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Es steht ein Baum im Odenwald,
Der hat viel grüne Äst,
Da bin ich schon viel tausend mahl
Bei meinem Schaz gewest.

5
Da sizt ein schöner Vogel drauf,

Der pfeift gar wunderschön,
Ich und mein Schäzlein lauern auf,
Wenn wir mitnander gehn.

Der Vogel sizt in seiner Ruh

10
Wohl auf dem höchsten Zweig

Und schauen wir dem Vogel zu,
So pfeift er allso gleich.

Der Vogel sizt in seinem Nest
Wohl auf dem grünen Baum,

15
Ach Schäzel bin ich bei dir g’west

Oder ist es nur ein Traum?

Und als ich wied’rum kam zu dir,
Gehauen war der Baum,
Ein andrer Liebster steht bei ihr,

20
O du verfluchter Traum.


Der Baum der steht im Odenwald
Und ich bin in der Schweiz,
Da liegt der Schnee, und ist so kalt,
Mein Herz es mir zerreisst.[1]


Bald gras ich am Neckar,
Bald gras ich am Rhein,
Bald hab ich ein Schätzel,
Bald bin ich allein.

5
Was hilft mir das Grasen

Wann die Sichel nit schneidt,
Was hilft mir ein Schätzel,
Wenn’s bei mir nicht bleibt.

So soll ich dann grasen

10
Am Neckar am Rhein,

So werf ich mein goldiges
Ringlein hinein.

Es fliesset im Neckar,
Und fliesset im Rhein,

15
Soll schwimmen hinunter

Ins tiefe Meer n’ein

Und schwimmt es das Ringlein,
So frisst es ein Fisch,
Das Fischlein soll kommen

20
Aufs König sein Tisch.


Der König thät fragen,
Wems Ringlein soll sein?
Da thät mein Schaz sagen,
Das Ringlein g’hört mein.

25
Mein Schäzlein thät springen,

Berg auf und Berg ein,
Thät mir wiedrum bringen
Das GoldRinglein fein.

Kannst grasen am Neckar,

30
Kannst grasen am Rhein,

Wirf du mir immer
Dein Ringlein hinein.[2]


So viel Stern am Himmel stehen,
So viel Schäflein als da gehen,
In dem grünen Feld,

So viel Vögel, als da fliegen,

5
Als da hin und wieder fliegen:

So viel mahl sei du gegrüsst.

Soll ich dich dann nimmer sehen –
Ach das kann ich nicht verstehen,
O du bittrer Scheidens Schluss!

10
Wär ich lieber schon gestorben,

Eh ich mir ein Schaz erworben,
Wär ich jezo nicht betrübt.


  1. Aus der eigenhändigen Niederschrift der Frau Pattberg. Darnach ohne Abweichungen in Des Knaben Wunderhorn 3, 116 mit der Aufschrift „Aus dem Odenwald“.
  2. Aus Des Knaben Wunderhorn 2, 15 mit der Aufschrift
    Rheinischer Bundesring.
    (Mitgetheilt von Frau von Pattberg.)
    Den Klammervermerk ersetzte Erk in der Neubearbeitung 2, 18 durch die Angabe „(A. v. Arnims Sammlung)“; hier und in Erks Deutschem Liederhort S. 232 die Varianten: Str. 21, 3 „Was bat mich“ und Str. 31 „schönes“ anstatt „goldiges“. Vgl. oben S. 84.
Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/47&oldid=- (Version vom 1.8.2018)