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Gegenwart und Zukunft! So hat jetzt ein vom Schicksal und den Menschen Verfolgter sich in die Gewölbe dieser zerfallenen Burg geflüchtet, und sich in einem derselben eine Wohnung bereitet. Die Eingange zu dem Gewölbe hat er mit Thüren von Binsen geflochten, versehen, und die Öffnungen, durch welche das Licht hereinfällt, mit geöltem Papier bekleidet; in dem einen Winkel steht sein hölzernes Bettgestell mit Laub und Moos gefüllt, und in dem andern eine Drehbank, die sein dürftiger Unterhalt ist. In einem der Nebengewölbe hat er sich eine Küche eingerichtet; seine ärmlichen Geräthschaften stehen in ärmlicher Ordnung umher, rund um die Ruinen hat er angefangen Schutt und verwildertes Strauchwerk hinweg zu räumen, um die besten Stellen urbar zu machen, und dankbar wird ihm die Erde darbringen, was er zu seinem Unterhalte bedarf. Er lebt in der Stille in seiner unterirdischen Wohnung, niemand zur Last; geht nur dann unter Menschen, wenn er von seinen Dreherarbeiten verkaufen will, um sich die nöthigsten Bedürfnisse dafür anzuschaffen. Sein Wesen zeigt nicht Menschenscheue, sondern vielmehr ein reines Bewusstseyn. Seit einiger Zeit haben sich einige Menschenfreunde thätig seiner angenommen, und ihm beim nahenden Winter Holz, einen Windofen und eine bessere Drehbank verschafft. Wie wenig bedarf dieser Abgeschiedene, der ferne von der menschlichen Gesellschaft die Wildnisse bewohnt. Noch einige Steine mit alten Inschriften, welche man sonst vor wildem Gesträuche nicht sah, sind durch den Fleiss des Einsiedlers sichtbar geworden, und bieten den Freunden des Alterthums einigen Stoff zu Nachforschungen dar.

A. v. P–g.     

Volkssage von der Burg Stolzeneck.[1]

Auf der Burg dieses Namens wohnte vor alter Zeit ein Ritter, mit Gottfrieds Heer zog er gegen die Ungläubigen, und liess seine Schwester mit einigen alten Dienern allein auf der Burg zurück.

Da kam eines Tages ein fremder Ritter und warb um ihre Hand; doch das Fräulein sprach mit kurzen Worten: nein! Der ergrimmte Freier warf sie ins Burgverliess, und ermordete alle Menschen und Thiere, die er im Schlosse fand; nur ein zahmer Rabe, des Fräuleins Liebling, rettete sein Leben, und erhob sich in die Luft. Der Wütrich schwur, der Unglücklichen nicht eher Speise noch Trank zu reichen, bis sie ihm die Hand geben würde; alle Tage kam er vors Gitter, und immer sprach sie nein. Bei jedem Male glaubte er, nun würde sie der Hunger zum Jawort nöthigen; allein zu seinem Erstaunen antwortete sie ein ganzes Jahr hindurch immer nein. Ihr Liebling, der treue Rabe, brachte ihr täglich Früchte, die ihr den Durst löschten, und Wurzeln, die sie nährten; so erhielt er ihre Tage. Als endlich der Bruder wiederkehrte, fand er seine Burg ausgestorben und leer; er sah hinab vom steilen Berge ins einsame Neckarthal, doch nirgends entdeckte er eine Spur von der geliebten Schwester. Da vernahm er plötzlich ein leises Seufzen, eine wehmüthige Klage aus der Tiefe der schrecklichen Gefängnisse, folgte schnell dem bangen Ton und erkannte die Stimme seiner Schwester: sie erzählte ihm ihr trauriges Schicksal[WS 1], aber gleich dem Sturmwind eilte in diesem Augenblick der fremde Ritter daher, das gezückte Schwert in der Hand, stürzte er auf den Wehrlosen zu; dieser ohne Waffen und Wehr glaubte sich verloren, doch siehe! es flatterte unter Sausen und Brausen ein Heer krächzender Raben aus den dunkeln Gründen des Waldes herauf, herbeigelockt vom Liebling des Fräuleins, fielen sie über den Fremden her, er vermochte nicht, sich des ungeheuern Schwarms zu erwehren; sie hackten ihm die


  1. Badische Wochenschrift. Nr. 10. Freitags den 6. März 1807. Sp. 154. 155.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Sckicksal
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Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/40&oldid=- (Version vom 15.2.2020)