Textdaten
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Autor: Eugen Gugel
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Titel: Soldat und Sänger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 569–571
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[569]
Soldat und Sänger.
Ein Bild aus den Münchener Einzugsfeierlichkeiten.


Ein Heer von Gasflammen erfüllte am Abend des 17. Juli 1871 mit blendendem Glanze jene Hälfte des Glaspalastes zu München, welche für das Banquet, das die Stadt den Officieren der Tags vorher festlich eingezogenen siegreichen Truppen gab, abgegrenzt worden war. Glänzend in zweifacher Bedeutung des Wortes war aber auch die Gesellschaft, die sich in diesem reichgeschmückten Raume versammelte, und, fast verschwindend unter der Menge besternter und bekreuzter Uniformen, waren nur die Inhaber der verschiedenen Gemeindeämter und Würden und die Männer der Presse im schmuck- und geschmacklosen Frack.

Trotz der Liebenswürdigkeit des deutschen Kronprinzen und der übrigen fürstlichen Gäste begann doch die eigentliche Festlust erst, nachdem diese sich verabschiedet hatten. Erst von da an gab sich Jeder mit völliger Ungezwungenheit dem Genusse des Augenblickes hin. Die Flaschen kreisten rascher, der schäumende Champagner äußerte seine lösende Wirkung auf die Zungen, sowohl im engeren Gespräche unter den nächsten Tischgenossen, als in ernsten und launigen Trinksprüchen, die nun manch Einer loslegte, der es sonst vermeidet, öffentlich eine Rede zu reden.

An einer der Festtafeln saß mitten unter lauter Söhnen des Mars ein „Bürger bei der Stadt“ (Bürger im engeren Sinne, Vollbürger), dessen stattliche Leibesumrisse deutlich darthaten, daß es ihm in diesem irdischen Jammerthale gar nicht schlecht ergehe. Sein Vater sel. war ein Preuße gewesen, und das mag wohl die Ursache sein, daß der wohlbeleibte Sohn, ein ehrsamer Handschuhmacher und Mitglied des Raths der Stadt München, in der Geschichte Preußens und seiner großen Männer vorzugsweise bewandert ist. Heute besonders gemüthlich angeheitert, ist er eben im besten Zuge mit seiner lebhaften Schilderung der Waffenthaten des alten Fritz und der Kriegsabenteuer seiner Generale, besonders Ziethen’s mit seinen Husaren, deren Epigonen in den Kämpfen gegen den corsischen Eroberer sich nicht minder mit Ruhm bedeckten. Da kann ein alter Herr mit weißem Haupthaar und ditto Vollbart, der im rothen, verschnürten Husarenrocke in der Nähe sitzt, sich nicht länger halten. Freudig bewegt, „gedenkend jener Herrlichkeit“ längst entschwundener Ruhmestage, springt er auf. „Bei den Ziethenhusaren bin ich ja auch gewesen, habe die Befreiungskämpfe mitgeschlagen und bin Anno dazumal auch als Sieger mit in das französische Babel eingezogen, wie in unseren glorreichen Tagen, die noch mitzuerleben mir der Herr gegönnt hat, Sie, meine werthen Herren Cameraden,“ ruft der rüstige Graubart, stürzt dann auf den Gevatter Handschuhmacher zu und streckt ihm mit den Worten die Hand entgegen: „Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle – Baron Elsholtz, dereinst Rittmeister im dritten Ziethen-Husarenregimente!“ Nun ging’s los. Kaum hatten die beiden Männer, Jeder ein Braver in seiner Art, sich herzhaft die Hände geschüttelt, als der weiland Husar von einem dichten Kreise von Kriegern sich umringt sah, die Alle dem alten Helden in das noch jugendfrische Auge sehen und ihn begrüßen wollten.

