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Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.

In den Grenzdistrikten, besonders entlang des Rheines, fanden die mannigfaltigsten Wechselbeziehungen statt, welche in den Münstern von Straßburg und Köln ihren vollendetsten Ausdruck gefunden haben, indem nebenher französische Elemente bis in die Mitte von Deutschland und deutsche nach Frankreich verpflanzt wurden. Ein fernerer Unterschied zwischen französischer und deutscher Bauweise besteht nach unserer Ansicht darin, daß in der ersteren die Horizontallinien immer stark betont werden, während in Deutschland der Vertikalismus zur unbedingten Herrschaft gelangt. Hier hielt man fortwährend die einfache Anlage fest und bildete die Einzelheiten mit desto größerem Fleiße durch; dort blieb der komplizirte Grundriß in Geltung und die mehr glänzende als sorgfältige Ausstattung des Aeußern. Eine schulmäßige Formenverwandtschaft zwischen den Denkmalen Deutschlands kann nur hie und da nachgewiesen werden; charakteristisch ist vielmehr, daß die Mehrzahl der großen Bauwerke isolirt steht, ohne auf die nächste Umgegend irgend bemerkbaren Einfluß geübt zu haben. Von den bahnbrechenden Künstlern, welche die Dome zu Köln, Magdeburg, Erfurt, Wien, Regensburg u. s. w. gegründet haben, wissen wir soviel als gar nichts: ihre Namen haben sich bisher allen Nachforschungen entzogen. Selbst über den vielgefeierten Erwin von Steinbach, den einzigen, dessen Name ununterbrochen im ehrenden Angedenken der nachfolgenden Generationen verblieben ist, besitzen wir keine nähere Kunde, als daß er von 1277 bis zu seinem Tode im Jahr 1318 den Bau der Münsterfaçade zu Straßburg geleitet und daß nach ihm sein Sohn Johann das Werk fortgeführt habe. Das Herkommen des Meisters ist unbekannt; in welcher Schule er seine Kenntnisse erworben, welche anderweitigen Arbeiten er ausgeführt habe, wird von keiner Chronik oder Inschrift mitgetheilt.

Bedenkt man die Seltenheit älterer Geschichtsquellen und die Vieldeutigkeit der sich auf künstlerische Verhältnisse beziehenden Nachrichten, so darf es als besonderer Glücksfall angesehen werden, daß in neuester Zeit verschiedene Urkunden entdeckt wurden, welche über das Wirken eines höchst bedeutenden Meisters und die Thätigkeit einer von Schwaben bis in die Ostmarken des deutschen Reiches sich ausbreitenden Kunstschule ziemlich umfassende Aufschlüsse geben. Das Feld unserer Untersuchungen ist zunächst Böhmen, wo Meister Peter von Schwäbisch Gmünd, genannt Parler, von 1356 bis gegen 1400 ununterbrochen thätig war, der den Dom zu Prag und viele andere Werke ersten Ranges ausführte, eine Bildhauerschule gründete und auch in den übrigen Kunstfächern außerordentliche Kenntnisse entfaltete.

Die Urkunden und sonstigen Belege, auf welche sich diese Abhandlung stützt, finden am Schlusse eine eingehende Besprechung.


I. Die Gründung des Domes in Prag.

Herzog Wenzel der Heilige, der eifrigste Förderer des Christenthums in Böhmen, ließ um das Jahr 930 auf dem Prager Schloßberge eine kleine runde Kirche erbauen, welche, dem heiligen Veit gewidmet, in der Folge, nachdem in Prag ein selbständiges Bisthum errichtet worden war, zur Kathedrale erhoben wurde. Diese Kirche ward von Herzog Spitihnew (1055–1061) viel zu klein befunden, weshalb er dieselbe abtragen und an deren Stelle eine größere, der angewachsenen Bevölkerung entsprechende herstellen ließ. Im Verlaufe von nahezu dreihundert Jahren war die von Spitihnew errichtete Kirche mehrmals abgebrannt und mochte sich in sehr schadhaftem Zustande befunden haben, als König Johann der Luxemburger

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Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.. H. Lindemann, Stuttgart 1878, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WuerttVjhhLG_Jhg_01.djvu/010&oldid=- (Version vom 1.8.2018)