Strafjustiz und Menschenfreund

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Titel: Strafjustiz und Menschenfreund
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 97,98
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[97] Strafjustiz und Menschenfreund. Fast über alle Begriffe geht das Elend und die sittliche und körperliche Verwahrlosung, welcher ein Gefangener in den Kerkern des Mittelalters und noch ein paar Jahrhunderte darüber hinaus preisgegeben war, gleichviel, ob er wegen schwerer oder leichter Vergehen verurteilt, kriegsgefangen oder politisch mißliebig, oder zur Untersuchung oder wegen Schulden eingesetzt war. Der Grundsatz der Abschreckung war so ausschließlich mächtig, daß darüber keine Forderung der Menschlichkeit zur Geltung kam. „Gegen das Gefängniß des Mittelalters ist der Galgen eine Barmherzigkeit,“ sagt der Berliner Strafanstaltsdirektor Krohne in seinem „Lehrbuch der Gefängnißkunde“ [98] (Stuttgart, Ferdinand Enke), und man mag dort im einzelnen die Darstellung der wahrhaft entsetzlichen Zustände nachlesen

Aber es kam das Jahrhundert der Aufklärung. Es lehrte die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz und bekämpfte die menschenvernichtende Grausamkeit der Strafen. Gleichzeitig trat von anderer Seite eine Bewegung für die Verbesserung der Gefängnisse auf, welche in dem Verbrecher nicht nur den Schädiger der Rechtsordnung, den Feind des Gemeinwesens, sondern auch den Unglücklichen erkennen lehrte.

Der Mann, welcher sich in erster Linie die Hebung des Gefängnißwesens zu seiner Lebensausgabe gemacht hat, ist der Engländer John Howard. Geboren 1726 als der Sohn eines Londoner Kaufmanns, streng puritanisch erzogen, ohne jegliche gelehrte Bildung, mit 17 Jahren durch den Tod seines Vaters Erbe eines Vermögens, das ihn unabhängig machte, bekundete er von früh auf einen lebhaften Trieb zur Verbesserung des Looses seiner Nebenmenschen.

Da hört er von dem furchtbaren Erdbeben zu Lissabon (1755). Sofort beschließt er, zu Hilfe zu eilen. Auf der Ueberfahrt fällt sein Schiff einem französischen Kaper in die Hände und nun lernt er als Kriegsgefangener den menschenunwürdigen Zustand der französischen Gefängnisse kennen, sein Blick ist zum erstenmal auf das Gefängnißelend gelenkt. In die Heimath zurückgekehrt, ruht er nicht eher, als bis er das Loos der Kriegsgefangenen in den beiden damals mit einander im Krieg liegenden Ländern, Frankreich und England, menschlicher gestaltet hat. 1773 zum Sheriff oder Richter seines Bezirkes gewählt, sieht er eines Tags, wie freigesprochene Gefangene ins Gefängniß zurückgeschleppt werden, weil sie dem Gerichtsschreiber und dem Gefängnißwärter die Sporteln nicht bezahlen können. „Er brachte diese Ungerechtigkeit vor den Gerichtshof und verlangte, daß man dem Gefängnißwärter Lohn zahle und den Gefangenen die Sporteln erlasse. Man fand seine Forderung gerecht, trug aber Bedenken, sie zu erfüllen, weil man keinen Vorgang, keinen 'precedent' habe, der Grafschaft diese Kosten aufzuerlegen. Da machte er sich auf den Weg, einen 'precedent' zu suchen; er wanderte von Grafschaft zu Grafschaft, voll Gefängniß zu Gefängniß und fand seinen 'precedent' nicht, aber überall denselben Schmutz, dieselbe Unordnung, dieselbe Zuchtlosigkeit, dasselbe Elend, dieselben betrügerischen, habsüchtigen Gefängniswärter.“

Das war für ihn der Anstoß, die Verbesserung des Gefängnißwesens mit allem Ernste und allem Nachdruck in die Hand zu nehmen. Noch mehrere Male hat er seine Wanderungen durch England wiederholt, weitreichende Studienreisen auch nach dem Festlande, ja bis in den Orient und nach der afrikanischen Küste gemacht. 42000 englische Meilen im Dienste seiner Sache zurückgelegt und 80000 Pfund Sterling von seinem eigenen Vermögen geopfert; er hat das englische Parlament für die Gefängnißreform zu erwärmen verstanden und in einem grundlegenden Werke („State of prisons in England und Wales“ 1777, d. h. „Zustand der Gefängnisse in England und Wales“) seine Erfahrungen und Vorschläge zusammengefaßt. Fernhaltung alles dessen, was dem Rechte und der Menschenwürde des Strafenden und des Bestraften widerspricht, das ist der Grundsatz, von dem er ausgeht und mit welchem er ein Vorbild für alle späteren Bestrebungen aus diesem Gebiete geworden ist.

Auf der letzten seiner großen Reisen ist er am 20. Januar 1790 zu Cherson in Südrußland infolge von Ueberanstrengung oder Ansteckung gestorben. Wohl war es die letzte Bitte des bescheidenen Mannes gewesen: „Setzt auf mein Grab eine Sonnenuhr, nichts weiter, und vergeßt mich!“ Aber er hat doch um seines edlen Wirkens willen in der Paulskirche zu London ein Denkmal erhalten und er ist es auch werth, daß heute noch, 100 Jahre nach seinem Tode, die Menschheit dankbar seiner gedenke. -