[570] In mir aber tauchten in diesem Augenblicke noch andere Erinnerungen auf. Elsholtz – der Name ist ja auch nicht unbekannt auf dem deutschen Parnaß! Kenn’ ich doch feine, geistreiche Lustspiele, attischen Witzes voll, und so manches frische, kernige Lied aus der gewandten Feder des alten Herrn, dessen schon Meister Goethe rühmend gedacht, und dessen poetische Ader heute noch nicht versiecht, der aber trotzalledem seit Jahren so viel wie verschollen ist. Wie kommt das? Er hat es wohl verschmäht, für sich Reclame zu machen, er hat sich in keine Ruhmesassecuranz-Gesellschaft auf Gegenseitigkeit aufnehmen lassen, und so ward er, der „zugleich ein Dichter und ein Held“, vergessen. Sein Stern erbleichte am deutschen Dichterhimmel, während so mancher Versifex, der sich selbst Dichter nennt und nennen läßt, ohne auch nur ordentlich Deutsch zu können, es zu einem „Renommée“ bringt, das freilich nur Ignoranten für baare Münze nehmen. Doch der heutige Abend hat ihn der unverdienten Vergessenheit entrissen.

Aus diesen Gedanken weckt mich eine gewaltige Rednerstimme. Ein hoher Militärbeamter hat eben einen der Tische bestiegen und bringt auf den rothen Husaren in begeisterten Worten einen Toast aus. Einen wesentlichen Antheil – ist der Grundgedanke seiner Rede – an der nationalen Erhebung und an der Befreiung des deutschen Vaterlandes vom fremden Tyrannen habe die damalige deutsche Jugend gehabt, und nicht minder habe ihr durch Körner und andere vaterländische Sänger im Liede verherrlichtes Beispiel zur Belebung und Kräftigung des Nationalgefühls unserer heutigen Jugend und dazu beitragen, daß diese mit gleicher Begeisterung auszog in den Kampf für des Vaterlandes Freiheit, Größe und Ehre und gegen denselben Feind gleich große Thaten vollführte. Es werde damit gewiß jeden Theilnehmer des schönen, erhebenden Festes erfreuen, zu vernehmen, daß Einer, der theilgenommen an jenen Siegen vor mehr als einem halben Jahrhundert, anwesend sei, und diesem Veteranen aus jener denkwürdigen Zeit zu Ehren fordere er die Versammelten auf, das Glas zu leeren.

„Hoch! hoch!“ und nochmal „hoch!“ schallt es aus Hunderten kräftiger Männerkehlen, und von diesem Augenblicke an ist der Veteran von 1813 der Gegenstand der allgemeinen, lebhaftesten Huldigung, der nunmehrige Mittelpunkt des Festes; Jeder will ihm die Hand drücken, Jeder ihm zutrinken. Er nimmt selbst das Wort und fügt an seinen Dank den Vortrag eines launigen Trinklieds. Man herzt und küßt ihn, Bürger laden ihn ein, sie in ihren Behausungen zu besuchen, wo auch ihre Frauen ihn begrüßen könnten; von einem Punkte des Saales zum andern wird der Veteran geschleppt, überall will man ihn haben, und so taucht der rothe Husar bald da, bald dort auf aus dem Kreise der ihn Umdrängenden, in der hoch erhobenen Hand den schlanken Kelch mit dem perlenden Schaumwein, womit er den ihm Zutrinkenden Bescheid thut, – ein unverwüstlicher Zecher, als stünde er noch im Mai seines bewegten Lebens. Und das ging so fort, bis der anbrechende Morgen mahnte, das Gelage zu enden. Man brach auf, und Viele steuerten auf dem Heimwege einen ziemlich schiefen Curs. Unserem Helden gab eine große Schaar seiner neuen Verehrer das Geleite, und Einige wollten ihn durchaus führen. Er aber wollte zeigen, daß er keiner Führung bedürfe, und der Beweis gelang, wenn auch der Schritt des alten Herrn nicht mehr ganz sicher, sondern durch die eben durchgemachte Zechcampagne etwas aus dem Gleichgewicht gebracht war.


