Stephan Girard’s Bank in Philadelphia
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Die Thatsache des rastlosen, ja beispiellosen Fortschreitens der Vereinigten Staaten von Nordamerika in Bevölkerung, Anbau, Handel, Gewerbsamkeit, Kunst und Wissenschaft, folglich auch in Macht und Reichthum, schien bis vor Kurzem so festzustehen, und fand so allgemeine Anerkennung in Europa, daß selbst feindselige Gesinnungen nicht wagten, aus Furcht sich lächerlich zu machen, ihr zu widersprechen. Nur über die Gründe, auf welchen diese Thatsache beruhte, schienen sich die individuellen Ansichten der Beurtheiler nicht vereinigen zu können. Es gab eine Parthei, welche der alten Welt weiß machen wollte, daß jenes transatlantische Wunder sozialer Entwickelung blos das Produkt materieller Ursachen sey, ein Spezial-Erzeugniß des nordamerikanischen Bodens, was man den Leuten da drüben mit derselben Resignation lassen müsse, wie seine Palmenwälder dem Afrikaner. Bewahre uns des Himmels Gnade, rief man aus, vor jedem Versuche, es den Nordamerikanern nachzuthun! Lasset uns das junge Amerika – als Bein von unserm Bein und Fleisch von unserm Fleisch – lieben, in Manchem
[81] selbst bewundern, ja sogar beneiden um Vieles; nur aber den thörichten Wahn nicht hegen, auf europäischem Boden Gleiches pflanzen zu können mit glücklichem Erfolge! Eine andere Parthei, diese von weit dunklerer Farbe, war unermüdlich im Streben, die Meinung Europa’s über nordamerikanische Zustände dadurch zu modifizieren, daß sie fort und fort die Ausnahmen zur Regel erhob und neben das Licht, das einmal nicht zu leugnen war, so tiefe Schatten stellte, daß ein Abenddämmerungs-Sein daneben ganz behaglich erscheinen mochte. Diese Partei legte am liebsten ihre Ansichten in den Spalten censurirter Tagblätter aus; denn auf die Massen zu wirken, deren Begriffe zu verfälschen, war ihre Absicht und ihr – Beruf. Keine Partei hatte es bequemer; denn sie pflügte ihren Acker als Monopol und eine Kontroverse, die sie bald zum Schweigen gebracht hätte, war in solcher Arena nicht möglich, folglich auch nicht zu fürchten. Noch viele andere, theils dunklere, theils hellere Parteischattirungen stellten mit mehr oder minderer Offenheit ihre Untersuchungen zur Schau. Divergenz in den Meinungen konnte nicht mannichfaltiger seyn als die über diese Fragen; aber sie hatte das Gute, allgemeines Interesse dafür zu erschaffen und jeden denkenden Menschen zu einem tiefen und selbstständigen Eindringen in die Grundursachen jenes Gedeihens aufzufordern, wovon der Westen ein so unerhörtes, nie geahnetes Schauspiel darbot.
Diese allgemeineren Untersuchungen führten bei der Mehrzahl zur Ueberzeugung, daß zwar in den Naturschätzen Nordamerika’s, in der großen Fruchtbarkeit seines jungfräulichen Bodens, in seinem unerschöpflichen Metall-, besonders aber in seinem Steinkohlenreichthum, und in der Fülle seiner natürlichen der Kunst vorarbeitenden Wasserkommunikationen, in seiner geographischen Lage endlich, welche ihm zwischen allen Weltzuckungen ein glückliches Neutralitätssystem zu verfolgen gönnt, ein Hebel seines Glückes zu suchen sey: daß aber Ursachen nicht materieller Art doch einen weit größern Theil daran haben, als jene.
