Textdaten
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Autor: Dr. Otto Kuntzemüller
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Titel: Spandau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 582-583
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Spandau.
Ein Städtebild von Dr. Otto Kuntzemüller.

Von der Stadt Spandau bilden sich Leute, welche den Ort nicht aus eigener Anschauung kennen, vielfach gar wunderliche Vorstellungen. Aus der Geschichte wissen sie, daß in der Citadelle Spandaus mancher Staatsverbrecher büßen mußte; auch von dem Zuchthause zu Spandau haben sie gehört, ferner von Hinrichtungen, die in der Stadt vorgenommen wurden, und endlich gar noch von bösen Fiebern, welche dort jeden bedrohen. Ein Zug tiefsten Bedauerns erscheint daher auf den Gesichtern dieser Leute, wenn man sich ihnen als „Spandauer“ vorstellt, als ob man dort seine Tage bei Wasser und Brod hinter kleinen Gitterfenstern zubringen müßte. Besuchen solche Leute aber einmal die Stadt, so sagen sie einem in der Regel: „Bei euch ist es wirklich gar nicht so schrecklich, wie wir es uns vorgestellt haben.“ Und in der That: Spandau ist besser als sein Ruf. Es ist nicht die schlechteste von den Städten der Mark, und von allen den ihr angedichteten Schrecknissen existirt in Wahrheit kein einziges.

Von den Höhen der Umgegend aus gesehen, gewährt Spandau, wie es sich in der Niederung am Zusammenflusse von Spree und Havel ausbreitet, einen überaus freundlichen Anblick. Die Havel läßt nur an einzelnen Stellen ihre Fluthen durch die zum größeren Theile den Fluß verdeckenden Gebäude hindurchschimmern. Die Spree aber wälzt ihre dunklen Wogen am Fuße des Spandauer Berges, des sogenannten Bockes, vorbei in mächtiger Krümmung der Havel zu; sie bespült lachende Wiesen. Und nicht blos die Spree, auch die beiden Eisenbahnen, die Hamburger und die Lehrter Bahn, welche in divergirenden Linien vom Bocke aus der Stadt zulaufen, tragen mit ihren häufigen Zügen wesentlich zur Belebung des Vordergrundes bei. Dunkle Föhrenwälder, hin und wieder durchsetzt von Laubholz, heben sich mit welligen Formen vom Horizonte ab und geben dem ganzen Bilde einen freundlichen Rahmen.

Die Stadt Spandau selbst mit dem Alles überragenden Thurm von St. Nicolai ist zum größten Theile auf dem rechten Ufer der Havel gelegen. Hier breitet sich die Altstadt aus, welche erst jetzt ihrer beengenden Mauern und Wälle entkleidet wird, umgeben von ausgedehnten Vorstädten: der Potsdamer Vorstadt, Klosterfelde und der Oranienburger Vorstadt. Auf dem linken Havelufer liegt südlich der Spree: der Stresow mit dem Hamburger Bahnhofe, den beiden Casernen des vierten Garde-Regiments, der königlichen Geschützgießerei und der königlichen Artilleriewerkstatt, während sich nördlich der Spree die Citadelle mit dem jetzt weltbekannten Julius-Thurm (vergl. „Gartenlaube“, 1880, Nr. 47), die königliche Gewehrfabrik und die königliche Pulverfabrik dem Blicke darbietet. Eine fünfte fiscalische Fabrik, das königliche Feuerwerkslaboratorium, befindet sich auf dem Eiswerder, einer großen schönen baumreichen Insel in der seeartigen Havelerweiterung nördlich der Citadelle. Trotz ihrer vielen rauchenden Essen geben diese großartigen Fabrikanlagen der Stadt dennoch kein schwarzes düsteres Aussehen.

Die Hauptstraßen der Altstadt sind breit und sauber, eingefaßt von zum Theil recht stattlichen Häusern, unter denen die sogenannte „Schloßcaserne“, das ehemalige Zuchthaus – heute existirt in den Straßen Spandaus kein Zuchthaus mehr – besonders hervorragt.