Die Tage der Einzugsfeierlichkeiten waren vorüber, das Alltagsleben wieder in seine Rechte getreten. Für diejenigen geplagten Menschenkinder, die als Mitarbeiter der Tagespresse – vulgo Zeitungsschreiber –, um ihrer Berufspflicht zu genügen, nicht nur an all’ den verschiedenartigen Festlichkeiten Theil nehmen, sondern auch darüber eingebend Bericht erstatten mußten, waren diese Tage doppelt anstrengend gewesen und eine geistige und körperliche Abspannung die naturnothwendige Folge hiervon. So ging es auch mir, und ich dachte: ein Tag, tüchtig ausgenutzt, wird genügen, die erschlafften Kräfte wieder zu beleben, und so wanderte ich denn alsbald an einem herrlichen Morgen mit einem das gleiche Bedürfniß fühlenden Collegen nach dem Bahnhofe, um einen Ausflug nach dem Starnbergersee zu machen. Ohne einen bestimmten Feldzugsplan, lediglich froh, wieder einmal frische, reine Luft zu athmen, bestiegen wir in Starnberg einen Kahn und ließen uns zuerst nach Berg, dem bekannten königlichen Schlosse, hinüberrudern. Als wir so auf dieses unser nächstes Ziel lossteuerten, fiel uns ein anmuthiges Landhaus in’s Auge, das zwischen den das ansteigende Ufer bedeckenden Bäumen von der Höhe so einladend herunterlugte, daß es in uns die Lust erweckte, es näher zu betrachten und auch zu sehen, wer wohl darin hausen möge.

Gedacht, gethan. In Berg angelangt, stiegen wir den steilen Waldpfad hinan, und als wir die Höhe erreicht hatten, sahen wir uns vor einer Villa, die, von Blumenbeeten und Parkanlagen umgeben, auf ihrer Schwelle die Inschrift „Salve!“ zu tragen schien, wie wir denn auch schon auf dem Wege durch Mittheilungen der ländlichen Umwohner belehrt worden waren, daß jeder fremde Besuch dem gastfreundlichen Besitzer willkommen sei.

So traten wir durch das offene Pförtlein, welches die Umzäunung des Anwesens unterbrach, ohne Bedenken ein und sahen uns bald von einem bejahrten Herrn begrüßt, der in noch strammer Haltung sich mit der freundlichen Frage, was ihm das Vergnügen verschaffe, sich als den Herrn des Landsitzes kundgab. Aber diese Züge mußten wir schon einmal gesehen, diese Stimme schon früher gehört haben und zwar vor ganz kurzer Zeit. Und so war es. Während wir über unsere Persönlichkeiten Aufschluß gaben und den Zweck unseres Eindringens in sein Besitzthum nannten, fiel es uns wie Schuppen von den Augen: der hier vor uns stand, war ja – frohe Ueberraschung! – unser Banquetgenosse, der greise Ziethenhusar, frisch und lebhaft wie bei jener Festkneiperei. Der Alte vom Berge, in den sich der rothe Husar verwandelt hatte, war nicht minder, als wir, erfreut über dieses unerwartete Zusammentreffen, das Gelegenheit gab zum Austausch der beiderseitigen Erinnerungen an die im Glaspalaste zu München verlebten schönen Stunden. Unter seiner Führung promenirten wir nun in den weitläufigen Gartenanlagen, an deren Ende ein höchst origineller Kegelbahnbau unsere Aufmerksamkeit fesselte, dem ein mächtiger, wohl mehrhundertjähriger Eichbaum als Mittelpunkt und Stütze dient; besichtigten dann das Wohn- und Nebenhaus, wo wir wie überall mit dem feinsten Geschmacke in der Ausstattung die größte Einfachheit verbunden fanden; zuletzt erstiegen wir auch den Thurm, der eine entzückende Ausschau über die Alpenkette bis tief in das Salzburger Land hinein bietet.

