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Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.

Bauten kommen die gleichen Steinmetzzeichen vor, welche von denen anderweitiger Gebäude durchaus verschieden sind, wie wir am Schlusse erfahren werden.

Die Allerheiligenkirche auf dem Hradschin war schon unter Ottokar II. im Jahre 1263 gegründet worden und diente als die eigentliche Residenzkapelle. Kaiser Karl faßte den Entschluß, hier ein besonderes Kapitel zu errichten und ließ deshalb die Kirche durch seinen Meister Parler von Grund aus neu aufbauen. Dieses dermal mit dem adeligen Damenstifte vereinigte Gebäude war das erste, welches bei dem Brande von 1541 in Flammen gerieth und wegen vieler in der Nähe befindlicher Holzvorräthe so gründlich zerstört wurde, daß nur die Umfassungsmauern stehen blieben, während alle Gewölbe, Fenster, Portale und sonstigen Einzelheiten theils zusammenstürzten, theils abgetragen werden mußten, als man die Kirche wieder in Stand setzte. Die Restauration wurde im farblosesten Zopfstil durchgeführt und die Westseite ganz verbaut, so daß nur der Grundriß zum Theil ermittelt werden konnte. Den erhaltenen Resten zufolge war die Allerheiligenkirche ganz regelmäßig angeordnet und hielt bescheidene Verhältnisse ein: das Haus war dreischiffig und hallenförmig, indem das Mittelschiff eine Weite von etwa 22 Fuß, jedes der Nebenschiffe 11 Fuß einhielt. Genauere Maße können nicht mehr angegeben werden; auch läßt sich nicht bestimmen, ob drei oder vier Pfeiler in der Längenrichtung standen. Der mit dem Mittelschiffe gleich weite Chor besteht aus drei Gewölbeabtheilungen und ist aus fünf Seiten des Zehnecks geschlossen. Aus den am Chorschluß noch bestehenden alten Strebepfeilern läßt sich entnehmen, daß die Kirche schlank aufgebaut war und die Höhe des Chores gegen 60 Fuß betragen haben mochte. Wir glaubten diese kurze Beschreibung nicht unterlassen zu dürfen, weil die einst hochgerühmte Kirche urkundlich als ein Werk Parlers angeführt wird und zugleich den Beweis liefert, daß der Meister sich auch in der alterthümlich strengen Richtung zu bewegen verstand.

Andere Kirchenbauten, an denen sich Parler mehr oder minder betheiligt zu haben scheint und die ihm mit ziemlichem Rechte zugeschrieben werden, sind die kleine aber höchst elegant ausgeführte Servitenkirche, genannt Maria in Slup, deren Netzgewölbe von einer einzigen in der Mitte stehenden Rundsäule unterstützt wird, ferner die Mariahimmelfahrts- oder Teynkirche, beide in Prag, die in Ruinen liegende Klosterkirche Oybin bei Zittau und die Pfarrkirche zu Przelautsch; auch vermuthet man, daß er beim Bau der Dorotheenkirche in Breslau und der Stadtkirche in Zittau mitgewirkt habe. Ganz im Geiste Peters gedacht und durchgeführt ist die Teynkirche als erste Pfarrkirche von Prag und eine der merkwürdigsten des Landes. Der Teyn oder Kaufhof, „curia hospitum mercatorum quae vulgariter Tyn dicitur“, war eine der ältesten Einrichtungen des alten Prager Burgfleckens, dessen Anlage bis in das X. Jahrhundert zurückverlegt wird. Mit dem Kaufhofe stand von je eine Kirche in Verbindung, welche nach und nach immer größere Bedeutung erlangte und Eigenthum der Kaufleute war. Um 1370 beschloßen die meist deutschen Kaufleute, die Kirche auf ihre Kosten vergrößern zu lassen, und führten ihr Vorhaben sofort aus. Der Massenbau wurde bis etwa 1415 vollendet, die Thurmhelme aber erst unter dem König Podiebrad (1458–1471) aufgestellt. Die Anlage ist einheitlich und wohlgemessen; das dreischiffige Kirchenhaus wird durch acht reichprofilirte Pfeiler, vier auf jeder Seite, und zwei verstärkte Thurmpfeiler eingetheilt, an der Westfronte erheben sich zwei quadratische Thürme. Die beiden Seitenschiffe sind auf gewöhnliche Weise dreiseitig, das Mittelschiff aber durch vier Seiten des auf die Spitze gestellten Achtecks geschlossen, so daß ein Pfeiler im Mittel der Kirche hinter dem Hochaltare steht. Wir erblicken also wieder eine von jenen

Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.. H. Lindemann, Stuttgart 1878, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WuerttVjhhLG_Jhg_01.djvu/085&oldid=- (Version vom 1.8.2018)