Von den übrigen Gebäuden sind zu nennen: das Rathhaus am Markte, das Gymnasium, das in keiner Weise den heutigen Anforderungen genügt – es ist in Bezug auf seine bauliche Einrichtung vielleicht das jammervollste im ganzen preußischen Staate – die Töchterschule, die katholische Kirche, das Garnisonlazareth und endlich die evangelische Kirche St. Nicolai, welche berufen war, in der Geschichte des brandenburgisch-preußischen Staates eine hervorragende Rolle zu spielen.

Die Oranienburger Vorstadt kann schon jetzt als zur inneren Stadt gehörig betrachtet werden, da sie von der bedeutend erweiterten Stadtbefestigung, der neuen Enceinte, gänzlich umschlossen wird, und da der Wall, welcher sie bisher von der Altstadt trennte, zum Theil schon gefallen, bald gänzlich verschwinden soll; mit ihm wird hoffentlich auch der letzte Rest der alten Stadtmauer fallen. Sind aber Wall und Mauer erst geschwunden, dann bildet die Oranienburger Vorstadt den Stadttheil, in welchem die Zukunft Spandaus liegt; denn das Terrain, welches sie einnimmt, ist ungefähr sechsmal so groß, wie die ganze Altstadt, bietet also reichlich Gelegenheit zu allen möglichen Anlagen.

Wie die Oranienburger Vorstadt, so ist auch der durch stattliche Gebäude ausgezeichnete Stresow, nachdem die alte Stadtmauer längs der Havel von der Charlottenburger Brücke bis zum Garnisonlazareth gefallen, als zur innern Stadt gehörig anzusehen.

Zu den besonderen Reizen Spandaus gehört die prächtige Umgegend: der Tegeler-See mit seinen waldreichen, malerisch schönen Ufern, der Spandauer Bock, durch Natur und Kunst eines der anmuthigsten Vergnügungslocale in der ganzen Umgebung Berlins, der Grunewald mit seinem Wildreichthum und vor allem die lieblichen Havelufer zwischen Spandau und Potsdam.

Spandau ist eine der ältesten Städte der Mark Brandenburg. Sie verdankt ihre Entstehung der Burg „Spandow“, welche Markgraf Albrecht der Bär um’s Jahr 1160 gründete, um das Havelland, in dessen vollen Besitz er nach der Eroberung Brandenburgs im Jahre 1157 gekommen war, gegen Angriffe der noch nicht unterworfenen Wenden des Barnim und Teltow zu sichern. Diese Burg lag auf dem Terrain, welches heute die Citadelle der Festung Spandau einnimmt, und ihren Namen erhielt sie ohne Zweifel von einer Ansiedlung wendischer Fischer, neben welcher sie erbaut wurde. Die Reste dieser vorgermanischen Ansiedler am Zusammenflusse von Spree und Havel finden wir vermuthlich in den Wenden auf dem Kietze, welche bis zum Jahre 1560 neben der Burg oder dem Schlosse „Spandow“ wohnten und eine schloßunterthänige Dorfgemeinde bildeten.

Nach Gründung der Burg, welche auf einer Insel in der Havel gelegen war, siedelten sich auf dem rechten Havelufer der Burg gegenüber deutsche Kriegsknechte und Handwerker an, und es entstand so allmählich der Markflecken Spandow, dessen Bewohnern die Markgrafen Johann der Erste und Otto der Dritte 1232 brandenburgisches Stadtrecht ertheilten. Seit 1231 giebt es also eine deutsche Stadt „Spandow“, oder wie sie heute genannt wird, „Spandau“. In den Jahren 1319 bis 1386 wurde sie durch eine Mauer befestigt, die auf der Westseite und zum Theil auf der Ostseite noch erhalten ist. Von den sechs Thürmen, welche dieselbe ehemals schmückten, steht nur noch der des alten Stresowthores, der als „der Rundthurm am Charlottenburgerthore zu Spandau“ in jüngster Zeit viel von sich reden gemacht hat; sogar die preußische Landesvertretung hat sich mit ihm beschäftigt. Einige sanguinische, um nicht zu sagen fanatische, Verehrer mittelalterlicher Befestigungsbauten wollen denselben durchaus erhalten sehen und brachten es zuwege, seinen bereits beschlossenen Abbruch noch in letzter Stunde zu verhindern, indem sie vorgaben, der [583] Thurm habe großen historischen und architektonischen Werth. Historischen Werth hat er nur insofern als er der letzte von den sechs Thürmen ist, welche ehedem die Stadtmauer Spandaus krönten; alles, was man ihm sonst andichtet, ist eitel Erfindung. Keine Sage knüpft sich an diesem Thurm, und in der Geschichte der Stadt spielt er nur die untergeordnete Rolle eines Statisten. Ein architektonischer Werth kommt ihm ebenfalls nicht zu; denn die Mark hat viel besser erhaltene Befestigungsthürme zu Dutzenden. Er ist nichts, als ein hinderlicher, die Stadt verunzierender Backsteincylinder, keine sagenumwobene Säule, die da zeugt „von entschwundener Pracht“. Möge er bald das Schicksal seiner in Schutt gesunkenen Genossen theilen!

