Textdaten
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Autor: Emil Frischauer
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Titel: Sterbende Päpste
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 193–195
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Sterbende Päpste.

Die meisten Päpste, die im Laufe der Jahrhunderte auf dem Stuhl des heiligen Petrus ihres Amtes walteten, hatten eine eigenthümliche Furcht vor dem Tode; das Rauschen des Todesengels ließ sie verzagen, und die Furcht, von der Herrlichkeit dieser Welt lassen zu müssen, nur in das unbekannte Land einzuziehen, aus dessen Bezirk kein Wanderer wiederkehrt, raubt ihnen zuweilen Ruhe und Besinnung. Die Päpste auf dem Sterbelager – das ist ein Anblick, in dem eine vernichtende Kritik irdischer Größe liegt. Und wie erklärt sich in den Statthaltern Christi diese Todesfurcht? War es die Furcht vor dem ewigen Richter zu erscheinen, welche das Sterben der Päpste zu einem so oft unwürdigen Acte machte? Oder war es die Sorge um das verlassene „Reich des Herrn“, die ihre letzten Stunden mit bangen Zweifeln verdüsterte? Nein, die Scrupel eines feinfühligen Gewissens haben selten zu den charakteristischen Eigenschaften der „Stellvertreter Gottes“ gehört, die Ungewißheit über das Schicksal der Kirche drückte nur edlere Naturen auf dem Stühle des heiligen Petrus.

Die Mehrzahl der kirchlichen Herrscher, mit denen Rom die Welt beschenkte, huldigte dem egoistischen Grundsätze: „nach uns die Sündfluth!“ und ließ sich durch die Zukunft weder im Leben noch im Sterben beeinflussen. Die Ursache der Furcht der Päpste vor dem Tode ist in den besonderen Umständen zu suchen, die sich in fast regelmäßiger Wiederkehr mit dem Eintritte ihrer Sterbestunde geltend zu machen pflegten. Die mächtigsten und gewaltigsten unter ihnen starben elend und verlassen; mit ihrem brechenden Auge war auch ihr Ansehen gebrochen; kein Mensch, weder Nepote noch Diener, kümmerte sich um den sterbenden Kirchenfürsten, dem von seiner ganzen Machtfülle nicht einmal eine dienstbare Hand geblieben war, die seiner lechzenden Zunge den letzten Trunk gespendet hätte.

Wenn der Papst in den letzten Zügen lag, waren stets im vatikanischen Paläste alle Bande der Disciplin und Ordnung gesprengt. Die Schaar der Höflinge wußte, daß ihnen nur noch wenige Stunden, ja vielleicht Minuten der Herrlichkeit übrig blieben; [194] es galt die Zeit auszunutzen. Ein allgemeines Plündern begann; Geld, Papiere, Kostbarkeiten wurden geraubt, Cassen gesprengt; was nicht niet- und nagelfest war, verfiel der Habsucht und Raubbegier, während der sterbende Papst allein und verlassen in einem verschlossenen Gemache verschmachtete. Diese Sitte kennt jeder Papst, und das erklärt sein Bangen vor den letzten Augenblicken. Und diese Sitte hat sich bis in unsere Zeit hinein erhalten; noch der Vorgänger des neunten Pius, Gregor der Sechszehnte, war ihr bemitleidenswerthes Opfer. Massimo d’Azeglio erzählt in seinen Denkwürdigkeiten über die Umstände, welche den Tod dieses so mächtigen Papstes begleiteten, Folgendes: „Ein armer Arbeiter im vaticanischen Garten, welcher wußte, daß der Papst im Sterben liege, wollte denselben zum letzten Male sehen; er fand die geheime Stiege offen und stieg hinauf. Er klopft an eine Thür … Niemand antwortet; er tritt in das Zimmer; Niemand befindet sich darin. Er geht in das anstoßende Zimmer … Wieder Niemand. Nun öffnet er die dritte Pforte und – befindet sich im Sterbegemache des Papstes. Ein Berg von Polstern liegt auf dem Bette, allein der Papst hat sich offenbar im Todeskampfe zu sehr nach einer Seite geneigt, und so liegt er da, mit dem Kopfe außerhalb des Bettes, im Freien schwebend. Der arme Arbeiter beeilt sich, den Papst in seine gehörige Lage zu bringen. Nachdem er ihn in das Bett gelegt, ruft er ihn, betastet ihn … er war bereits kalt. Nun sinkt er weinend in’s Knie und betet das de profundis für den todten Papst. In diesem Momente tritt ein Angehöriger des Papstes, der seinen Raub wohl schon in Sicherheit gebracht hat, in das Zimmer; er ist erstaunt den Gärtner zu sehen, schreit, bedroht ihn mit dem Tode, wenn er je ein Wort von dem was er gesehen erzählen sollte, und wirft ihn hinaus. Allein der Gärtner hat gesprochen …“

