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Autor: Eugen von Jagemann
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Titel: Sicherheitspolizei
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aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Sechzehntes Hauptstück: Polizei und Sicherheitsreformen, 86. Abschnitt, S. 171−177
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[171]
Sechzehntes Hauptstück.


Polizei und Sicherheitsreformen.




86. Abschnitt.


Sicherheitspolizei.
Von
Exzellenz Wirklichem Geheimen Rat Dr. Eugen von Jagemann,
o. Honorarprofessor der Rechte an der Universität Heidelberg.


Literatur: Bearbeiten

Abgesehen von den Werken über Verwaltung und Polizei im allgemeinen (vgl. Literaturnachweis an der Spitze des Abschnitts 14, ferner die Nachweise in Edgar Lönings Artikel „Polizei“ im Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd 6, Aufl. 3), vgl. für Sicherheitspolizei speziell: die Werke von
Grävell,
Zimmermann,
Vidocq,
Daru (siehe v. Mohl, Polizeiwissenschaft III S. 478 über das Nähere) für die Zeit bis 1866,
sodann die im Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts von G. Meyer (Auflage 4 von Dochow 1913) Teil 1 §§ 29–35, je an der Spitze, zitierten Spezialwerke für die neuere Zeit, sowie
Weiss über Police secrète im Bulletin der Union Internationale de droit pénal, XVII S. 382 ff. (Berlin, Guttentag, 1910),
Köhne, Grundzüge des Verwaltungspolizeirechts (Berlin 1906) und
Hieber-Bazille, Komm. zum deutschen Vereinsgesetz (Stuttgart, Hess, 1908).
Eine neueste geschichtliche Sonderforschung bietet Fournier, Geheimpolizei auf dem Wiener Congress (Leipzig, Freytag, 1913).

I. Geschichtliches. Im alten deutschen Reich ward zwar jede ausführende Tätigkeit polizeilicher Art als Sache der Reichsstände betrachtet, die Kaiser übten aber eine normierende Gewalt, mit Zustimmung jener, und begannen 1530 Reichspolizeiordnungen zu erlassen, in systemloser Weise die verschiedensten Gebiete behandelnd, darunter auch sicherheitspolizeiliche, namentlich das Bandenwesen im älteren Sinn, das erst mit der steigenden Kultur im 19. Jahrhundert allmählich erlosch, und das Landstreichertum; auch befassten sich die Reichstage selbst mit „Rumorsachen“. Während die Bewahrung vor öffentlichen Friedensstörungen so im Vordergrund stand, spielte in der folgenden Zeit, bei hergestellter äusserer Ordnung, die Überwachung geheimer Umtriebe die Hauptrolle als ein Charakterzug absoluter Staaten, namentlich auch der romanischen, (besondere Polizeiministerien, Geheimpolizei, lettres de cachet), deren Machtsystem, im Gegensatz zu freien Richtungen in der Bevölkerung selbst, die immer grössere Ausdehnung der Vorsichts- und Unterdrückungsmassnahmen ergab; insbesondere auch in der Rheinbundszeit – Artikel 26 der Rh.B.A. rechnete die „haute police“ auf gleicher Linie nur mit Legislative, höchster Gerichtsinstanz, Aushebungs- und Steuerrecht zu den Souveränitätsrechten, deren die Mediatisierten entkleidet wurden – und in der Bundestagszeit festigte sich der potenzierte Begriff der „politischen Polizei“ in dem Sinne, „gefährlicher Bewegung vorzubeugen“ und Bund wie Einzelregierungen, obwohl letztere zum Teil bald zu modernen Verfassungen gelangten, wirkten zusammen, für bedrohlich erachteten „Verbindungen [172] und Anschlägen“ zuvorzukommen, auch Presse und Vereine in dieser Tendenz zu überwachen, so dass in jenem Zeitalter den Fragen der Polizeihoheit als Gegenstand der Regierungskünste wie der oppositionellen Anfechtung, das höchste Interesse galt.[1] Der Wandel trat ein mit der wirklichen Umbildung zum Rechts-Staat, in welchem alle Rechtssphären eine bestimmte Ordnung empfangen, also einerseits die individuellen Freiheiten ihren sicheren, durch Garantien geschützten Bestand, andererseits die staatliche Macht ihre Begrenzung in bezug auf Mass, Richtung und Funktionen.