Vor allen andern erkannte man als eine solche seine Verfassung. Ihr verdankt Nordamerika den freiesten Spielraum jeder, nicht zur Mißachtung fremder Eigenthumsrechte ausartenden Privatthätigkeit in den Gebieten der Industrie wie des Handels, der Kunst wie der Wissenschaft. Nach dem Maaße seiner Kräfte und Mittel bewegt jeder Amerikaner sich in selbstgewählter Richtung; nirgends stößt er auf eine „väterliche“ Präventionspolizei und Bevormundung, nirgends auf hemmende Einflüsse feudalistischer Interessen, denen irgend eine Entwickelung zu schnell geht, oder staatskirchlicher, denen sie zu weit führt, oder monopolistischer, denen sie ihre Existenz bedrohend erscheint. Derb, kräftig, sehr regsam, voll Arbeitsmuth, eben weil er die Früchte seiner Arbeit nicht mit Andern, die keine Arbeit thun, zu theilen hat, aus verschiedenem Ursprung gemischt, gleichsam ein collectiver Sitz aller Haupteigenschaften der verschiedenen Nationen, bildet er diese Eigenschaften auf die für seine Zwecke und Verhältnisse angemessenste Weise aus und er bedient sich ihrer im freien Spielraum um so wirksamer, als derselbe nicht nur, dem Natur- wie dem positiven Rechte nach, unbeschränkt ist, sondern auch eine physische Gränze desselben in den ersten Jahrhunderten noch nicht gedacht werden kann. So arbeitet der Amerikaner unablässig, weil sicher, nicht um die Frucht [82] seiner Arbeit betrogen zu werden; er verachtet die Gefahr, weil nicht durch stetes Gängelband daran erinnert und dafür – verweichlicht; er unterrichtet sich, nicht auf Regierungsbefehl und nicht nach genau vorher bestimmten Graden und nach festgesteckten Normen, sondern aus dem einfachen Grunde, weil nur Geschicklichkeit und Auszeichnung in freier Conkurrenz den Sieg erringen; er hält seine Zeit zu Rathe, weil der Zeitverschwender nothwendig zurückbleiben muß im allgemeinen Wettlauf um ihren Preis: – und er erringt diesen Preis, Wohlstand nämlich und die Mittel zum Lebensgenuß, binnen einer von ihm im Voraus zu berechnenden Zeit, durch Ausdauer und, in der Regel, mit Zuverlässigkeit.
Sollte alles Dieß Traum gewesen seyn? Fast möchte man so glauben, wenn man die Urtheile ließt, welche sich seit einem halben Jahre in Europa Geltung zu verschaffen suchen, und nach welchen nichts Gewisseres ist, als daß der amerikanische Wohlstand wie Seifenblasen zerronnen sey. – Wahr ist’s, fürchterlich waren die Schläge, die der amerikanische Handel durch die Katastrophe erlitten, welche ein Uebermaaß in Gewährung und Benutzung des Kredits herbeigeführt: aber wenn ein solcher Sturm das Glück der Nation hätte vernichten können, dann hätte es fürwahr auf schwacher Basis geruht! Dem ist nicht so! Die Krisis ist vorüber, der Sturm hat ausgetobt, und Amerika hat die Prüfung bestanden. Manches Vermögen hat er verschlungen; aber die Reinigung einer durch Spekulations-Uebertreibung unheimlich und krankhaft gewordenen Atmosphäre in der Handels- und Gewerbswelt ist dadurch nicht zu theuer erkauft. – Unleugbar sind die Nachwehen einer so heftigen Erschütterung aller Geldverhältnisse, wie sie der Zahlungs-Aufschub aller Banken und von fast der Hälfte aller Großhandlungshäuser der Union bewirkte, noch jetzt für eine Menge Einzelner empfindlich, und die fortwährenden Klagen über Noth dürfen, von diesem Standpunkte aus, nicht befremden. Aber eben so gewiß ist’s, daß der dortige Zustand, ausgebeutet von der aristokratischen Faktion jenseits, und einer gewissen Politik des europäischen Continents gar willkommen, übertrieben geschildert worden, und der zehnte Theil der aufgetragenen Farbe hingereicht hätte, wenn es den Berichtgebern darum zu thun gewesen wäre, ein Bild hervorzubringen, das wahr sey. Man hat die Gelegenheit gut