Uns schien es nun Zeit uns zu verabschieden, unser Führer dagegen meinte, daß wir unsern Zweck vor der Hand nur halb erreicht hätten, weil zwar sein Haus und Garten nicht aber er selbst uns näher bekannt geworden sei. Und siehe, eine Flügelthür ward geöffnet und ein gedeckter, mit Flaschen und Speisen wohlbesetzter Tisch sichtbar, an welchem wir der herzlichsten Nöthigung gegenüber ohne allzu langes Widerstreben Platz und dann an dem kräftigen und pikanten Imbiß Theil nahmen, der nach dem Spaziergange ein gar angenehmes Labsal bot. Nachdem wir mit den trockenen Bestandtheilen reine Arbeit gemacht hatten, wurde noch energischer jenen flüssigen Stoffen zu Leibe gegangen, deren berechtigte Eigenthümlichkeiten schon in classischen Alterthum die gebührende Würdigung gefunden haben. Die Unterhaltung, die während der angestrengten Thätigkeit der Eßwerkzeuge sich nur in eingestreuten kurzen Bemerkungen geäußert hatte, floß nun rasch dahin wie das Bächlein, das unweit des Elsholtz’schen Besitzthums dem See zueilt, und unser jovialer Wirth entwickelte wieder jene jugendliche Lebhaftigkeit, die wir schon beim Festbanquet an ihm bewundert hatten, indem er bald amüsante Erlebnisse und lustige Streiche aus seinen Jugendjahren schilderte, bald in satirischen Glossen über politische, literarische, Bühnen-Zustände u. s. w. mit seinen Gästen wetteiferte.

Mein Wunsch, von den Schicksalen und dem Lebensgange unseres Gastfreundes mehr zu erfahren und zwar aus seinem eigenen Munde, wuchs durch all’ das immer mehr. Und ich gab ihm denselben durch die Bemerkung zu erkennen: „Wollen Sie, verehrter Herr Baron, unserem Verlangen, Sie selbst näher kennen zu lernen, vollständige Befriedigung verschaffen, so müssen Sie uns ein Bild von Ihrem Lebenslauf entwerfen; ich bitte also darum.“

„Wenn ich,“ erwiderte er, „von einer so bewegten, ereignißreichen Laufbahn, wie ich sie zurückgelegt habe, von meinen Wanderungen, Abenteuern und Bekanntschaften mit den bedeutendsten Persönlichkeiten des Jahrhunderts Ihnen nur die Umrisse zeichnen wollte, so müßte ich, da das Alter“ – fügte er lächelnd bei – „geschwätzig macht, Ihre Geduld auf eine starke Probe stellen. [571] Aber ich sehe schon, ich komme Ihnen doch nicht mehr aus; also sei es denn! Den Kaffee wollen wir aber, da der Tag so schön, und Sie jedenfalls nicht aus der Stadt herausgekommen sind, um auch hier in der Stube zu sitzen, im Freien trinken. Kommen Sie!“ Und er führte uns in die nach dem See zu gelegene Veranda, wohin inzwischen ein Diener den Kaffee und frisches Wasser brachte. Es ist ein reizendes Plätzchen, diese Veranda. Eine breite Lücke in dem grünen Blätterdache der Bäume, welche den wenige Schritte vor derselben abfallenden Berghang bekränzen, läßt das Auge über ein Stück des vom Strahle der Nachmittagssonne beschienenen blauen Seespiegels nach dem jenseitigen Gestade mit den zahlreichen Villen von Niederpöcking – von boshaften Zungen „Protzenhausen“ genannt – schweifen, während südwärts über die dortigen Baumgruppen hin einige schneebedeckte Häupter des Hochgebirges sichtbar sind. Nachdem wir eine Weile in stiller Beschaulichkeit das Auge an dem Anblick der herrlichen Wunder der Schöpfung geweidet, indessen unser Wirth die Tassen mit dem duftenden, braunen Mokkatranke gefüllt hatte, brannten wir Gäste uns Jeder einen Glimmstengel an. Der Baron aber, der auf unsere Frage, ob ihm nicht auch eine Cigarre beliebe, erklärte, daß er dem Genusse des – mit dem Gesundheitsapostel Ernst Mahner zu reden – „stinkgiftigen Schmauchkrautes“ nicht fröhne, ging nun an die gewünschte Erzählung seiner Erlebnisse.