Dabei ist es nur eine natürliche Entwicklung, dass die Befugnisse zur Vorkehr (Prävention) gegenüber denen der Ahndung (Repression) sich erheblichst mindern, weil die Gefahr der Missentfaltungen gegen das Gemeinwohl geringer geschätzt wird, an Belang und Häufigkeit, als die Last vieler Aufsicht, Bevormundung und Eingriffe. Der Rechtsstaat schloss starke Sicherheitspolizeimittel übrigens an sich nicht aus, nur bedurften sie gesetzlicher Grundlagen. Auch konnten sie, wenn die Wirkung auf grosse Gruppen berechnet war, das öffentliche Hervortreten von seitens der Staatsgewalt reprobierten Richtungen keineswegs mehr, wie in der Zeit des Absolutismus, hintanhalten; denn der Konstitutionalismus schliesst so viele Betätigungsbefugnisse für jeden Staatsbürger, welche ohne Aufgeben des modernen Staatscharakters unentziehbar sind, in sich (Wahlrechte, Wahlagitationen, Parlamentsdebatten und -berichte), dass das Entziehbare in der praktischen Bedeutung dagegen zurücksteht. Das beste Beispiel hierfür gibt das 1878–1890 bestandene deutsche Sozialistengesetz;[2] sozialistischen und kommunistischen Bestrebungen gegenüber gab es zwar den Regierungen Verbotsbefugnisse, – namentlich in bezug auf Vereine, Versammlungen, Kollekten, Druckschriften, auch Ausweisungsrecht[3], aber verhinderte das Anschwellen der sozialdemokratischen Partei keineswegs.

Die geschichtlichen Wendepunkte für Ausbildung, Gestaltung und Zurückdrängung der zur Sicherheit des Staatsganzen geübten Polizei hängen ab demnach von der Lagerung der Macht- und Rechtsfaktoren. Dagegen ist die Entfaltung der Sicherheitspolizei sonst, sowohl für den Schutz des Individuums gegenüber Störungen und Gefahren, wie in bezug auf die immer mehr sich ausdehnenden und innerlich hebenden einzelnen Staatszweige, einfach ein Gegenstand steigender Kultur, indem der zunehmende Umfang und Inhalt des staatlichen Wohlfahrtszwecks ein Gebiet nach dem andern ergreift oder vertieft und damit auch immer neue Schutzaufgaben im Interesse der Sicherheit des Ergriffenen oder Geschaffenen erstehen.

II. Begriffliches. Schon Klüber[4] beklagt – vor einem Jahrhundert – die „logikalische Verzweiflung über einen untadelhaften Gattungsbegriff der Polizei“ und heute bekennt Edgar Löning die Unmöglichkeit einer erschöpfenden Definition für Inhalt und Aufgabe der Sicherheitspolizei insbesondere.

Die älteren Schriftsteller unterschieden kurzweg zwischen der Sicherheitspolizei (cura avertendi mala futura), einerlei ob die abzuwehrenden Übel in drohenden Rechtsverletzungen oder in Gefahren beständen, und der Wohlfahrtspolizei (jus promovendi salutem publicam), vereinzelt blieb R. v. Mohl, welcher alle Vorbeugung gegen Rechtsläsionen als „Präventiv, justiz“ erklärte. Die neuere theoretische Auffassung dehnt den Begriff der „Verwaltung“ aus; schränkt jenen der Polizei ein. Bei vielen Wohlfahrtseinrichtungen fliesst tatsächlich das Fördern ihrer Zwecke und das Verhüten der korrespondierenden Übel, die positiv und die negativ gerichtete Tätigkeit zusammen. Auf das Moment des Schutzes im Gegensatz zur schöpferischen Entfaltung [173] aber pflegt der begriffliche Schwerpunkt gelegt zu werden, und man kann darin eine Abgrenzung finden; manche schalten die Naturgefahren aber begrifflich ganz aus.

Wer den Staat indes nicht als einen Bau von lauter Isolierzellen ansieht, wird so wenig theoretischer Spaltung, wie dem Ressortpartikularismus huldigen, dagegen als Hauptgesichtspunkte folgende festhalten, aus denen das Wesen der Sicherheitspolizei erhellt:

1. Während die äussere Sicherheit des Staats durch Wehrkraft und Diplomatie geschützt wird, hat die innere ihren besten Schutz in gehobener Kultur und Zufriedenheit, kann aber gleichwohl einer massvollen Beobachtung und gegebenenfalls der Abwehr von Gefahren nicht entbehren, welche sich dem Staat und einer geordneten Regierung entgegenstellen; diese Beobachtung und auch die Abwehr ist Sache der politischen Polizei als eine reine Staatsaufgabe, welche somit einen Hauptzweig der Sicherheitspolizei ergibt.

