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Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.

entsprechenden Nebenfelder der Façade sind, von zwei kleinen Rosetten abgesehen, glatt belassen, auf daß das im Mittelfelde befindliche Hauptportal eine desto größere Wirkung hervorbringe. Das Portal steigt mit seiner krönenden giebelförmigen Verdachung bis zur Höhe von 50 Fuß an und füllt, da es sich von dem einen Strebepfeiler bis zum entgegengesetzten ausbreitet, das ganze Mittelfeld aus. Dabei wiederholt sich die Anordnung der Façade genau im Portale, indem letzteres dieselben Umrisse im verkleinerten Maßstabe zeigt. Skulpturen, mit denen die Seitenportale reich ausgestattet sind, kommen am Hauptportal und überhaupt an der Westseite nicht vor. Der Erbauer des Chores und der Langseiten hat in keinem Falle die Façade angeordnet, welche nicht allein einen ganz andern Geist, sondern auch eine vom übrigen Bau wesentlich verschiedene Technik beurkundet.

Wir erinnern uns nicht, je ein Kirchengebäude gesehen zu haben, dessen mit wenigen Linien gezeichnete Hauptansicht einen so überwältigenden Eindruck hervorriefe.

Die eingehaltenen Maße sind bedeutend: die Gesammtlänge der Kirche beträgt 278 württembergische Fuß, von denen auf den Chor mit Einschluß der Kapellen 116 Fuß, auf das Langhaus 162 Fuß entfallen. Die Breite durch die Kapellen hält 120 Fuß, durch das Langhaus 92 Fuß, und die Höhe bis in den Gewölbescheitel des Mittelschiffes 75 Fuß ein, indem die Seitenschiffe nur um etwa 2 Fuß niedriger gehalten sind. Die Gewölbe zeigen jene kunstreich verschlungenen und doch schwerfälligen Netzbildungen, welche im Anfange des 16. Jahrhunderts allgemein üblich waren, im Kapellenkranze aber bestehen noch die ursprünglichen einfachen Kreuzgewölbe. Wie in der allgemeinen Anordnung spricht sich auch in den Einzelheiten ein gewisses Gepräge aus, welches als spezifisch schwäbisches bezeichnet werden darf und das an allen spätern Bauwerken des Landes wiederkehrt. Im Vergleich mit den rheinischen Denkmalen, namentlich dem Kölner Dome, zeigen die Portale und Fenster der Kreuzkirche einfachere Formen, auch sind die Wandflächen freier belassen. Mit Baldachinen, Bilderblenden und sonstigen Dekorationen ist verhältnismäßig gespart, wenn auch an geeigneten Stellen eine reiche Ausstattung nicht fehlt.

Bei den Maßwerken ist das System der Abwechslung festgehalten, jedes Fenster ist auf andere Weise ausgestattet, auch sind in den vier- und sechsfeldrigen Fenstern stets zweierlei Stäbe, schwächere und stärkere, angeordnet. Die alterthümlich geometrische Bildungsweise herrscht vor, doch trifft man schon in den ältesten von keiner Restauration berührten Baupartien verschiedene Anklänge, welche den bereits überschrittenen Höhepunkt des Stiles ankündigen: z. B. Segmentbogen oberhalb der Chorfenster, Fischblasenverschlingungen und willkürliche Feldertheilungen, welche den gleichzeitigen Bauten in Köln und Straßburg noch fremd sind. An die sieben Kapellen der Chorrundung schließen sich auf jeder Seite des Chores noch drei in gerader Flucht liegende Kapellen an, worauf Sakristei und Taufhaus, welche sich gegenüberstehen, den Uebergang in das Langhaus vermitteln und zugleich die Kreuzform andeuten.

Neben der schon angeführten bildnerischen Ausstattung der Seitenportale verdienen die aus Sandstein gearbeiteten runden Figuren von Heiligen, welche auf den Strebepfeilern unter vortretenden Fialen aufgestellt sind, die vollste Beachtung. Wir werden auf diese Figuren und ihre eigenthümliche Aufstellung in der Folge zurückkommen. Das Innere enthält keine Skulpturen, wohl aber sind im Laufe einer in neuester Zeit bewerkstelligten Restauration nach Beseitigung der Kalktünche

Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.. H. Lindemann, Stuttgart 1878, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WuerttVjhhLG_Jhg_01.djvu/020&oldid=- (Version vom 1.8.2018)