Textdaten
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Autor: Theodor Fontane
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Titel: Sittah, die Zigeunerin
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 137–148
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst.
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld und Commons
Kurzbeschreibung:
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[137]
Sittah, die Zigeunerin.


                    1.

Im Hochgebirg von Cumberland,
Zu Füßen einer Felsenwand,
Streckt wegesmüd und sonn–ermattet,
Von wenig Kiefern nur beschattet,

5
Und von der Armuth nur bewacht,

Ein Trupp Zigeuner sich zur Nacht
Vor ihnen breitet seine Fluth
Ein Bergsee bis an Schottlands Grenze,

[138]
Und Abendroth-geflochtne Kränze
10
Bespiegeln drinnen ihre Gluth.

Des Seees märchenhafte Schöne
Ergreift selbst die Zigeunersöhne,
Für deren Auge die Natur
Der Anblick eines Freundes nur,

15
Den man vieltausendmal betrachtet,

Und nichts Besondres mehr erachtet,
Bis, wenn er dann urplötzlich fehlt,
Die Lieb’ uns doppelt stark beseelt.
Doch seltner spiegeln jetzt und blasser

20
Des Himmels Rosen sich im Wasser,

Und herwärts, von dem See zur Kluft,
Weht kühler schon die Abendluft.
Da nimmt das Träumen schnell ein Ende,
Geschäftig regen sich die Hände,

25
Und Alt und Jung, und Klein und Groß,

Schafft Holz herbei, und Laub und Moos.
Der Eine sucht in seiner Tasche

[139]
Den Stahl, daraus er Funken weckt,

Doch eines Andern Tabacksasche

30
Hat schon das Laub in Brand gesteckt.

Schon wirft die Flamme rothe Lichter
Auf ihre bräunlichen Gesichter;
Schon rupft man das gestohlne Huhn,
Und eilt, es in den Topf zu thun;

35
Da, während’s drinnen kocht und siedet,

Greift einer nach dem Tambourin,
Ob immer hungrig und ermüdet,
Sie fliegen all zum Tanze hin;
Die Augen glühn, die Pfeifen dampfen,

40
Und immer lauter wird gepocht,

Und während sie den Boden stampfen,
Des Pachters Huhn im Topfe kocht.
Der Tanz ist aus; bei frohem Mahle
Beschließen sie den frohen Tag,

45
Und aus des Seees weiter Schale

Trinkt Jeder, was er trinken mag.

[140]
Schlicht ist der Trunk, die Hirsche dürfen

Ihn theilen an derselben Stell’,
Doch läßt sich mehr als Wasser schlürfen

50
Aus Bergessee und Waldesquell;

Sie trinken, mit dem Trunk der Rehe,
Die Lust in’s tiefste Herz hinein,
In ungetrübter Gottesnähe,
Und frei, wie Hirsch und Reh zu sein.

                    2.

55
Noch eh’ die Sonn’ heraufgezogen,

Sind die Zigeuner ausgeflogen.
Als Kesselflicker, Rattenfänger,
Hanswurst, Prophet und Bänkelsänger, –
Der Eine rechts, der Andere links,

60
Zog Alles in die Dörfer rings.

Nur eine Alte, welk und braun,

[141]
Und unerquicklich anzuschaun,

Auf deren Antlitz, vielerfahren,
Sich List und Herzensgüte paaren,

65
Sucht noch, mit ihren gelben Händen,

Schön-Sittah’s Anzug zu vollenden.
Zwölf Jahre mocht’ die Kleine zählen,
Und während das Zigeunerweib
Sich eilt ihr schwarzes Haar zu strählen,

70
Schwatzt sie zu Sittah’s Zeitvertreib:

„Die Flechte noch, – mein Herzenskind,
Dann auf, in’s nächste Dorf, geschwind,
Dort mach’, auf jedem Pachterhofe,
Dich flugs an Tochter oder Zofe;

75
Nimm, wenn sich keine Karte fand,

Die Heirathslustge bei der Hand,
Und sag ihr, noch in diesem Jahre,
Führ’ sie der Liebste zum Altare.
Kann sein, es leuchtet ihr nicht ein,

80
Doch denkt sie drum, es könnte sein.
[142]
Vor allem aber achte schlau,

Ob eine junge Pachtersfrau
Vielleicht um Kinder, im Gebet
Seit lange schon vergeblich fleht, -

85
Und Herzchen, hast du die gefunden,

So sag der Aermsten, unumwunden,
Daß eh’ der Kuckuck wiederkehre,
Ein Kindlein ihr geboren wäre; –
Sie mag dann sehn ihr Glück zu haschen, –

90
Wir aber kriegen volle Taschen.“

Die Alte spricht’s, die Kleine lauscht,
Die letzte Flechte wird beendet,
Und als sie Gruß und Kuß getauscht,
Hat Sittah sich in’s Dorf gewendet.