2. Der andere, bestehend im präventiven Schutz der Rechtssphäre des Einzelnen, kann prinzipiell nur eine subsidiäre Staatsaufgabe sein. Denn der Selbstschutz durch Vorsicht und Vorbeugung ist das Natürliche im privaten Lebenskreise, neben dem vollständig ausgebildeten repressiven Schutz durch die Gerichte, und es besteht die faktische Unmöglichkeit, dass der Staat durchweg Angriffen und Verletzungen zuvorkomme; es würde an Personal und Tätigkeit weit mehr erheischen, als der Schaden andererseits entzieht.[5] Wie weit die Subsidiarität reicht, ist theoretisch zwar in Formeln zu fassen versucht worden (Versagung der Selbsthilfe, unmittelbare Angriffe, wichtigere Rechtsgüter, Gefährdung des Publikums oder bloss Einzelner, Untertanen oder Fremder, u. s. f.), sie besagen aber ausser Gradunterschieden praktisch wenig. Das Mass pflichtmässiger Tunlichkeit für die Beamten, das Friedbewusstsein des Schutzes, auf der Gegenseite entschiedene Furcht vor dem Erwischtwerden, in der öffentlichen Meinung das Anerkenntnis des Genügens für verständige Ansprüche und des Ausbleibens schwerer oder häufiger Missgriffe besagen als Richtpunkte weit mehr.

3. Ebenso ist Staatsaufgabe die Beteiligung und für gewisse Gefahren selbst die alleinige Leistung des Schutzes gegenüber zu erwartender elementarer Schädigung, einerlei ob man hierin staatswissenschaftlich ein Stück Verwaltung oder Sicherheitspolizei sehen will; mit Rücksicht auf die Einteilung des Handbuchs wird in diesem Abschnitt nur von solchen Gefahren noch gesprochen werden, welchen keine anderwärtige Darstellung gewidmet ist.[6]

Aus der begrifflichen Begrenzung der Sicherheitspolizei, im Gegensatz zur Polizei sonst und zur Verwaltung,[7] sind juristische Folgen übrigens nur da zu ziehen, wo ein Gesetz sie an den Begriff knüpft. Aber gerade da muss, bei der Verschiedenheit des Sprachgebrauchs, darauf gesehen werden, jenen nicht nach doktrinären Erwägungen, sondern im Geist dieses speziellen Gesetzes oder, wo solches dafür versagte, im Geist der sonstigen Gesetze des betreffenden Landes zu erfassen.[8]

III. Rechtsstand. Alle Kulturstaaten haben legislative Schranken bezüglich der Mittel der Sicherheitspolizei aufgestellt, sei es durch Normierung der gestatteten Handlungen oder umgekehrt durch Garantierung von Freiheiten des Individuums, aus welchen sich Verbote für die [174] Beamtungen ergeben; insbesondere das Ausweisungswesen fand manche Normierung.[9] Für Deutschland ist zu unterscheiden:

Das Reichsrecht berührt die Sicherheitspolizei, die an sich kein allgemeiner Kompetenzgegenstand der Gemeinschaft ist, mehrfach im Zusammenhang mit andern Rechtsstoffen, insbesondere mit Freizügigkeit, Presse, Strafrecht, Vereins- und Versammlungswesen, und stellt im Verf.-Art. 68 die Zulässigkeit eines Belagerungszustandes von Reichs- (wie auch von Landes)wegen fest. Insbesondere sind die Bestimmungen im St.G.B. über Polizeiaufsicht (§§ 38, 39) und Überweisung an die Landespolizeibehörde (§§ 361, 362, ähnlich zum Teil 181a, 284) ihrem Wesen nach sicherheitspolizeiliche, welche gewisse, mit Eingriffen in die Individualsphäre verbundene Massregeln gegen gefährliche oder verkommene Rechtsbrecher präventiv gestatten. Dagegen steht das deutsche Pressgesetz, abgesehen von Anordnungen bei Krieg oder Kriegsgefahr und von einigen Ordnungsvorschriften für die Verbreitung, auf rein repressivem Boden und auch das Reichsvereinsrecht drängte im B.G.B., wie im Spezialgesetz von 1908 den Präventivcharakter wesentlichst zurück;[10] der Sicherheitspolizei ist nur insofern gedacht, als a) neben dem Reichsrecht über Vereine, Versammlungen (und Aufzüge) die allgemeinen (d. h. schon ausserhalb dieses Stoffgebiets gültigen) sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landesrechts Anwendung finden, soweit es sich um die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung handelt, und b) die erforderliche Genehmigung zu öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzügen auf öffentlichen Strassen oder Plätzen wegen daraus zu befürchtender Gefahr für die „öffentliche Sicherheit“ versagt werden kann.

