Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Seltsame Einladungen
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aus: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911, S. 789–790
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Friedrich Pustet
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Erscheinungsort: Regensburg, Rom, New York, Cincinnati
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Quelle: Commons
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Seltsame Einladungen.
Von W. Kabel.

Im Jahre 1848, als bereits in den Nordstaaten Amerikas eine allgemeine Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei eingesetzt hatte und daher die Fluchtversuche der armen Negersklaven immer zahlreicher wurden, erschien in der New Orleans-Post, der weitverbreitetsten Zeitung der Mississippistaaten, folgendes Inserat[ws 1]:

„Teilnehmer gesucht zur Jagd auf schwarzes zweibeiniges Wild! – In die unzugänglichen Meridiansümpfe bei Greenville sind in letzter Zeit nach oberflächlicher Schätzung gegen hundert Sklaven geflüchtet. Ausgesetzte Belohnungen für Wiederergreifung mehrere tausend Dollars! Organisiere Jagdausflug nach dorthin. Kosten: Person 500 Dollars. Dampfer „Helena“ ab New Orleans 12. Juni 8 Uhr morgens, Leton Rouge 6 Uhr abends, Natchaz 13. Juni 5 Uhr morgens, Vicksburg 4 Uhr nachmittags, Ankunft Greenville 14. Juni 6 Uhr früh. In Greenville Reitpferde und Führer bereit. Schußwaffen sind mitzubringen. Dauer zwei Wochen. Anmeldungen bei James Fearfield, New Orleans, Londonstr. 26.“

Diese Expedition hatte, wie der amerikanische Professor Melville in seinem Werke „Über die Ursachen des nordamerikanischen Bürgerkriegs“ angibt, nicht weniger als 132 Teilnehmer gefunden. Trotzdem war der Erfolg gering. Nur fünf Neger fielen nach tagelanger Jagd den Menschenjägern in hie Hände, und zwar sämtlich so schwer verwundet, daß sie bereits während des Transportes nach Greenville starben.

Noch trauriger berührt jene Annonce, die während des vorletzten Burenkrieges in Londoner Blättern erschien:

„Organisierung einer Expedition nach der Front. Herren von Stellung, die reiten und schießen, können sich anschließen. Karten 300 Pfund Sterling. Adresse und Nachfrage: Bureau „Times“, London E. C.“

Die Expedition gestaltete sich zu einem glänzenden Geschäft aus. Ein Extradampfer brachte die 97 Teilnehmer, die sämtlich den Millionärkreisen Englands angehörten, nach Südafrika. Die Reise auf den Kriegsschauplatz erfolgte ebenso durch Extrazug. Zum Scheine der Gerechtigkeit hatte das Korps sich den Namen „Die Freiwilligen von London“ beigelegt und einen pensionierten Major der Infanterie zu seinem Führer engagiert. Daß die reichen Herren aufs vorzüglichste verproviantiert und bewaffnet waren, braucht bei den durch sie vertretenen Millionenvermögen kaum erwähnt zu werden. Diese schneidige Truppe nahm dann auch – natürlich aus sicherer Entfernung – an mehreren Gefechten teil, wobei die „schießfertigen“ Herren Gelegenheit fanden, eine Unzahl Patronen auf den Gegner zu verknallen, ohne ihre eigene wertvolle Haut dabei allzusehr bloßzustellen. Die Heldentaten dieser Elitetruppe wären vielleicht nie genügend „gewürdigt“ worden, wenn nicht einer der Teilnehmer das Unglück gehabt hätte, durch eine verirrte Kugel in einem [790] Vorpostengefechte den Tod zu finden – nebenbei der einzige Verlust an Toten und Verwundeten, den das famose Korps überhaupt zu verzeichnen hatte. Dieses arme Opfer gab nun den Anlaß zu einem langwierigen Prozeß, in dessen Verlauf die englischen Zeitungen eine Menge sensationeller Enthüllungen über die von dem Bureau „Times“ organisierte Expedition nach der Front brachten. Hektor Manning – so hieß der im „heldenmütigen“ Kampf Gefallene – war nämlich bei einer Lebens-Versicherungsgesellschaft hoch versichert, und diese weigerte sich, den Erben die Versicherungssumme auszubezahlen, indem sie die Einwendung erhob, der Versicherungsnehmer Hektor Manning habe sein Leben unnötig aufs Spiel gesetzt und sie sei daher nach ihren Statuten zur Auszahlung der Versicherungssumme nicht verpflichtet. Die Erben erhoben Klage mit der Begründung, Hektor Manning sei, wie auch alle übrigen Teilnehmer der Expedition, sowohl durch einen kugelsicheren Nickelstahl-Brustpanzer als auch durch einen zweiten, in dem Tornister angebrachten Stahlschutzschild gegen Geschosse genügend gedeckt gewesen, und es läge nur ein unglücklicher Zufall vor, den die Versicherung zu vertreten hätte. Auf diese Weise kam es heraus, wie vorsichtig die tapferen „Freiwilligen von London“ ihre Leiber vor jeder Gefahr geschützt hatten. Spott- und hohngewürzte Artikel erschienen in den Zeitungen, und ein liberales Blatt schrieb unter anderem: „So wie einst der siegreiche Barbar bei der Siegesfeier den berauschenden Wein aus dem grinsenden Totenschädel des erschlagenen Feindes trank, so vermag auch heute noch der angeblich auf der Höhe der Kultur stehende Mensch nur im Anblick der zerschossenen Glieder von seinesgleichen einen neuen Rausch der Sinne sich zu schaffen und nur dadurch dem ewigen Einerlei des Lebens zu entfliehen, daß er seine Schußwaffe im grausamen Zerstörungstrieb gegen seine Mitmenschen richtet. Übersättigte Feiglinge waren es, die der schamlosen Aufforderung zur Teilnahme an jener nur von ekelhafter Geldgier ersonnenen Expedition nach dem Kriegsschauplatz folgten, usw.“ Nebenbei: die Erben Hektor Mannings wurden mit ihren Ansprüchen in sämtlichen Instanzen abgewiesen. Das Bericht entschied, der Versicherte habe sich unnötiger- und höchst frivolerweise einer Lebensgefahr ausgesetzt. Der Umstand, daß er sich durch Stahlpanzer und -schild gegen Kugeln zu schützen suchte, ändere nichts an der Tatsache, daß er sich ohne jeden Grund in eine schwere Gefahr begeben habe.