Das Schicksal Gregor’s des Sechszehnten in seinen letzten Stunden ist in der Geschichte des Papstthums nicht das schlimmste; zahlreiche seiner Vorgänger fanden noch unter grausigeren Umständen ihren Tod, und mitunter ist das Schauspiel, das ein sterbender Papst gewährt, so ergreifend, daß es beinahe mit den Verbrechen seines Lebens versöhnen könnte. Allein häufig ist dieses Schauspiel bei seiner tragischen Größe geradezu widerlich durch das gottlose, ja unmenschliche Benehmen des Todescandidaten. Namentlich die simonistischen Päpste, welche dem blanken Golde nahezu den Charakter der Heiligkeit verliehen, gewähren diesen Eindruck auf dem Sterbebette. Ist es nicht empörend, wenn Innocenz der Vierte, der im Jahre 1254 starb, seinen weinenden Nepoten zuruft: „Quid plangitis, miseri? Nonne vos omnes divites relinquo?“ (Was weinet Ihr, Elende? Lasse ich Euch nicht Alle reich zurück?)

Ueberaus beängstigende Todesstunden hatte jener Papst, mit dessen Namen für alle Zeiten das Ende des glorreichen Hauses Hohenstaufen verknüpft ist. Der Tod, die Ermordung Conradin’s bildete das größte Ereigniß in dem Leben dieses Papstes, und trotz der Mühe, die sich seine Umgebung gab, vermochte er die Erinnerung daran im Sterben nicht los zu werden. Clemens der Vierte starb mit dem Namen Conradin’s auf den Lippen. „Die erschütternde Gestalt des schuldlosen Enkels Friedrich’s des Zweiten auf dem Schaffote zu Neapel,“ schreibt Gregorovius in seiner Geschichte der Stadt Rom, „wie er die Hände zum Himmel rang und dann betend niederkniete, um den Todesstreich zu empfangen, stand am Lager des sterbenden Papstes …“ Er verwünschte sich laut und leidenschaftlich ob des unschuldig vergossenen Blutes und jammerte, daß er dasselbe vor Gott nicht werde rechtfertigen können. Die Vision des letzten Hohenstaufen rüttelte ihn in Fieberschauern auf: er dachte nicht an den Tod, sondern blos an das traurige Opfer seiner Politik in Neapel. Man versuchte ihn zu beruhigen und erklärte, nicht er, sondern Karl von Anjou habe Conradin getödtet. Allein das beruhigte ihn nicht. „Ihr sprecht mich wohl frei von jeder Schuld,“ stöhnte er, „allein mein Gewissen verurtheilt mich.“ Und wieder begann er unzusammenhängend heftig und leidenschaftlich sich anzuklagen ob des Frevels, den er duldete; er empfand tiefe Reue über seine That – gleichzeitig mit den Gebeten für das Seelenheil des verstorbenen Papstes wurden solche für den ermordeten Hohenstaufen angeordnet. –

Bonifacius der Achte, der gewaltigste Papst des Mittelalters, endete durch Selbstmord. Sein Vorgänger, Cölestin der Fünfte, bekanntlich der einzige Oberhirte, der freiwillig die Tiara niederlegte, hatte dieses Ende seines Gegners und Nachfolgers vorausgesagt: „Intrabit ut vulpes; regnabit ut leo; morietur ut canis," (er wird sein Amt beginnen wie ein Wolf; er wird regieren wie ein Löwe; er wird sterben wie ein Hund) lautete die Prophezeiung des Eremiten im Papstgewande, und in Bezug auf das Sterben behielt Cölestin Recht. Wahnsinn mit Tobsuchtsanfällen verdüsterte die letzten Tage Bonifacius’ des Achten, den man eines Tages in seinem Palaste zu Anagni mit zerschmettertem Haupte leblos fand. In einem Tobsuchtsanfalle war er mit dem Kopfe so heftig gegen die Wand gerannt, daß sein Haupt förmlich zerschmettert wurde. Vor seinem Tode hatte jedoch Bonifacius dafür gesorgt, daß sein Vorgänger ihn nicht überlebe. Man fand den abgedankten Cölestin ermordet in seiner Zelle. Ein Nagel wurde ihm in den Kopf geschlagen, und die Fama nannte Bonifacius als den Besteller des Mordes.