Ausser diesen persönlichen Rechtssphären hat das Reich eine objektive an sich gezogen und gründlichst wegen der Sicherheitspolizei geregelt, im Sprengstoffgesetze (1884) nämlich, welches Herstellung, Fabrikationsbetrieb, Besitz, Handel, Einführung, Transport regelt und den nötigen Strafschutz beigibt.

Insoweit Materien reichsrechtlich geregelt sind, ist damit das Landesrecht, insbesondere jede Befugnis aus dem dehnbaren Oberaufsichtsrecht des Staats, ausgeschaltet. Im übrigen besteht es fort und es kommen daraus namentlich in Betracht:

1. Als Schranken der Sicherheitspolizei die in manchen Verfassungen statuierten sog. Grundrechte über persönliche Freiheit,

2. die Möglichkeit ausserordentlicher Massregeln auf legalem Weg in besonderen Gefahr- oder Notfällen,

3. das bestehende Sicherheitspolizeirecht, sowohl dasjenige, welches sich für bestimmte Personenklassen, welche ihm näher stehen müssen, oder für einzelne Sachgebiete zu einem spezialisierten ausgebildet hat (vgl. IV), als das allgemeine, enthaltend die der Polizei gegen jedermann im Lande zukommenden Sicherungsbefugnisse. Als solche werden geübt – neben der Möglichkeit, Besitz und Verkauf von Waffen zu verbieten, öffentliche Aufläufe durch Befehl zum Auseinandergehen zu beseitigen, in gemeiner Not die (auch durch R.St.G. § 360 Ziff. 10, den sog. Liebesparagraphen geschützte) Aufforderung zur Hilfe, soweit sie ohne erhebliche eigene Gefahr leistbar ist, ergehen zu lassen – ein Haft- und ein Haftungsrecht in folgender Weise:

Es liegt, ganz abgesehen vom strafprozessualen Weg, innerhalb der Gewalt der Polizei, die übrigens an gesetzlich zulässige Auflagen die Geldstraffolge binden und die Ausführung [175] durch Dritte auf Kosten des renitenten Pflichtigen bewirken kann, äussersten Falls zum persönlichen Zwang zu greifen. Demgemäss gestatten ihr die Landesrechte[11], zur Beseitigung ordnungswidriger Zustände (Gefahr, öffentliche Unsittlichkeit, Tumult), selbst Verhaftungen, im Sinne einer polizeilichen Verwahrung (also weder Untersuchung, noch Strafe, sondern Sicherung oder Zwang) oder auch Konfinationen, wie z. B. bei der Quarantäne. Selbstverständlich in der Dauer nie über den Fall hinaus, unter gleichzeitiger Fürsorge für die tunlichst frühe Behebung des Haftgrunds, auch unter gesetzlicher Statuierung von Zeitmaximen und vor allem mit der Grundregel, dass persönlicher Zwang nicht angewendet werden darf, wenn die Wirkung auf anderm Weg erreichbar. Er kann auch zur Sicherung des Verhafteten selbst oder seiner Ausweisung geschehen.

Ein Haftungsrecht aus sicherheitspolizeilichen Gründen zu schaffen, entschlossen sich viele deutsche Territorien nach den Bewegungsjahren 1848/9. Es sind die sog. Tumultgesetze.[12] Die Unmittelbarkeit und häufige Vermögenslosigkeit der Schadenstifter bei Zusammenrottungen führte dazu, die Gemeinden des Tatorts privatrechtlich für den Ersatz haftbar zu machen unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass sie für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in ihrem Bezirk die öffentlich-rechtlich Verpflichteten sind.