benutzt, seinen Aerger über ein neues und freies Volk, das im Adlerfluge die gebildetsten Völker der alten Welt überholt hat und alle frühere Unglücks-Weissagungen des Neides durch ein unausgesetzt-fortschreitendes, beispielloses Gedeihen lächerlich machte, Luft zu machen, und Mancher glaubt diesen Leuten noch jetzt auf’s Wort, daß in Amerika Alles zu Grunde gegangen sey. Aber man würde der Wahrheit näher seyn, wenn man sie am entgegengesetzten Ende suchte! – Das Nationalvermögen der Union ist durch die Katastrophe nicht um einen Cent weniger geworden. Amerika ist’s ergangen, so etwa, wie es unserm Welttheil ergehen würde, wenn ein Congreß der Mächte Europa’s alle Staatspapiere mit einemmale zu Makulatur, und die Staatsschulden, die sie repräsentiren, für erloschen erklärte. Geschähe dieses, so wären hunderttausend jetzt reiche Leute Bettler; aber würde Europa dadurch um einen Deut [83] nur ärmer? Nein! denn diese National-Schuldscheine repräsentiren nichts vom Nationalreichthum, und eben so wenig thun solches die 400 Millionen Dollars Noten der amerikanischen Banken, welche in Folge der Zahlungseinstellungen aller dieser Institute jetzt 20 bis 60 Prozent an ihrem Nominalwerthe verlieren. Was Amerika erlebt und leidet, hat England schon zweimal in gleichem Maaße ertragen, und Amerika selbst hat früher viel Schwereres überwunden. Als Großbritannien, siegtrunken, im Jahre 1814, seine Heere, Napoleons Ueberwinder, in’s Tochterland entsendete, zum schmachvollen Versuche, ihm die alten Fesseln wieder anzulegen; als es damals die Flagge der Union von allen Meeren verjagte, ihre Schiffe wegnahm und ihre Häfen verschloß: da waren der Bankrotte nicht weniger und der Krieg wälzte eine Last von zwei hundert Millionen Dollars auf das zur Selbstvertheidigung gebrachte Land. Und siehe! Kaum waren zwei und zwanzig Jahre verflossen und jene Staatsschuld war bei Heller und Pfennig getilgt, die, so prophezeite man einst, Amerika erdrücken sollte; ein Schatz von 40 Millionen Thalern war gesammelt, und alle Werthzeichen des Nationalreichthums, Grundstücke, Häuser, Kriegs- und Handelsflotten, Handels- und Industrie-Kapitale, Vertheidigungsmittel waren auf mehr als das Zwölffache gestiegen. Geht nur hin! möchten wir Denen zurufen, welche die junge Braut der Freiheit auf der Bahre glauben, und schaut ihr in’s Antlitz! Betrachtet diese tief durchschnittene Ostküste mit ihren Häfen und Bayen ohne Zahl, und bewacht von Vertheidigungswerken, die sie unangreifbar machen; seht eine Handelsmarine, die der Englands fast gleich ist an Menge, und zählt eine gerüstete Kriegsflotte, welche schon jetzt Amerika die zweite Stelle unter den Seemächten anweist. Verwundert werdet ihr die segelwimmelnden Mündungen von Strömen zählen, die in jedem europäischen Binnenschifffahrtssystem eine Hauptrolle spielen würden, allein dort, wo der Maaßstab riesenhaft ist, zur zweiten und dritten Stufe herabsinken. Und wenn ihr durch Wälder von Masten aus diesen Strommündungen in’s Land gedrungen seyd und ihr euch an Ufern ergötzt habt, oft herrlicher, als die Ufer des Rheins, nur daß statt Ruinen der Burgen von Raubrittern und feudalistischen Zwingherren freundliche Villen fleißiger Bürger die Höhen krönen; – wenn ihr euch an den großen Stapelplätzen der Industrie und des Welthandels, an dem London der West-Welt, New-York, an dem reichen Boston, an Baltimore, Philadelphia etc. satt geschaut: dann schwinget euch auf den das unermeßliche Reich in allen Richtungen durchkreuzenden Eisenbahnen, oder auf einem tausend Meilen langen Kanale mit der Kraft, die den Menschen dort drüben schon seit lange Adlerschnelligkeit verleiht, über die Gebirgsrücken des Alleghanies, in das Mittelgebiet der