„Bei der Erhebung des preußischen Volkes“ – begann er – „im Jahre 1813 bin ich, ein kaum achtzehnjähriger Jüngling, noch vor Vollendung meiner Studien dem Rufe des Vaterlandes folgend, als Freiwilliger in das dritte Ziethen-Husaren-Regiment getreten, habe an den Schlachten und Gefechten von der Katzbach bis an den Rhein Theil genommen und als Mitglied des vor der Schlacht bei Leipzig gebildeten Streifcorps unter Führung der Generale v. Thielemann und Orloff-Denisow die vielfachsten Mühen, Wagnisse und Gefahren bestanden, mich aber hiefür durch mancherlei Lustbarkeit und Gewinn entschädigt gesehen. Was ich damals durchgemacht, ist aus meinen zur fünfzigjährigen Jubelfeier der Leipziger Schlacht herausgegebenen ‚Veteranen-Liedern‘[1] – zu entnehmen. Durch mein geringes Gesangstalent und den Vortrag von mancherlei Liedern in verschiedenen Sprachen erwarb ich mir aber auch nicht blos den Beifall der Cameraden am Wachtfeuer, sondern auch die Gunst der Vorgesetzten und machte mich nicht selten eines Platzes an der wohlbesetzten russischen Generalstafel theilhaftig. Ebenso trug meine diensteifrige Verehrung für das schöne Geschlecht in Städten und Dörfern mir manche liebliche Frucht und verschaffte mir im damaligen Hauptquartier der verbündeten Monarchen zu Frankfurt am Main die Beiziehung zu den höchsten Cirkeln, wo der einfache Freiwillige in seinem abgeschabten Husaren-Pelze im Beisein von Kaisern und Königen und zum höchsten Erstaunen der gold- und silberfunkelnden, bekreuzten, besternten und bebänderten Umgebung von den schönsten Frauen sich mit Aufmerksamkeiten und Liebkosungen überhäuft sah.

Unter solchen Vorgängen aber,“ fuhr der Erzähler fort, „war der Freiwillige zum Officier befördert und einer neuen Bestimmung überwiesen worden, deren Antritt jedoch vor der Hand ihm versagt blieb, indem ich bei Ueberschreitung des Rheines am 1. Januar 1814 durch eine Verwundung am rechten Arme an der Fortsetzung des Marsches gehindert wurde. Diesseits des Stromes zurückgehalten, um meiner Heilung obzuliegen, nahm ich abwechselnd in Darmstadt und Frankfurt am Main meinen Aufenthalt. War derselbe auch ein unfreiwilliger, so entbehrte er doch keineswegs Annehmlichkeiten, besonders in Folge der mancherlei dort angeknüpften Bekanntschaften; unter diesen erwähne ich nur die mit dem berühmten Componisten Abt Vogler, welcher ein von dem Verwundeten gedichtetes Kriegslied in Musik setzte, dann mit Bürger’s Gattin und mit Helmine v. Chezy. Im März desselben Jahres war ich endlich wieder so weit hergestellt, daß ich unserer in Frankreich stehenden Armee nachfolgen und an ihrem Einzug in Paris Theil nehmen konnte. Im Juni in das Vaterland zurückgekehrt, führte mich der in Folge der Entweichung Napoleon’s von Elba wieder ausgebrochene Krieg abermals in’s Feld und im Juni 1815 zum zweiten Male nach Paris. Im August machte ich dem stolzen Albion einen Besuch und hatte in London die Ehre, dem Prinz-Regenten vorgestellt zu werden. Nach abermaliger Rückkehr in die Heimath suchte und fand ich eine Civil-Anstellung und zwar bei der Regierung in Köln, womit die Ernennung zum Officier bei der rheinischen Landwehr-Cavallerie verbunden war. Da jedoch diese Stellung meiner Neigung zu dichterischer Thätigkeit zu wenig Befriedigung gestattete, so gab ich dieselbe nach sechsjähriger Dauer wieder auf.

Ein Cur-Aufenthalt in Marienbad verschaffte mir das Glück, nicht blos Goethe’s Bekanntschaft zu machen, sondern auch, mit ihm unter einem Dache wohnend, täglich in seiner Nähe und bei den Abendgesellschaften Carl August’s von Weimar Zeuge der tiefen Neigung des siebenzigjährigen Dichterfürsten für Fräulein v. L. zu sein. Von seinen Rathschlägen und Segenswünschen begleitet, bereiste ich dann Italien, Sicilien und kehrte über Frankreich nach mehr als einjähriger Wanderung nach Deutschland zurück.