Dem Landesrecht gehört endlich die gesamte Personalorganisation an, in rechtlicher und finanzieller[13] Hinsicht. Das Recht der Zivilbehörde, Militär zu Sicherheitszwecken, beizuziehen, ist vielfach in Militär-Konventionen, der Waffengebrauch überhaupt in Spezialgesetzen geregelt. Die geheime Polizei,[14] früher Hauptquelle der Ausgaben, steht gegenüber der öffentlich auftretenden (Gendarmerie, Schutzmannschaft) nun ganz im Hintergrund. Der Sicherheitsdienst in den Gemeinden, ihre Pflicht zur Haltung von Polizeipersonal, oft auch von Nachtwachen zur Sicherung gegen Diebstahl und Feuersgefahr, beruht teils auf staatlichen Auflagen, teils auf dem Gemeinderecht; in grösseren Plätzen führt auch der Staat gegen Ersatz da und dort diesen Dienstzweig. Als höchste Ressortstelle erscheinen regelmässig die Ministerien des Innern; eine nachahmenswerte Organisation besitzt Belgien, indem die Generaldirektion der öffentlichen Sicherheit mit derjenigen der Gefängnisse vereinigt ist.

IV. Besondere Aufgaben. Hinsichtlich der allgemeinen Gefahren kommt zu den alten Sachgebieten (Feuer-, Wasser-, Bau-, Verkehrspolizei) ständig Neues hinzu durch neue Stoff- und Kraftverwendungen: Fahrstühle und -räder, Automobile und Luftschiffe, – Petroleumtanks, Azetylen und Elektrizität, – selbst Brieftauben, Hutnadeln und das Rodeln – alles setzt sich in Sicherheitsvorschriften und -kontrollen um.

Stetiger sind die Personenkreise, denen besondere Beobachtung, Überwachung und sicherheitspolizeilicher Zwang sich zuwendet; es treten hier drei Hauptgruppen hervor:

1. Während der einheimische Sesshafte als persönlich bekannt gilt, kann im reisenden oder doch flottierenden Volksteil und im Fremden Verdächtiges verborgen sein. Pass- und Meldewesen, ersteres schon 1867 vom Norddeutschen Bund (mit Aufhebung des Passzwangs, nicht aber jeder Legitimationspflicht) geregelt, sowie die Gesindepolizei leisten hier eine bei uns leichte, massvolle Kontrolle, welche in Gährungs- und Kriegszeiten zum Passzwang verschärft werden kann; in einzelnen ausserdeutschen Ländern aber besteht auch im Frieden grosse Plage damit. Während der Ausländer im Grundsatz ausweisbar ist,[15] besteht das Gegenteil für den [176] Reichsinländer, abgesehen von gewisser nur innerdeutscher Abschiebung wiederholt bestrafter Bettler und Landstreicher oder nahrungslos neu Anziehender.[16] Ein polizeiliches Kreuz sind die Zigeuner, der Race nach fremd, aber dennoch manchmal rechtlich Deutsche; man pflegt ihnen das Ziehen in Horden, das Lagern im Freien ohne Wagen oder auf nicht angewiesenem Platz zu verbieten, ihre Ausweise für die Aufenthaltsdauer zu hinterlegen, auch in bezug auf Wehr- und Schulpflicht genaue Kontrolle zu üben und unter Umständen die Kinder durch Zwangserziehung dem Nomadenleben zu entreissen.

2. Verkommene Personen (Prostituierte, Zuhälter, Trunksüchtige, Wilderer, Rowdis etc.), in deren Kreis die nach R.St.G.B. § 361 Ziff. 3–8 Bestraften eine odiös privilegierte rechtliche Sonderstellung haben, und Delinquenten von schwereren Fällen, insbesondere zur Polizeiaufsicht Verurteilte (s. oben III Abs. 2), bilden zusammen mit psychisch Verdächtigen von motorischer Anlage einen Kreis, dem für zu erwartende oder aufzuklärende Rechtsbrüche sich selbstverständlich das polizeiliche Auge zuwendet. Besondere Rechtsbefugnisse bestehen aber meist nur in wenigen, geregelten Hinsichten; bezüglich der Polizeiaufsicht ist dabei zu bemerken: ihre Ausübung bleibt trotz des urteilsmässigen Ausspruchs fakultativ und sollte, um das Fortkommen nicht zu schädigen, so schonend wie möglich geschehen, besser manchmal durch Fürsorger aus den Schutzvereinen, als durch Polizisten, deren Erscheinen einen Stellenverlust des zu Rehabilitierenden bedeuten kann. Ihre Wirkungen für den Inländer (Möglichkeit des Aufenthaltsverbots an einzelnen Orten, der Haussuchung bei Nacht[17]) bedeuten an sich weniger, als jenes Erscheinen oder die Arbeitsbehinderung durch Meldungsauflagen.