95
Ob sie der jungen Pachtersfrau

Ihr unfehlbares Schicksal lehrte, –
Erfahren hat man’s nie genau;
Doch als sie Abends heimwärts kehrte
Und dicht an eines Abgrunds Rand,

100
[143]
An dem der schmale Pfad sich wand,

In heitrem Muth vorüberschritt, –
Nahm sie ein volles Täschchen mit.
Die Dornen hatten sie geritzt,
Der weite Weg ihr Blut erhitzt,

105
Sie hätt’ ’nen Tag von ihrem Leben

Für wenig Wasser hingegeben.
So eilt den Felsweg sie entlang;
Da fordert schier, am Bergeshang,
Ein Brombeerstrauch mit schwarzen Beeren,

110
Sie gastlich auf doch einzukehren.

Die Lust ist groß davon zu pflücken,
Und abwärts gleitend auf dem Rücken,
Labt sie sich mit des Durstes Gier, – –
Da weicht der Boden unter ihr.

115
Umsonst, daß sie mit beiden Händen,

Selbst an des Felsens harten Wänden
Sich krampfhaft anzuklammern sucht, –
Sie stürzt hinunter in die Schlucht.

                    3.

[144]
Gefolgt von seinen Meutehunden,
120
Hat aus dem nahgelegnen Schloß

Der Graf, mit seinem Dienertroß,
Das Kind, besinnungslos, gefunden.
Doch wenig Wein auf Brust und Stirn,
Läßt bald die Pulse wieder schlagen,

125
Und heim wird die Zigeuner-Dirn

Zu neuem Lebenslauf getragen.

                    4.

Die Jahre fliehn; der Spielgenoß
Von Hirsch und Reh, von Quell und Wind,
Ist jetzt, auf seines Retters Schloß,

130
Des kinderlosen Grafen Kind; –

Schön, und erkoren Lieb’ und Land

[145]
Des alten Grafen einst zu erben,

Sieht man um Sittah’s Herz und Hand
Des Landes stolzen Adel werben.

                    5.

135
Von Gästen wimmelt Hof und Halle,

Aus Küch’ und Keller lärmt es laut,
Bei Gläserklang und Liederschalle
Trinkt man das Wohl der jungen Braut.
Schon an der Festestafel oben,

140
Gestützt auf ihres Gatten Arm,

Hat Sittah lächelnd sich erhoben,
Und grüßt der Gäste lauten Schwarm; –
Da plötzlich schallen wilde Töne
Im Hofe drunten am Portal,

145
Und Lieder der Zigeunersöhne

Ziehn durch den hochzeitlichen Saal.

[146]
Sie tönen lauter schon - und wilder

Saust in der Luft das Tambourin,
Da treten halbvergeßne Bilder

150
Auf’s Neu vor Sittah’s Seele hin.

Sie ruht, wie sonst in tiefen Schluchten
Und hört dem Waldesrauschen zu,
Sie blickt, auf’s Neu, von Felsenbuchten
Auf Meeressturm und Meeresruh;

155
Sie schaut der Abendröthe Streifen,

An denen einst ihr Auge hing,
Und möchte wieder danach greifen,
Wie Kinder nach dem Schmetterling.
Sie hört des Birkhuhns Kreischen wieder,

160
Sie sieht das Irrlicht wieder glühn,

Das längs der Haide, auf und nieder,
Unstät wie sie, zu wandern schien;
Sie möchte wieder, wieder wandern
So weit die Himmel Gottes blaun,

165
Auf’s Neu, von einem Tag zum andern,
[147]
Mit ihren Brüdern Hütten baun. –

Da, allgemach, erstirbt die Weise,
Und glühend, ohne Blick und Wort,
Schleicht Sittah aus dem Saal und leise

170
Sich von des Gatten Seite fort.


                    6.

Die Braut ist alsobald verschwunden,
Umsonst durchspäht man Flur und Wald,
Sie hat die Grenze schon gefunden,
Und ihrer Brüder Aufenthalt.

175
Schon in des Cheviot wilden Kesseln

Hat sie ihr Brautgewand zerfetzt,
Und löst die langgetragnen Fesseln,
Wie ihre schwarzen Flechten jetzt.
Schon lagert Alt und Jung im Kreise

180
Um eines Feuers Flackerbrand,
[148]
Und ihres Liedes wilde Weise

Hallt fort von Fels zu Felsenwand:
„Zur Wüste wieder will der Löwe,
Der Aar zurück in seinen Horst,

185
Nur auf dem Meere jauchzt die Möve, –

Und wir allein in Schlucht und Forst.
Ihr könnt den Sturzbach nimmer zähmen,
Die Wildheit ist sein Wesen nur; –
Es heißt uns Luft und Leben nehmen,

190
Nimmt man uns Freiheit und Natur.“