag dämmerte kaum und es war eine unheimliche Stimmung. Als wir eben wieder lagen, ging das Geknatter nochmals los, jedoch viel näher; dasselbe verstummte aber auch diesmal bald wieder, und als auch keine weitere Meldung kam, schliefen wir, namentlich ich, fest ein, und wurden erst durch die Burschen, welche uns schon einen ausgezeichneten Kaffee bereitet hatten, geweckt. Derselbe schmeckte uns aus den reich verzierten Tassen und Pokalen des Herrn von Montbel vortrefflich. Dies war die erste Nacht, welche ich so nahe, kaum achthundert Schritt, am Feinde verlebte. Die folgende Nacht schlief ich schon weit besser, obwohl wir wieder in derselben Weise gestört wurden, ich hatte mich aber an diese Neckereien des Feindes rasch genug gewöhnt und diese Gewöhnung kam mir später noch in mancher unruhigen Nacht vortrefflich zu statten.