3. Das Feld der politischen Polizei ist bei der grundsätzlichen Zulässigkeit jeder Opposition an sich im modernen Staat beschränkt. Sie hat strafbaren Handlungen vorzubeugen, aber nicht nur solchen, welche nach schulmässiger Einteilung Delikte gegen den Staat oder vager politische heissen, und nicht bloss der Verübung, sondern auch der Vorbereitung. Selbstverständlich wendet sie sich hierzu jeweils demjenigen Personenkreise zu, welcher die bestehende staatsgesetzliche Ordnung in gefährlicher Weise bekämpft. Wenn auch „Gesinnungsschnüffelei“ durchweg auszuschliessen ist, so muss sie über Leiter und Massenbedeutung solcher Kampfgruppen unterrichtet sein, was nur bei öffentlichen Vorgängen leicht ist; die Befugnis, solchen Versammlungen anzuwohnen, auch aus zureichendem Grund sie aufzulösen, bietet zu Information und Vorkehr eine wichtige Handhabe.[18] Auch pflegt die Polizei aufreizende Demonstrationen zu verbieten. Die Nichtduldung verbotener, auch nur verbaler Ausschreitung, die Verhütung gar der Gewalttätigkeit, ist ihr Zweck bei solchen Massnahmen.

Eine besondere Stellung in diesem Kreise nehmen die Anarchisten ein, welche sich zwar in theoretische Richtungen und in die Propaganda der Tat teilen, aber programmatisch alle die Vernichtung des Staats überhaupt, nicht nur einer bestimmten – etwa monarchischen oder gesellschaftlichen – Ordnung beziehen.[19] Ihre besondere Gefährlichkeit wird illustriert durch [177] die Beteiligung an Revolution, wie durch eine traurigste Kette von Einzelattentaten auf Herrscher, Minister, Polizeibeamte, so dass namentlich die Reisen von Staatschefs seitdem ein Gegenstand besonderer Sicherheitsfürsorge wurden. Wie gegen das professionelle Verbrechertum, soweit es internationaler Art ist, so kann erfolgreich auch gegen diesen Kreis nur durch allgemeinen, zentralisierten, technisch ausgebildeten Nachrichtenaustausch, welcher Erhebliches zum Voraus signalisiert und die Erkennung au jedem Ort tunlichst verbürgt, gewirkt werden. Von einem bestehenden Ausweisungsrecht wird hier stets Gebrauch gemacht.

V. Richtpunkte der Politik können verständiger Weise nur die beiden, sachgemäss zu verbindenden Elemente sein, welche nur scheinbar sich in dieser Materie gegenüberstehen:

1. Der sichere Schutz des Staatsganzen und der Rechtsordnung, sowie die tunlichste Garantie der Rechtsgüter und der Unversehrtheit des gefährdeten Einzelnen,

2. die Vermeidung unnötiger Eingriffe in die Freiheitssphäre des sicherheitspolizeilich zu beobachtenden oder anzufassenden Individuums.

Die Ausgleichung dieser beiden Grundrichtungen ist nicht möglich durch Lehrsätze von allgemeiner Gültigkeit; auch die Parteirichtungen gehen keine feste Lösung dafür, obschon manchmal der Liberalismus mehr die individuelle Freiheit, Konservative mehr das Schutzbedürfnis und die Staatsbefugnisse dazu betonen. Die Hauptsache ist, dass Anlässe, Personenkategorien, Orts- und Zeitverhältnisse wechselnde Notwendigkeiten und Möglichkeiten in gar verschiedener Gestalt und Folge ergehen. Darnach wird in der praktischen Politik dann abwägend gehandelt und selbst der Eindruck krasser Einzelfälle, von denen man nachträglich glaubt, sie wären durch Sicherheitspolizei abwendbar gewesen, kann weittragend wirken. Als nächste Fragen der Art, welche bei uns aufgerollt zu werden scheinen, darf man nach öffentlichen Nachrichten (1913) erwarten die reichsrechtliche Regelung des Rechts zum Waffenbesitz, um ihn vorkehrend bei Geisteskranken oder sonst Sicherheitsgefährlichen auszuschliessen, und die Erwägung eines Präventivschutzes gegen antideutsche Bestrebungen in unseren Grenzländern; doch sind hierüber endgültige Dinge noch nicht zu berichten.

