Textdaten
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Autor:
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Titel: Sprache ohne Worte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 499,500
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[500] Sprache ohne Worte. Ein sehr reichhaltiges Thema! Unsere Leser werden dabei an dieses oder jenes Zeichen und Symbol denken; aber sie werden kaum glauben, daß man eine umfangreiche Schrift über diese „Sprache ohne Worte“ schreiben kann. Und doch hat neuerdings Rudolf Kleinpaul unter diesem Titel ein solches Werk verfaßt. Da erfahren wir zuerst, daß es eine Sprache giebt, ohne Absicht der Mittheilung und Gedankenaustausch, eine Sprache der religiösen Symbole, der Ahnungen und Traume, eine Sprache der Mienen und Gebärden, denen sich dann erst eine solche mit Absicht der Mittheilung, ohne oder mit Gedankenaustausch anschließt.

Wir treten in ein Kuriositätenkabinet und ein ethnographisches Museum; der vielbelesene Autor bringt aus der ganzen Weltlitteratur seine Beispiele und Anekdoten herbei. Wir erfahren dabei manches Neue, auch aus der neuesten Zeit. Es wird sehr viele unserer Leserinnen gewiß interessiren und auch überraschen, wenn sie von einer „Briefmarkensprache“ hören, die besonders von den Damen der Reichshauptstadt gepflegt wird. Man sollte kaum glauben, daß ein so nüchternes Postwerthzeichen zum Ausdrucke der Empfindungen gewählt werden kann, und doch wetteifern die Fünf- und Zehnpfennigmarken hierin mit Rosen, Veilchen, Goldlack, Astern und Hollunderblüthen und dem ganzen östlichen und westlichen Selam der Blumensprache und ein Empfänger oder eine Empfängerin weiß schon, ehe sie den Brief eröffnet, was sie vor allem aus ihm erfahren will und was vielleicht nicht einmal darin steht, wenn die Vorsicht es verbietet. Wie aber ist das möglich? wird man fragen. Eigentlich soll die Freimarke auf dem Kouvert in die Ecke rechts oben geklebt werden; da aber diese Vorschrift nicht streng ist, so läßt sich die Marke auch an anderen Stellen des Kouverts aufkleben, und ebenso kann man sie aufrecht, quer und verkehrt anbringen. Daraus ergeben sich nun für den Kundigen allerlei Offenbarungen und Bedeutungen. Eine Briefmarke z. B. rechts oben und aufrechtstehend sagt: ich wünsche Deine Freundschaft; links oben und aufrecht sagt sie: ich liebe Dich! Rechts oben verkehrt meint sie: Schreibe nicht mehr! Links oben quer: Mein Herz gehört einem andern etc. Gewiß, von diesen postalischen Geständnissen mittelst Briefkouverts hat sich Excellenz Stephan auch bei seinen kühnsten Neuerungen, bei seinen die ganze Welt beherrschenden Reformen nichts träumen lassen.

Ueber Lachen und Weinen, über den Kuß, die Bildersprache finden sich allerlei sinnige und ergötzliche Mittheilungen. Wie man heutzutage das Lachen kauft und die Heiterkeit bestellt, um damit Reklame zu machen: das belegt der Verfasser mit der Anekdote von den Pariser Sandwichmännern. Ein Sandwichman ist ein armer Teufel, der mit je einer Anzeigetafel auf der Brust und auf dem Rücken durch die Straße zieht. Seine Heimath ist London. An einem schönen sonnigen Herbstsonntagnachmittag des vorigen Jahres bemerkte man nun einen Zug von etwa fünfzig solcher Sandwichmänner in Paris. Sie boten nicht den gewohnten Anblick trübselig hinschleichender, stumpfer Kopfhänger, sondern schienen allesammt von einer unbändigen Lustigkeit erfaßt zu sein. Jeder hielt ein Blatt in der Hand, in dem er las oder zu lesen vorgab, und drückte auf die mannigfaltigste Weise das größte Ergötzen aus. Der eine blieb alle paar Schritte stehen, warf den Kopf zurück und hielt sich die Seiten vor Lachen; der andere krümmte sich, von einem lautlosen Gelächter geschüttelt; der dritte machte Luftsprünge und hob beide Hände wie außer sich in die Höhe und so, mit beständiger Abwechslung, die ganze Reihe der Fünfzig entlang. Was bedeutete das? Waren die Leute plötzlich verrückt geworden? Hatten sie Lachgas geathmet? Nein. Die Sache war viel einfacher. Wie ein Blick auf ihre Anzeigetafel lehrte, waren sie dafür bezahlt, die Aufmerksamkeit des Publikums auf ein neues Witzblatt zu lenken, und ihre Auftraggeber hatten den Einfall gehabt, die großartig erheiternde Wirkung ihrer Zeitung durch Sandwichmänner mimisch darstellen zu lassen.
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