Cölestin ist nicht der einzige Papst, der eines gewaltsamen Todes durch Mörderhand starb; die Geschichte überliefert uns eine ganz beträchtliche Anzahl von Mordthaten an Päpsten. Der gewöhnliche Hergang ist: ein Papst ermordet den Andern, sei es durch seine Helfershelfer, sei es mit eigner Hand. Dem zweiten Clemens kredenzte Benedict der Neunte, das Kind auf dem Stuhle des heiligen Petrus, am 9. October 1047 den Giftbecher. Benedict selbst, der, als Knabe mit der Tiara geschmückt, in Bezug auf Schlechtigkeit und Unwürdigkeit der Gesinnung blos von Alexander Borgia erreicht wurde, fand gleichfalls einen gewaltsamen Tod: er wurde in seinem Bette erwürgt. „Kindischer als Caligula, lasterhaft wie Heliogabalus“, so charakterisirt ein hervorragender deutscher Historiker die Persönlichkeit Benedict’s des Neunten, allein diese Schilderung scheint schmeichelhaft, verglichen mit der, die seine Zeitgenossen von ihm entwarfen. Ein Autor bemerkt zu der Meldung von der Erdrosselung Benedict’s nichts anderes als die Worte: Pridie oportebat (es hätte früher geschehen sollen).

Ob Alexander der Sechste aus dem Hause Borgia der Zahl der ermordeten Päpste beizuzählen ist, ist historisch nicht festgestellt. Allgemein ist die Ansicht verbreitet, daß dieser verabscheuungswürdigste aller Päpste durch Gift gestorben sei. Man glaubt, wie Gregorovius treffend bemerkt, hier an einen Mord, weil das Gefühl sich gegen die Annahme sträubt, ein Scheusal wie Alexander Borgia sei natürlichen Todes gestorben.

Verbürgt ist, daß Alexander einen grausamen Tod gefunden. Von seiner Umgebung entweder verlassen oder mißhandelt, rang er lange mit dem Tode; bis zur Unkenntlichkeit hatte ihn die Krankheit verunstaltet, und Entsetzen und Ekel ergriff Diejenigen, die den todten Papst, der im Leben zu den schönsten Männern zählte, sahen. Es ist historisch, daß seine Leiche von Einzelnen, die sie besichtigten, angespieen wurde.

Auch der Vorgänger Alexander Borgia’s, Innocenz der Achte (1492 gestorben), nahm ein gräuliches Ende: er verhungerte buchstäblich. Wochenlang konnte er keine Nahrung zu sich nehmen, da sein Magen nicht im Stande war, dieselbe zu verdauen. Er lebte von Milch, allein auch diese vermochte er nicht dauernd zu genießen. Da verordneten die Aerzte ihm – Frauenmilch, und die Chronik ruft aus: „Der Papst an der Brust einer Amme!“ Auch diese Medicin wirkte nicht. Seine Heiligkeit wurde stets schwächer, allein mit der Abnahme der Lebenskraft steigerte sich die Lebenslust. Innocenz der Achte wollte nicht sterben, und gab seinem Arzte, einem Hebräer, den Auftrag, ihn zu retten. Der Arzt beschloß als letztes Mittel die Transfusion zu versuchen; anfänglich sträubte sich der Papst; schließlich willigte er ein. Drei zehnjährige Knaben sollten mit ihrem Blute den siechen Oberhirten verjüngen. Jeder derselben erhielt einen Ducaten für sein Blut, doch die Freude am Golde war eine kurze, denn alle drei Knaben starben als Opfer des Experimentes.