Im Allgemeinen darf ferner bemerkt werden: Mag auch der Ausbau des Polizeirechts im Einzelnen noch wünschenswert sein, so kann man doch Erschwernissen der Anordnung und Exekutive nicht das Wort reden, wenn sie lähmend wirken; schon der häufige Streit über die Giltigkeit von Polizeinormen ist unerwünscht. Vielmehr muss man die Vervollkommnung der Mittel (auch Besserung des Fahndungs- und Nachrichtenwesens, Vorbildungseinrichtungen usf.) wünschen, ebenso einen staatlichen die Polizei stützenden Sinn des Publikums, wie in England.

Auch kann man nicht die Aufhebung der geheimen (Detektiv-)Polizei, empfehlen, mit der freilich Gefahren verbunden sind (Provokation, Denunziation, Erfindungen und andere unerlaubte Mittel), die in der öffentlichen Meinung zu berechtigter Kritik und Abneigung führen können. Es ist aber klar, dass „ein Agent, welcher nicht als solcher bekannt ist, vieles bemerken und erfahren kann, was einem öffentlich auftretenden Beamten verborgen bleibt“ (v. Mohl), und der Ausschreitung vermag man seitens der Vorgesetzten vorzubeugen. „Kein Staat kann die politische Polizei ganz entbehren und sie ist Schutz der bürgerlichen Freiheit, wenn sie in Schranken des Gesetzes sich hält“ (E. Löning).

In der Aufsichts- und Ausweisungspraxis ist zu erstreben, dass die Anwendung der staatlichen Fakultäten, wo ihr kein ernstlicher polizeilicher oder ökonomischer Grund zur Seite steht, also auf blos formale Gründe hin, unterbleibe; insbesondere scheint es, als ob die Ausweisung Fremder, im Frieden, der Beschränkung da oder dort ohne Schaden fähig sei. Auch hört man über unschonlichen Vollzug öfters klagen; erhellt auch daraus nicht die Berechtigung der Klage, so liegt doch Grund zu sorglicher Prüfung vor, ob nicht der Zweck schon in minderen Modalitäten erreichbar sei.