In den Wirren, welche das Auftreten des sogenannten falschen Waldemar über die Marken brachte, stand Spandau zuerst auf Seiten der Anhaltiner, nachdem aber die Aussöhnung zwischen den Luxemburgern und Wittelsbachern erfolgt war, hielt die Stadt als eine der ersten wieder treu zu ihrem rechtmäßigen Landesherrn, Markgraf Ludwig dem Aelteren.

Der Reformation zeigten sich die Bürger Spandaus früh geneigt, und als die verwittwete Kurfürstin Elisabeth 1535 nach dem Tode ihres Gemahls, Kurfürst Joachim’s des Ersten, in dem Schlosse Spandau, das ihr bereits 1508 als Wittwensitz verschrieben worden war, Wohnung nahm, scheint in der Stadt lutherischer Gottesdienst abgehalten worden zu sein. Der förmliche Uebertritt zur Reformation erfolgte am Allerheiligentage 1539, wo es geschah, daß Kurfürst Joachim der Zweite in der Nicolaikirche zu Spandau aus den Händen des Bischofs Matthias von Jagow das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfing und damit öffentlich der Reformation beitrat. Nach dem im Jahre 1555 erfolgten Tode seiner Mutter faßte der Kürfürst den Entschluß, neben der Stadt Spandau eine Festung zu erbauen, die so angelegt werden sollte, daß sie das ganze alte Schloß umgab, und schon 1560 begann der Baumeister Christos Römer den Bau. Der Italiener Giaramella de Gandino setzte denselben 1572 bis 1578 fort, und Graf Rochus Guerini zu Lynar vollendete ihn 1594. Im Jahre 1580 erhielt die Festung, die jetzige Citadelle, die erste Besatzung von drei Rotten Landsknechte, im Ganzen vierundzwanzig Mann mit einem Guardihauptmann. Der Julius-Thurm, vermuthlich erbaut in der Zeit Kaiser Karl’s des Vierten, ist der letzte Rest des alten Schlosses „Spandau“.

Ob der Entschluß Joachim’s des Zweiten für die Stadt Spandau heilbringend gewesen ist? Schwerlich! Spandau, am Zusammenflusse zweier schiffbarer Ströme gelegen, erfüllte alle Bedingungen, um sich zu einer Industriestadt zu entwickeln, aber die Citadelle, welche die Befestigung der Stadt nach sich zog, hat die industrielle Entwickelung Spandaus lahm gelegt.

Im Dreißigjährigen Kriege brachten die immer drückender werdenden Contributionen und Materiallieferungen, die zu wiederholten Malen mit Heftigkeit auftretende Pest, die häufigen Einquartierungen einer mehr als anspruchsvollen Soldateska die Stadt, welche aus Grund der Capitulation vom 4. Mai 1631 von den Schweden besetzt wurde und bis zum Mai 1634 in deren Händen, blieb, an den Rand des Verderbens. Die aus jener trüben Zeit zu uns herübertönenden Klagerufe sind so herz- und markerschütternd, daß wir uns das Elend nicht groß genug vorstellen können. Am Ende des Krieges lag die Hälfte der Häuser Spandaus in Trümmern; die Einwohnerzahl war auf ein Dritttheil herabgesunken, und dieses Dritttheil bestand aus verarmten, geistig und moralisch heruntergekommenen Menschen. Es bedurfte langer Jahre, ehe die Wunden, welche der schreckliche Krieg geschlagen hatte, wieder geheilt waren.