In Berlin ward mir im Jahre 1825 die Freude, mein Lustspiel ‚Kommt her!‘ auf dem dortigen königlichen Theater zur Aufführung kommen und in wenigen Wochen über ganz Deutschland verbreitet zu sehen. Meine Tragödie ‚König Harald‘ wurde gleichfalls angenommen, die Darstellung jedoch nach inzwischen erfolgtem Intendanten-Wechsel nicht weniger als neun Jahre lang hinausgeschoben. Ein anderes Lustspiel ‚Die Hofdame‘, welches ich in Italien geschrieben hatte, veranlaßte Goethe, nachdem ihm durch meine Berliner Freunde ein Exemplar zugekommen war, zu einem anerkennenden Schreiben an mich, welches hinwiederum die Quelle eines einjährigen Briefwechsels wie auch andauernden persönlichen Verkehrs zwischen uns wurde. Im nächsten Jahre ging ich nach München, wo ich schon zwei Jahre vorher einen auf acht Tage, zum Besuche des Octoberfestes, beabsichtigten Aufenthalt im Wechsel literarischer Arbeiten mit Zerstreuungen aller Art auf ebenso viele Monate ausgedehnt hatte, und übernahm daselbst die Redaction der Zeitschrift ‚Eos, Blicke auf Welt und Kunst‘, die ich im October 1828 mit der Leitung des Hoftheaters zu Gotha vertauschte, welche ich jedoch gleichfalls bald wieder niederlegte. Nachdem ich auch nach diesem Rücktritte meinen Aufenthalt mehrfach gewechselt, und inzwischen die Gräfin Josephine v. Törring-Seefeld mir Herz und Hand gereicht hatte, ward mir im Jahre 1837 die Vertretung der sächsischen Herzogthümer am Münchner Hofe übertragen, deren ich im Jahre 1852 auf eigenes Verlangen enthoben wurde. Nun aller dienstlichen Bande los und ledig, gründete ich mir nach meinen vielen odysseischen Irrfahrten auf diesem Fleck Erde hier, wo ich jetzt, wie Sie sehen, festsitze, ein eigenes Heimwesen und genieße auf demselben ein otium cum dignitate, indem ich nach Lust und Laune mich bald mit literarischen Arbeiten beschäftige, bald meinen Kohl und andere Dinge baue, zum Beispiel absonderlich ausgestattete Kegelbahnen, wie Sie gleichfalls gesehen haben.

Damit bin ich nun zu Ende.“

„Aber auch die Sonne,“ bemerkte ich, einen Blick nach Westen werfend, „wird mit ihrem heutigen Tagewerk bald zu Ende sein. Sie steht schon hübsch niedrig, und es ist daher an der Zeit, daß wir aufbrechen und nach Leoni hinunterwandern, um das Dampfboot, das uns wieder heimführen soll, nicht zu versäumen.“

Unser liebenswürdiger Gastfreund ließ es sich nicht nehmen, uns auch noch das Geleite dahin zu geben. In Leoni angelangt, hatten wir noch so viel Zeit, um in dem dortigen Wirthsgärtchen, welches die Wellen des Sees bespülen, ein Glas Bier zu trinken, und so saßen wir denn noch eine kleine Weile beisammen, bis das Dampfboot heranbrauste und zum Abschied drängte. Mit einem herzlichen Händedrucke lud uns der Baron ein, ihn in seinem Tusculum recht bald wieder zu besuchen, und dahin fuhren wir nun, dem ungemüthlichen Treiben und Drängen in der staubigen Stadt wieder entgegen, doch voll freundlicher Erinnerungen an die Stunden, die wir zugebracht beim Alten vom Berge, dem Veteranen aus den Befreiungskämpfen.
Eugen Gugel.



  1. Leipzig bei J. J. Weber 1864.