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Da dies Schreiben für den Werth und Charakter der Berliner Judenpresse so überaus bezeichnend ist, lassen wir es hier folgen:[1]

Nach solchen Lügen bildet sich eine leichtgläubige Leserschaft ihr Urtheil, die auswärtige Presse druckt die Berliner Erfindungen nach, und in der Welt bildet sich die alberne Meinung, in den christlich-socialen Versammlungen werde eine Judenhetze veranstaltet. Berliner Fortschrittsmänner behaupten solche Albernheiten in Volksversammlungen; da darf man sich nicht wundern, daß ein Hamburger „Religionsloser“ sich über „die gemeinsten und niederträchtigsten Verleumdungen,“ über den „Schmutz und Koth,“ womit die Juden beworfen worden, beschwert und mit einem komisch wirkenden Pathos an mich schreibt: „Ist denn ein Mensch zu verdammen, der in seiner Unwissenheit die schändlichen Lehren, welche Sie bestrebt sind


  1. Berlin, den 21. September 1879.
    Geehrte Redaction des Berliner Tageblatt!

    Seit Gründung Ihres Blattes bin ich Ihr Abonnent. – Wenn ich auch seit einem Jahre mit Ihrer Wendung nicht im Innern zufriedengestellt bin, so las ich es doch gerne, da ich manches Wissenschaftliche darin fand. Den Localnachrichten schenkte ich größtentheils nicht Aufmerksamkeit, da ich mich öfter überzeugte, daß sie größtentheils übertrieben, oder dann widerrufen worden, an eine gänzliche Unwahrheit dachte ich nicht, da ich mich vom Gegentheil noch nicht überzeugt hatte. – Heute überzeugte ich mich, wie leichtfertig Sie dem Publicum Ihre Localnachrichten auftischen, und wie Sie dieselben benutzen, um Reclame für Ihr Blatt zu machen.

    Circa 25 Jahre bin ich Berliner Bürger, jedoch seit dem Jahre 1865 halte ich mich von jeder politischen Versammlung fern, und nur aus Interesse für mein Judenthum besuchte ich am 19. d. M. Abends die Versammlung, einberufen vom Hofprediger Herrn Stöcker! Eine stattliche Versammlung von circa 700 Personen, nicht wie Sie meinen, daß der größte Theil Provinzialen wären: es waren lauter Berliner Bürger, indem sie sich nach ihren Wahlbezirken eingetheilt und geordnet haben.

    Sie sandten heute einen Bericht in die Welt in Ihrer Zeitung, welcher nur die eine Wahrheit enthielt, daß eine Versammlung stattgefunden; alles Andere ist gelogen und [22] erdichtet. Ich bin der größte Gegner von Herrn Stöcker, es gelang mir auch, bei der Versammlung theilweise seine Ansichten abzuschwächen, und dennoch werde ich am Ende gezwungen sein, Herrn Stöcker Gerechtigkeit zukommen zu lassen, als er die Behauptung in seinem Vortrage aufstellte, „daß die Reporter gewisser Blätter eine Schande für die Stadt der Intelligenz sind, daß sie eben so unwissend als unwahr sind. Vieles fälschen sie aus Unverstand, das Meiste aus Bosheit.“ Was soll dieser Popanz in Ihrer heutigen Zeitung? Es wurde nicht Theater gespielt; es wurden Debatten geführt über die heiligsten Rechte zweier Glaubensgenossen, und die Versammlung fand großes Interesse an für und wider, so daß sie einstimmig beschloß, in der nächsten Zeit noch einen Abend diesem Thema zu widmen. Was kümmert sich die Welt um Ihr Tageblatt? Sobald es aber da ist, so muß die Redaction rein sein wie Gold; und wie ein jeder Richter über jeder Partei steht, so muß dieser Vertreter seiner Zeitung stehen.


    Wenn Sie nicht zuverlässige Reporter haben, so unterlassen Sie doch den Bericht; würden Sie für 5 Pf. den Vortrag von Herrn Stöcker gekauft haben, so würden Sie gewußt haben, daß der Mann die größten Autoritäten des Judenthums anführte, sehr mäßig sprach, dadurch einen sehr großen Eindruck bei seinen Anhängern hervorbrachte; fünf sprachen [23] dagegen; und auch da hat ein großer Theil der Versammlung sich den Ausführungen angeschlossen. Und wenn eine Versammlung von 700 Personen ca. 3 ½ Stunden mit Aufmerksamkeit den Debatten folgt, wollen Sie die ganze Sache in’s Lächerliche und in Casper-Theater umwandeln. Sogar die Bemerkung über Herrn Raup ist falsch! Wohl sagte er: ich bin weder Socialdemokrat noch Jude; ich habe drei preußischen Königen treu gedient, habe mit meinen jüdischen Kameraden nur Frieden gehabt; getheilt haben sie mit mir jeden Bissen, habe sie liebgewonnen und schätze die größte Masse der Juden; Spitzbuben giebt es unter Christen ebenfalls die Menge. Den Nachsatz legen Sie ihm zu. Ein Anderer, seinen Namen kenne ich nicht, auch ein Christ, sein Auge leuchtete wie Feuerkugeln, der schleuderte Herrn Stöcker die von Ihnen angeführten Worte zu. Der von Ihnen niedergeschriebene letzte Satz ist die größte Lüge; denn Herr Stöcker antwortete auf jeden Vortrag und vertheidigte sich, daß wir ihn mißverstanden hätten. – Ist es dann ein Wunder, wenn der Vorstand Ihre Reporter nicht einlassen will? Meinen Gegner kann ich nur bekämpfen, wenn ich ihm Gerechtigkeit zukommen lasse, besonders wo er Anspruch hat, daß wenigstens Wahrheit berichtet wird. Zum Schlusse ersuche ich Sie, als Ehrenmann, in Ihrer nächsten Nummer des Tageblatts, Ihren heutigen Bericht zu widerrufen …
    Elias Cohn.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland. Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)