In die Zeit des Dreißigjährigen Krieges fällt auch die Umwandelung der bisher nur durch Mauer, Wall und Graben geschützten Stadt in eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Festung. Nachdem im Jahre 1626 durch Kurfürst Georg Wilhelm verordnet worden war: „die Stadt Spandau solle also fortificirt werden, daß man bei sich ereignendem feindlichem Angriffe in dieselbe retiriren und sich schützen könne“, begannen die Arbeiten, und besonders energisch wurden sie betrieben, als Graf Adam von Schwarzenberg als Statthalter der Mark auf der Citadelle Wohnung genommen hatte. Damals wurden sämmtliche Vorstädte und mit ihnen die Heiligegeistkirche sowie die Gertraudenkirche auf dem Stresow zerstört.

Das achtzehnte Jahrhundert bietet in der Geschichte Spandaus mit Ausnahme der im Jahre 1722 erfolgten Anlage der Gewehrfabrik keine Ereignisse von allgemeinem Interesse. Trübe Zeiten brachen im Anfange dieses Jahrhunderts über die Stadt herein. Der Unglückstag von Jena und Auerstädt führte die Franzosen nach Spandau. Ohne einen Schuß gethan zu haben, überlieferte der kopf- und energielose Commandant am Nachmittage des 25. October 1808 die Festung die Feinde, und bis zum 3. December 1808 hatte Spandau die Franzmänner in seinen Mauern. Der Ausbruch des Krieges gegen Rußland im Jahre 1812, in welchem Preußen der Verbündete Napoleon’s war, gab der Stadt wiederum eine französische Besatzung, und als dann im folgenden Jahre Preußen ein Bündniß mit Rußland geschlossen hatte, wurde Spandau am 24. Februar 1813 von den Franzosen in Belagerungszustand versetzt. In Folge dessen ereignete sich das furchtbare Schauspiel, daß sämmtliche Vorstädte niedergebrannt wurden.

Die Belagerung der Festung begannen im März die Russen, die aber bald von den Preußen abgelöst wurden. Am 17. April eröffneten die Belagerer das Bombardement auf die Citadelle und die Batterien am Berliner Thore und setzten es in den folgenden Tagen mit großer Heftigkeit fort. Dabei fielen einige Bomben in die hinter der Batterie am Berliner Thore liegenden Häuser und verursachten eine Feuersbrunst, welche mehr als sechszig Häuser in Asche legte. Nach Abschluß der Capitulation übergaben die Franzosen die Festung am 27. April den Preußen, die mit unermeßlichem Jubel von der schwergeprüften, nun aber wieder frei athmenden Bevölkerung empfangen wurden.

In eine neue Entwickelungsphase ist Spandau in den letzten fünfundzwanzig Jahren durch Anlage der königlichen Fabriken und Erweiterung der Stadtbefestigung getreten. Die 1722 gegründete Gewehrfabrik ging 1855 in den Alleinbesitz des Staates über; 1839 wurde die Pulverfabrik, 1853 auf 1854 die Geschützgießerei, 1867 auf 1868 die Miiitärweckstatt gegründet. Alle diese Fabriken besorgen den Betrieb durch Civilarbeiter, seit 1870 auch das königliche Feuerwerkslaboratorium, weshalb die Arbeiterbevölkerung Spandaus nach Tausenden zählt. Dennoch ist die Stadt kein Industrieort im eigentlichen Sinne; denn größere Privatindustrie ist dort nicht vorhanden. Abgesehen von drei Schneidemühlen, einer Mahlmühle und zwei größeren Brauereien, beschränkt sich die gewerbliche Thätigkeit der Einwohner auf das Kleingewerbe, und der Handel ist im Wesentlichen auch nur Kleinhandel.

Die königlichen Fabriken und namentlich der Julius-Thurm haben der Stadt Spandau einen Weltruf verschafft. Seit 1875 birgt der Julius-Thurm in seinem obersten Theile den Reichskriegsschatz, hundertzwanzig Millionen Mark in wohlgeprägten Kronen und Doppelkronen, in hölzernen Kisten verpackt, nur den Herren der Reichskriegsschatzcommission zugänglich, den Schlüsselbewahrern.

Möge dieser Schatz noch lange unangetastet liegen als ein Hort des Friedens, Deutschland zum Heile!