Union, dorthin, wo der Welt herrlichster Strom mit tausend Armen der Erde fruchtbarstes Gebiet umfaßt, – ein Gebiet sechzigtausend Quadratmeilen groß. Was vor 20 Jahren eine undurchdringliche Wildniß gewesen, eine Heimath, in die sich Kannibalen und reißende Thiere theilten, werdet ihr verwandelt sehen in die großartigste Werkstatt kommender Staaten und Nationen, in welche sich von Süd, von Ost und von Nord Ströme der Bevölkerung unausgesetzt ergießen. Staunend werdet ihr auf der Stelle gerodeter Urwälder, in den Thälern des Mississippi und seiner Zweigströme 1200 Städte erblicken, und Hochschulen [84] für Religion, Wissenschaft und allerlei Künste gedeihen im Schooße der kaum gebornen Orte, die befruchtend Licht streuen in die fernsten Winkel der Erde. Missionaire, am Ohio gebildet, bekehren jetzt in Hinterindien. Und wenn ihr euch auch daran satt gewundert habt, dann laßt euch auf der rastlos westwärts dringenden Woge der heimathsuchenden Menschen hin an den Fuß der Felsengebirge tragen, und hört staunend in deren Schluchten die holzfällende Axt der Pioniers, welche die nahe Eroberung dieser beschneiten Vesten der westlichen Wildniß, und der Cultur baldiges Vordringen in die Thäler des Columbia euch laut verkündigen. Erst am Gestade des großen Oceans wird sie rasten, und dort, (denn aus entgegengesetzter Richtung, von Australien her, civilisirt England), werden sich Mutter und Tochter am Ende ihres großen Tagewerks (des erhabensten, das der Allmächtige Nationen auflegt,) begegnen, und die Civilisation hat dann ihren Kreislauf vollendet.
Seht! so und nicht anders findet ihr das Amerika, das ihr verarmt und zu Grunde gerichtet euch träumt oder schildern laßt, von Menschen, die ein Interesse dabei haben, daß eine Lüge geglaubt wird, welche sie selbst verlachen. Immerhin mag ein Gewitter, wenn’s über ein Land zieht, manches Saatfeld zerschlagen; aber was dem Einzelnen Verderben bringt, ist dem Ganzen ein Segen.
In einem Lande, wie Nordamerika, wo dem Fleiße, der Geschicklichkeit und dem Unternehmungsgeiste die breitesten Bahnen zum Erstreben von Reichthum und Ansehen offen liegen, und wo die meisten Güter des Lebens nicht ererbt, sondern erworben werden, in einem solchen ist das „Glückmachen“ eben so häufig, als es in der alten Welt selten geworden ist. Die reichsten Individuen der Union fingen arm an, und unter den jetzt lebenden Regierungshäuptern der 27 Freistaaten sind nicht weniger als sechs, welche, als sie einwanderten, nichts hatten als gesunde Arme, mit welchen sie die Hütte, ihre erste Wohnung auf freier Erde, sich selbst bauen mußten. Ein ähnliches Beginnen hatte Stephan Girard in Philadelphia, welcher im vorigen Jahre als der reichste Mann in der neuen Welt starb. Als ein armer Knabe kam er hinüber, und sein erster Geschäftsfond war ein geliehener Dollar; nach 60 Jahren schätzte man sein Vermögen auf 20 Millionen. Seine Schiffe befuhren alle Meere; er hatte Etablissements in allen Welttheilen, und die Bank, die seinen Namen trug, die einzige in der Union, welche nicht auf Aktien errichtet wurde, stattete er mit 3 Millionen aus. Dabei war er der Vater der Armen, und kein Bedrängter, der sich an ihn wendete, ging unberathen und ungetröstet von ihm. Auf die Unterstützung und Errichtung von das allgemeine Wohl fördernden Anstalten hat er während seines Lebens über 5 Millionen Dollars verwendet. Das Streben nach äußerer Auszeichnung war ihm von Natur so zuwider, daß er nie einen andern Titel wollte, als den des Bürgers, und stets sagte, daß kein anderer den Mann so ziere. Als er starb, legten Tausende seiner Mitbürger freiwillig Trauer an, und der Congreß ehrte sein Andenken durch die rühmliche Erwähnung seiner Tugenden und Verdienste.