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traf ich jedoch anfänglich auf eine Neigung, mit redlichem Willen auf die in meinen Kunstschriften niedergelegten Ansichten einzugehen. Jenes erwähnte Libell des Dr. Hanslick in Wien über das „Musikalisch-Schöne”, wie es mit bestimmter Absicht verfaßt worden, ward aber auch mit größter Hast schnell zu solcher Berühmtheit gebracht, daß es einem gutartigen, durchaus blonden deutschen Aesthetiker, Herrn Vischer[WS 1], welcher sich bei der Ausführung eines großen Systems mit dem Artikel „Musik” herumzuplagen hatte, nicht wohl zu verdenken war, wenn er sich der Bequemlichkeit und Sicherheit wegen mit dem so sehr gepriesenen Wiener Musikästhetiker associirte: er überließ ihm die Ausführung dieses Artikels, von dem er Nichts zu verstehen bekannte, für sein großes Werk.[1] So saß denn die musikalische Judenschönheit mitten im Herzen eines vollblutig germanischen Systems der Aesthetik, was auch zur Vermehrung der Berühmtheit seines Schöpfers um so mehr beitrug, als es jetzt überlaut in den Zeitungen gepriesen, seiner großen Unkurzweiligkeit wegen aber von Niemand gelesen ward. Unter der verstärkten Protection durch diese neue, noch dazu ganz christlich-deutsche Berühmtheit, ward nun auch die musikalische Judenschönheit zum völligen Dogma erhoben; die eigenthümlichsten und schwierigsten Fragen der Aesthetik der Musik, über welche die größten Philosophen, sobald sie etwas wirklich Gescheidtes sagen wollten, sich stets nur noch mit muthmaßender Unsicherheit geäußert hatten, wurden von Juden und übertölpelten Christen jetzt mit einer Sicherheit zur Hand genommen, daß demjenigen, der sich hierbei wirklich Etwas denken, und namentlich den überwältigenden Eindruck der Beethovenschen Musik auf sein Gemüth sich erklären wollte, etwa so zu Muthe werden

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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)

  1. Dieses theilte mir Herr Professor Vischer einst selbst in Zürich mit: in welchem Verhältniß die Mitarbeit des Herrn Hanslick als eine persönliche und unmittelbare herbeigezogen wurde, ist mir unbekannt geblieben. [WS 2]

  1. Theodor Friedrich Vischer (1807–1887), Schriftsteller und Ästhetiker
  2. Tatsächlich hatte Karl Reinhold Köstlin (1819–1894), evangelischer Theologe, Professor für Ästhetik in Tübingen und Literaturhistoriker – der Wagner nahe stand und sich als einer der ersten Ästhetiker für seine Musik einsetzte – Vischer beraten. Siehe auch: Eugen Schneider Karl von Köstlin.