Die sogenannten humanistischen Päpste, deren Verdienste um die Wissenschaft unbestritten sind, spielen theilweise eine eigenthümliche Rolle auf dem Sterbebette. Großsprecherisch und unnatürlich wie im Leben, sind sie auch im Sterben. Auf dem Kothurn, den sie aus dem Schutte des Alterthums hervorgegraben, versuchen sie in’s Jenseits zu schreiten, und auf dem Sterbelager halten sie akademische Reden an ihr Cardinalscollegium. So berichtet der Biograph Nicolaus’ des Fünften, Manetti, daß der Papst auf dem Todtenbette eine hochtrabende Ansprache an die Cardinäle hielt, in welcher er seine Verdienste mit viel Selbstbewußtsein hervorhob. Einige Stunden sprach er, bis er ganz ermattet mit den Worten [195] schloß. Wenig Böses habe ich verschuldet, aber viel Gutes getan“

Auch Eugen der Vierte hielt vor seinem Tode eine längere Ansprache, allein wesentlich anderen Charakters: er begriff die Bedeutung des Sterbens und rief wehmütig: „Besser wäre es für mein Seelenheil gewesen, ich wäre Klosterbruder geblieben, statt Papst zu werden.“

Allein die Geschichte der Päpste hat nicht blos düstere oder farcenhafte Sterbelager aufzuweisen; beim Eintritte einzelner katholischer Oberhirten waltete eine der Größe und Erhabenheit des Momentes entsprechende Scenerie vor, und die Seltenheit dieser päpstlichen Sterbelager läßt dieselben nur noch stärker und sympathischer hervortreten. Wahrhaft große Männer – und deren hatte die katholische Kirche an ihrer Spitze – verleugnen im Tode nicht die Bedeutung, die sie im Leben besaßen, und die Geschichte ihres Endes gemahnt uns oft wie der Schluß eines effectvollen Epos.

Manches päpstliche Grab ragt mächtig und gewaltig hervor, eine Denksäule für Denjenigen, den es birgt. Allein bezeichnend ist es, daß die Gräber, beziehungsweise Sterbelager von Päpsten, die erhaben und erhebend zugleich sind, fern von Rom sich befinden. Die ewige Stadt corrumpirte, wie sie corrumpirt war, die Päpste; der Schmerz, den Vatican mit seiner Pracht und seinen Schätzen verlassen zu müssen, war stets zu irdisch, als daß er die Erhabenheit des Sterbens unbefangen und unbeeinflußt hätte zum Ausdrucke – kommen lassen. Das großartigste Sterbelager, das die Geschichte der römischen Kirche kennt, stand in einem elenden Gemache zu Salerno: der gewaltigste Papst, einer der größten Menschen aller Zeiten, Gregor der Siebente, lag darauf, in würdevoller Ruhe dem Tode, den er, der Gewaltige, selbst nicht meistern konnte, entgegensehend. Nur Wenige waren ihm in der Verbannung treu geblieben, und er, der des Kaisers Majestät als Büßer gesehen hatte, vor dem das glänzende Licht der Krone des heiligen deutschen Reiches zu einem trüben Irrlichte herabgesunken war, verlebte seine letzten Stunden in einer ärmlichen Hütte, fast einsam. Allein das Unglück vermochte ihn nicht zu beugen er behielt seine Würde und Gelassenheit, die bei ihm jeder komödienhaften Zuthat bar war, und nahm als Papst von der Welt, die er mit den Spuren seines Erdenwallens für tausend Jahre bedeckt hatte, Abschied. „Dilexi justitian et odi iniquitatem, propterea morior in exilio“ (Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Unbilligkeit gehaßt; darum sterbe ich in der Verbannung ) waren die letzten Worte, die der sterbende Papst am 25. Mai 1085 im Todeskampf lispelte.

Doch selbst weniger bedenkende Päpste, als jener Gregor, wußten sich im Sterben die Würde zu bewahren, ja manchmal eine Würde, die sie im Leben nie besessen. Am hervorragendsten in dieser Richtung scheint das Sterbelager Urban’s des Fünften, das im Jahre 1370 in dem weiten Palaste zu Avignon aufgeschlagen war. Urban der Fünfte wollte nicht zugeben, daß der apostolische Palast, wie es das Ceremoniel vorschrieb, während der Krankheit des Papstes unzugänglich war; er befahl alle Thore des Palastes zu öffnen und der Bevölkerung ungehindert den Zutritt bis an das Sterbelager selbst zu gestatten. Er wollte unter den Augen von zahlreichen Menschen den Todeskampf kämpfen, „damit die Welt sehe, wie nichtig die erhabenste Größe dieser Erde“. Der Befehl des Papstes wurde erfüllt; ganz Avignon war Zeuge der letzten Stunden Urban’s, und besser als durch die symbolische Handlung, welche in dem Verbrennen eines Häufleins Stroh bei der Papstkrönung besteht, wurde der Bevölkerung von Avignon das Wort verständlich gemacht: „Sic transit gloria mundi – so geht der Ruhm der Welt dahin.“

Emil Frischauer.