Während der Regierung Ludwigs XIV., des „Sonnenkönigs“, war es in Paris Mode geworden, daß vornehme Kavaliere, die mit einem ebenbürtigen Gegner einen Zweikampf vorhatten, zu dem Duell nicht nur bekannte Herren, sondern auch Damen der Gesellschaft einluden.[ws 2]

Als einmal der Graf von Vitry, ein flandrischer Edelmann, seinen Degen mit dem des Herrn von Auberville kreuzte, soll der Saal des kleinen Vorstadttheaters, in dem das Duell stattfand, beinahe zu klein für die Zahl der Zuschauer gewesen sein. Graf Vitry hatte für diesen Zweck besondere Einladungskarten drucken lassen, die oben sein Wappen und darunter folgenden Text trugen: „Graf Cesare Emile Louis von Vitry, Herr der Schlösser Seukclerke und Paulehak, wird am 17. Dezember 1632[ws 3] die Ehre der Frau v. Moubbartville mit dem Degen gegen einen Herrn verteidigen, dessen Name nicht wert ist, fernerhin genannt zu werden. Ew. Hochgeboren sind hiermit zu dem Zweikampf, der um fünf Uhr nachmittags in dem Theatersaale Chabriot seinen Anfang nimmt, ehrerbietigst eingeladen.“

Bei diesem Duell wurde, wie ein Zeitgenosse des Grafen berichtet, der Herr v. Auberville im fünften Gange durch einen Degenstoß, der das Herz durchbohrte, getötet. Und – ein Zeichen der damaligen Sittenverrohung! – der Vetter des Gefallenen ließ sofort an Ort und Stelle das blutbefleckte Hemd Aubervilles in kleine Stücke zerschneiden und an die anwesenden Damen verteilen, die auch nicht im entferntesten daran gedacht hatten, beim Anblick des unter dem wohlgezielten Degenstoße Zusammensinkenden in Ohnmacht zu fallen.

In Kalifornien hatten Verbrecher, die zum Tode verurteilt waren, das Recht, zu ihrer Hinrichtung Freude und Bekannte einzuladen. Darin waren sie in keiner Weise beschränkt, und alle in regelrechter Form „gebetenen Gäste“ wurden zu dem grausigen Schauspiele zugelassen. Das vorgedruckte Formular lautete: „Sie werden hiermit ergebenst gebeten, der Hinrichtung von X. Y. im Gefängnishofe nächsten Freitag vormittags elf Uhr beizuwohnen. Zeigen Sie diese Karten gefälligst dem Kapitän am Gefängnistor vor. Eine Übertragung an andere ist unbedingt unstatthaft.“

Da in jedem Verbrecher ein großes Stück Renommiersucht und Eitelkeit steckte, so machten die meisten von diesem Rechte, ihre Bekannten auf ihrem letzten Gange um sich zu haben, tatsächlich Gebrauch. Sie zeigten sich größtenteils äußerst gefaßt, um vor ihren Freunden nicht für Schwächlinge gehalten zu werden.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der erste Teil entspricht dem Artikel Teilnehmer gesucht! von Walther Kabel. Dieser erschien 1912 in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens.
  2. Die letzten Abschnitte entsprechen dem Artikel Eigenartige Einladungen von Walther Kabel. Dieser erschien 1911 in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens.
  3. 1632 war Ludwig XIV. (1638–1715) nocht nicht geboren. Die Unstimmigkeit trifft aber auch auf den Artikel Eigenartige Einladungen zu und ist daher als Fehler von Walther Kabel aufzufassen.