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und Anschlägen“ zuvorzukommen, auch Presse und Vereine in dieser Tendenz zu überwachen, so dass in jenem Zeitalter den Fragen der Polizeihoheit als Gegenstand der Regierungskünste wie der oppositionellen Anfechtung, das höchste Interesse galt.[1] Der Wandel trat ein mit der wirklichen Umbildung zum Rechts-Staat, in welchem alle Rechtssphären eine bestimmte Ordnung empfangen, also einerseits die individuellen Freiheiten ihren sicheren, durch Garantien geschützten Bestand, andererseits die staatliche Macht ihre Begrenzung in bezug auf Mass, Richtung und Funktionen.

Dabei ist es nur eine natürliche Entwicklung, dass die Befugnisse zur Vorkehr (Prävention) gegenüber denen der Ahndung (Repression) sich erheblichst mindern, weil die Gefahr der Missentfaltungen gegen das Gemeinwohl geringer geschätzt wird, an Belang und Häufigkeit, als die Last vieler Aufsicht, Bevormundung und Eingriffe. Der Rechtsstaat schloss starke Sicherheitspolizeimittel übrigens an sich nicht aus, nur bedurften sie gesetzlicher Grundlagen. Auch konnten sie, wenn die Wirkung auf grosse Gruppen berechnet war, das öffentliche Hervortreten von seitens der Staatsgewalt reprobierten Richtungen keineswegs mehr, wie in der Zeit des Absolutismus, hintanhalten; denn der Konstitutionalismus schliesst so viele Betätigungsbefugnisse für jeden Staatsbürger, welche ohne Aufgeben des modernen Staatscharakters unentziehbar sind, in sich (Wahlrechte, Wahlagitationen, Parlamentsdebatten und -berichte), dass das Entziehbare in der praktischen Bedeutung dagegen zurücksteht. Das beste Beispiel hierfür gibt das 1878–1890 bestandene deutsche Sozialistengesetz;[2] sozialistischen und kommunistischen Bestrebungen gegenüber gab es zwar den Regierungen Verbotsbefugnisse, – namentlich in bezug auf Vereine, Versammlungen, Kollekten, Druckschriften, auch Ausweisungsrecht[3], aber verhinderte das Anschwellen der sozialdemokratischen Partei keineswegs.

Die geschichtlichen Wendepunkte für Ausbildung, Gestaltung und Zurückdrängung der zur Sicherheit des Staatsganzen geübten Polizei hängen ab demnach von der Lagerung der Macht- und Rechtsfaktoren. Dagegen ist die Entfaltung der Sicherheitspolizei sonst, sowohl für den Schutz des Individuums gegenüber Störungen und Gefahren, wie in bezug auf die immer mehr sich ausdehnenden und innerlich hebenden einzelnen Staatszweige, einfach ein Gegenstand steigender Kultur, indem der zunehmende Umfang und Inhalt des staatlichen Wohlfahrtszwecks ein Gebiet nach dem andern ergreift oder vertieft und damit auch immer neue Schutzaufgaben im Interesse der Sicherheit des Ergriffenen oder Geschaffenen erstehen.

II. Begriffliches. Schon Klüber[4] beklagt – vor einem Jahrhundert – die „logikalische Verzweiflung über einen untadelhaften Gattungsbegriff der Polizei“ und heute bekennt Edgar Löning die Unmöglichkeit einer erschöpfenden Definition für Inhalt und Aufgabe der Sicherheitspolizei insbesondere.

Die älteren Schriftsteller unterschieden kurzweg zwischen der Sicherheitspolizei (cura avertendi mala futura), einerlei ob die abzuwehrenden Übel in drohenden Rechtsverletzungen oder in Gefahren beständen, und der Wohlfahrtspolizei (jus promovendi salutem publicam), vereinzelt blieb R. v. Mohl, welcher alle Vorbeugung gegen Rechtsläsionen als „Präventiv, justiz“ erklärte. Die neuere theoretische Auffassung dehnt den Begriff der „Verwaltung“ aus; schränkt jenen der Polizei ein. Bei vielen Wohlfahrtseinrichtungen fliesst tatsächlich das Fördern ihrer Zwecke und das Verhüten der korrespondierenden Übel, die positiv und die negativ gerichtete Tätigkeit zusammen. Auf das Moment des Schutzes im Gegensatz zur schöpferischen Entfaltung


  1. Vgl. in juristischer Hinsicht Zöpfl, Deutsches Staatsrecht §§ 155 und 459 ff.
  2. Vgl. hierüber „Konservatives Handbuch“ (2. Aufl., Berlin 1894 bei Walther) und E. Richters oft aufgelegtes „politisches ABC-Buch“ (Berlin, Verlag „Fortschritt“) s. v. „Sozialistengesetz“.
  3. Der Gedanke Bismarcks, auch deutsche Agitatoren des Reichs verbannen zu können, kam schon in den inneren Vorstadien des Entwurfs zur Ausschaltung, also bloss die lokale Ausweisung in das Gesetz, abgesehen von Ausländern. Die gleiche Frage spielte in bezug auf die Jesuiten eine Rolle; vgl. dazu auch wegen des zeitweise bestandenen Expatriierungsgesetzes (1874–1890) Laband. Staatsrecht I § 16 Anm. 4.
  4. Staatsrecht des Rheinhunds (1808 Tübingen bei Cotta) Kap. XI § 282 ff.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/188&oldid=- (Version vom 1.12.2021)