  1. Vgl. in juristischer Hinsicht Zöpfl, Deutsches Staatsrecht §§ 155 und 459 ff.
  2. Vgl. hierüber „Konservatives Handbuch“ (2. Aufl., Berlin 1894 bei Walther) und E. Richters oft aufgelegtes „politisches ABC-Buch“ (Berlin, Verlag „Fortschritt“) s. v. „Sozialistengesetz“.
  3. Der Gedanke Bismarcks, auch deutsche Agitatoren des Reichs verbannen zu können, kam schon in den inneren Vorstadien des Entwurfs zur Ausschaltung, also bloss die lokale Ausweisung in das Gesetz, abgesehen von Ausländern. Die gleiche Frage spielte in bezug auf die Jesuiten eine Rolle; vgl. dazu auch wegen des zeitweise bestandenen Expatriierungsgesetzes (1874–1890) Laband. Staatsrecht I § 16 Anm. 4.
  4. Staatsrecht des Rheinhunds (1808 Tübingen bei Cotta) Kap. XI § 282 ff.
  5. Der beissende Witz Emil Frommel’s sagte: „Polizei und Käse haben die Augen da, wo nichts ist.“
  6. Vgl. die Kapitel „Sittlichkeits-, Gesundheits-, Veterinärpolizei“ dieses Abschnitts, ferner Kriminalpolizei (unter Strafrechtsreform), Versicherungswesen, Arbeiterschutz u s. f.
  7. In diesem Sinn definiert Hieber a. a. O S. 53 (vgl. auch S. 110) mit Bezug auf Gaupp-Götz, württ. Staatsrecht (Tübingen 1908), den Gegensatz von Sicherheits- und Verwaltungspolizei: erstere umfasse die Tätigkeit der öffentlichen Organe zur Abwendung speziell derjenigen Gefahren, welche die öffentliche und private Rechtsordnung und damit die Sicherheit der Gesamtheit, wie der Einzelnen, also nicht bloss bestimmte Lebensverhältnisse und Interessen, durch widerrechtliche Handlungen oder Unterlassungen bedrohen, – die Verwaltungspolizei dagegen sei die Betätigung in bestimmten einzelnen Gebieten (Gesundheits-, Bau-, Feuer-, Feldpolizei u. s. f.). Allein fast jede Gefahr wird ein bestimmtes Lebensverhältnis betreffen und, wenn sie nicht elementarer Art ist, zugleich ein Stück Rechtsordnung bedrohen.
  8. Nach preussischem Recht (Gesetz über Allg. Landesverwaltung § 143) können ortspolizeiliche Sicherheitsanordnungen ohne Zustimmung des Gemeindevorstands erlassen werden; vgl. dazu auch Allg. L.R. Teil II Tit. 17 § 10 und v. Kamptz s. v. „Polizei“ in Poseners Rechtslexikon. Wichtig ist die Begriffsfrage auch für R.Vereinsgesetz (1908) § I Abs. 2.
  9. Die ausländischen Gesetze hierüber, unter welchen ein belgisches vom 22. Sept. 1835 den Reigen eröffnete, sind s. v. „Ausweisung“ von Edg. Lüning im Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd. II 3. Aufl. S. 314 ff. zusammengestellt. Das typische Land der Asylfreiheit, Grossbritannien, regelte 1905 die Materie, indem es zwar die Ausweisung aus politischen Gründen nach wie vor ausschliesst, aber bei Aufenthalten Fremder unter einem Jahr, ferner strafrechtlich und für „indesirable aliens“ auf Grund eines limitativen Katalogs manchartiger Anlässe zulässt. Die Schweiz (Bundesverf. Art. 70) behielt sich auf diesem Gebiet eine freie Bewegung vor. Das Institut de droit international gab dem Bestreben völkerrechtlicher Regelung durch Entwurf eines Statuts 1892 Ausdruck.
  10. Vgl. Abschnitt 16 dieses Handbuches und R.Ver.Ges. §§ 1 und 7; auch schon R.Ges. vom 11. Dezember 1899 zur Aufhebung landesrechtlicher Koalitionsverbote.
  11. Vgl. Seuffert im Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts II S. 671 ff. und als Einzelbeispiel Schlusser-Miiller, badisches Polizeistrafrecht, Kommentar bei §§ 30, 31.
  12. Zusammengestellt in Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht § 46 Anm. 13. Vgl. dazu Möricke, die deutschen Tumultgesetze (Berlin, Rothschild 1909).
  13. Der Versuch, in den Polizeietats Mannschaft und Ausgaben für Sicherheitspolizei auszusondern, würde in vielen Beziehungen erfolglos sein.
  14. Vgl. v. Mohl a. a. O. S. 478–496.
  15. Ausländische Arbeiter, unter welchen durch Fleiss und Sparsamkeit die Italiener sich auszeichnen stellen oft Massenansammlungen dar, welche aber mehr die Gesundheits-, als die Sicherheitspolizei beargwöhnt, z. B. wegen der Lücke im Impfwesen. Man pflegt für den Aufenthalt Legitimationskarten mit verschiedener Farbe nach der Nation auszustellen.
  16. Näheres bei Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht § 35. Nur der erste Fall gehört dem staatlichen Sicherheitspolizeirecht, der zweite (Gemeindebefugnis), im Freizügigkeitsgesetz geordnet, virtuell dem Armenrecht an. Der Staat, in welchem Angehörigkeit, Heimatsrecht oder Unterstützungswohnsitz besteht, kann nicht abschieben. Einige Staaten veröffentlichen Ausweisungsstatistiken. In Baden z. B. (statist. Jahrb. 37 S 580) wurden im Jahrzehnt 1898/1907 durchschnittlich jährlich ausgewiesen aus dem Staatsgebiet: nach § 3 des Freizügigkeitsgesetzes Deutsche 1040 und nach dem badischen Aufenthaltsgesetz Ausländer 437, aus dem Reichsgebiet nach R.St.G.B. § 38 bezw. 362 Ausländer 2+15. Über solche Ausweisungen aus letzterem gibt auch die Reichskriminalstatistik Auskunft.
  17. Vgl. übrigens weiter Gew.O. §§ 43, 57, 62, St.P.O §§ 103–6, 113.
  18. Vgl. Reichsvereinsgesetz §§ 13, 14 und wegen der Vereine § 2 (Auflösung, wenn der Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft).
  19. Das Mitglied Friedeberg definierte 1906 das Programm dahin: „Gesetzlosigkeit, Religionslosigkeit, Vaterlandslosigkeit, Antimilitarismus, direkte Aktion, anarchosozialistischer Generalstreik, Zertrümmerung der kapitalistischen Ordnung und Beseitigung des Klassenstaats.“ Welcher Staat könnte aber gesetzlos sein?