Sie roch nach Petroleum
[575] „Sie roch nach Petroleum.“ (Mit Abbildung, Seite 572.) Als ich, etwa ein Jahr nach dem Untergang der letzten Maninischen Republik von Venedig in Folge der Eroberung der Stadt durch die Oesterreicher, mit einem deutschen in Venedig wohnenden Freunde eine Gondelfahrt in den Lagunen nach dem Lido hin machte, kamen wir auch an der Insel San Servolo vorüber, auf welcher ein großes Spital und Irrenhaus sich befindet.
„Das ist der traurigste Ort der Welt“ – äußerte hier mein Freund, mit dem Ausdruck tiefer Theilnahme nach dem Irrenhaus hinüberzeigend. „Wie viel edle Gesinnung und feinste Bildung, wie viel Geist und Muth gingen durch das Unglück dieser Stadt zu Grunde und sind dort drüben mit ewiger Nacht bedeckt!“
„So hart hat das Schicksal die tapferen Kämpfer bestraft?“ entgegnete ich.
„Nein! Nicht die Kämpfer! Das Schwerste hatten auch in diesem Kampfe die Frauen zu tragen, und sie sind ihm zu Hunderten geistig erlegen.“
Und nun erzählte mein Freund mir Vieles über den Antheil der venetianischen Frauen und Jungfrauen an der Erhebung der Stadt gegen Oesterreich, von dem ich allerdings in den Zeitungen wenig gelesen hatte. Er berichtigte vor Allem die Anschauung der Touristen über den Charakter der italienischen Frauenschaft, die von den Straßen, Promenaden und von den Theatern aus ihre Schlüsse zögen, ohne das italienische Weib des Hauses zu kennen. „Wenn die Charaktertüchtigkeit des italienischen Mannsvolks nur zur Hälfte an die der Frauen hinanreichte, was wäre dann Italien ein beneidenswerthes Land!“ Das behauptete er nicht nur, sondern bewies es mir mit einer Reihe von Beispielen höchster Opferfähigkeit und Hingabe für die allgemeine Sache aus den untersten wie aus den höchsten Kreisen. „Haynau,“ sagte er, „hatte seinen gefährlichsten Feind erkannt, als er in Brescia Frauen auch aus den höchsten Ständen auspeitschen ließ, und diese Unthat hat mehr als alles Andere dazu beigetragen, Oesterreichs Herrschaft in Italien unmöglich zu machen. Hier, in Venedig, aber kam, als der Aufruhr niedergeworfen war, als die Männer und Jünglinge massenhaft zu flüchten versuchten oder in die Gefangenschaft abgeführt wurden, über die armen Frauen die härteste aller Nachwehen, das bis auf’s Aeußerste erregte heiße Blut sollte plötzlich ordnungskühl werden, der Schmerz sollte sich still in die Winkel verkriechen, aber das war zu viel für Geist und Herz solcher Naturen – und der Irrsinn war der unheimliche Retter der Verzweifelnden. Es sind verehrungswürdige Opfer, die dort und in manchem anderen Irrenhaus am unglücklichsten sind, wenn lichte Augenblicke über sie kommen.“
An jenes Gespräch in den Lagunen muß ich heute denken, so oft ich von den Unthaten der Pariser Frauen und der Commune höre. Wir erfahren auch von dort nur den letzten Act ihrer Betheiligung an dem Aufruhr und sind, wenn wir sie mit Revolver, Messer und Petroleumflasche wüthen sehen, sofort geneigt, Steine gegen sie zu erheben. Und doch muß auch hier Vieles vorausgegangen sein, um alles menschliche Gefühl aus dem Weibe hinauszuhetzen, bis nur noch die Furie übrig bleiben konnte. Nun ist es freilich eine alte Erfahrung, daß der Mensch zu äußerster Grausamkeit nie leichter, als im Bürgerkriege, verführt wird und am entsetzlichsten in dem Kampfe politischer oder religiöser Parteien. Es könnte ein erhebender Gedanke sein, daß das Ideale die Macht hat, die Leidenschaften mit der höchsten Kraft auszurüsten, wenn nicht schließlich das Thier im Menschen allein zum Durchbruch käme.
Die sogenannten „Versailler“ behaupten allerdings, daß Das, was die Wuth der Commune zum Aeußersten reizte, die Massenerschießungen, erst dann ihren Anfang genommen, als die Gegner mit dem Anzünden der Häuser begonnen hätten; – aber die „Pariser“ behaupten, daß die Brandfackel sich an diesem Feuer des unmenschlichen Massenmordes entzündete. Auch in Paris hatten die Frauen sich dem Kampf der Männer angeschlossen, und auch in Paris standen gegen sie die Haynaus auf, nur nicht mit der Peitsche, sondern gleich mit Pulver und Blei. Die Tagesberichte aus dem Straßenkampf von Paris haben haarsträubende Executionen geschildert, und wir würden es vermeiden, ihre Zahl mit einer neuen zu vermehren, wenn die von einem unsrer Berichterstatter uns mitgetheilte nicht einen Blick in eine solche bis zur Rachewuth gehetzte Frauenseele eröffnete und zugleich ein Beispiel wäre, wie cynisch der Leichtsinn mit dem Leben spielte.
Der erste der großen Barricadenkämpfe, der sich vom Concordienplatze rechts gegen die Barricade St. Florentin, welche den Eingang zur Rivolistraße versperrt hatte, dann durch die Rue Royale, rings um die Kirche St. Madeleine und links bis in den Boulevard Malesherbes ausbreitete, war seinem Ende nahe, die nördlichen Prachtgebäude der Rue Royale standen in hellen Flammen, die Insurgenten wichen auf allen Seiten zurück und die Versailler drangen vorwärts, da stürzte aus einem der brennenden Häuser ein Weib in der Volkstracht mit einem Revolver in der Faust und flüchtete zwischen dem Kugelregen hindurch über die Leichenhaufen auf der hohen Freitreppe glücklich in die Madeleine. Als die Truppen auch diese Kirche stürmten, gelang es der Frau, wieder zu fliehen, aber schon am Eingange in den Boulevard de la Madeleine brach sie vor einem der Gefallenen zusammen und ward gefangen. Kolbenstöße schreckten sie auf, aber kaum auf den Beinen, erhob sie den Revolver; ein Faustschlag von hinten her entwaffnete sie, man band ihr die Hände fest und sofort begann das summarische Verfahren.
[576] „Wer bist Du, Weib?“ schrie der Officier sie an.
„Wer ich bin? Eine Wittwe seit zehn Minuten, eine Wittwe, eine Mutter ohne Söhne, ohne Tochter. Und Ihr seid Schurken seit Jahr und Tag! Des zweiten Decembers Knechte, der Preußen Gefangene, der Versailler Mitverbrecher! Pfui, Ihr Schandsöhne Eurer Mütter! O meine Kinder, wie wart Ihr so tapfer und so schön und so gut! Da liegt mein Jüngster, an seiner Leiche habt Ihr mich gefangen, in der Rue Royale liegt mein Gatte mit zerschmettertem Gehirn, auf der Madeleinetreppe mein anderer Sohn. Was wollt Ihr noch von mir? Laßt mich los, ich muß meine Todten rächen!“
Den Officier schien ein Gefühl von Rührung zu beschleichen, aber schon stand ein Anderer neben ihm, der das Losungswort des Tages ausrief: „Lieber zehn Unschuldige erschießen, als eine Schuldige laufen lassen! Sie riecht gewiß nach Petroleum!“
„Du lügst!“ schrie das Weib. „Mutter Péchon ist keine Mordbrennerin!“
„Sie riecht nach Petroleum!“ übertobte sie das Brüllen der blutgierigen Soldaten. Und Alle drängten sich zum Beriechen der Unglücklichen herbei und bestätigten hohnlachend ihre Entdeckung. Das Ende war nun kurz. „Tritt an die Wand dort!“ herrschte der Officier ihr zu. Sie sprach kein Wort mehr. Noch einen Blick tiefster Verachtung für die Männer, die eine Wittwe und Mutter erschießen wollten – und mit einem Knalleffect war’s abgemacht. Die Sieger zogen weiter, – und Mutter Péchon war gerichtet, denn „sie hatte nach Petroleum gerochen“.
Es gehört auch zum Verhängniß sinkender Völker, daß sie den einzigen Retter ihrer Zukunft nicht erkennen. Wie in Italien ist’s auch in Frankreich und wohl auch in Spanien, kurz, bei der ganzen romanischen Race. Das männliche Geschlecht ist, gegen die Vorzeit, in seinem Werthe zurückgegangen, ist einer ansteckenden Verwahrlosung wahrer männlicher Tugenden verfallen. Nur den Müttern kann es gelingen, eine neue bessere Generation zu erziehen, zumal wenn sie selbst erst vom Gängelband der Pfaffen befreit sind.