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Bantu-Sprachen ein besonderes Präfix, um damit besonders große Dinge zu bezeichnen, während andere Präfixe als Verkleinerungspräfixe dienen; auch werden hier Gegenstände, die regelmäßig als Elemente einer kollektiven Vielheit, als „einer von vielen“ vorkommen, von solchen geschieden, die, gleich den Augen, den Ohren, den Händen des Menschen in paarweiser Gliederung als „doppelt vorhandene Dinge“ auftreten[1]. Was die Stellung und Lage betrifft, so ist es z. B. in vielen amerikanischen Eingeborenensprachen für die Klassenzugehörigkeit eines Wortes bestimmend, ob der Gegenstand, den es bezeichnet, als stehend, als sitzend oder liegend gedacht wird[2]. Wenn hier eine Gliederung der Objekte nach direkten, anschaulich-faßbaren Merkmalen stattfindet, so begegnet daneben auch eine Klassifikation, die ein merkwürdiges mittelbares Prinzip der Einteilung benutzt, indem sie die Gesamtheit der Dinge den Gliedern des menschlichen Leibes zuordnet und sie kraft der Zugehörigkeit zum einen oder anderen Glied zu verschiedenen sprachlichen Gruppen zusammenfaßt. Man erkennt hierin das gleiche Motiv, das uns bereits im Aufbau der Raumanschauung durch die Sprache und in der Bildung gewisser primärer Raumworte entgegengetreten ist: der menschliche Körper und die Unterscheidung seiner einzelnen Gliedmaßen dient als eine der ersten und notwendigen Grundlagen der sprachlichen „Orientierung“ überhaupt[3]. So wird in manchen Sprachen die Einteilung der Körperteile geradezu als das durchgehende Schema benutzt, nach dem sich die Auffassung des Weltganzen und seiner Gliederung richtet, insofern hier jedes einzelne Ding, das die Sprache benennt, zunächst mit irgendeinem Körperteil, etwa mit dem Mund, mit den Beinen, mit dem Kopf, dem Herzen, der Brust u. s. f. verknüpft wird und gemäß dieser Grundbeziehung die Einzelobjekte in bestimmte Klassen, in feste „Genera“ abgeteilt werden[4]. In


  1. [1] S. die Darstellung der Klassenpräfixe in Meinhofs vergl. Grammat. der Bantusprachen, S. 8 ff., 16 ff.
  2. [2] Vgl. Powell, Introd. to the study of Indian Languages, S. 48. – In der Ponca-Sprache, die zwischen belebten und unbelebten Gegenständen unterscheidet, dient in der ersteren Klasse ein besonderes Präfix dazu, um einen ruhenden, ein anderes, um einen bewegten Gegenstand zu bezeichnen, ein Präfix wird für ein einzelnes belebtes Wesen, wenn es steht, ein anderes für ein solches Wesen, wenn es sitzt, gebraucht u. s. f. cf. Boas und Swanton, Siouan in Boas’ Handbook I, 940.
  3. [3] S. ob. S. 156 ff.
  4. [4] Bezeichnend hierfür ist insbesondere die sehr merkwürdige Klasseneinteilung der südandamanischen Sprachen, die von E. H. Man (On the aboriginal[WS 1] inhabitants of the Andaman Islands, with report of researches into the language of the South Andaman Island by A. J. Ellis, London 1883) eingehend beschrieben worden ist; Ergänzungen zu der Darstellung Mans sind von M. V. Portman, Notes on the Languages of South [267] Andaman Group of Tribes, Calcutta 1898, gegeben worden. Im Klassensystem des Andamanischen bilden zunächst die menschlichen Wesen eine besondere Klasse, die von den sonstigen Nomina unterschieden wird; dann aber werden die einzelnen Körperteile, sowie die Verwandtschaftsnamen in Gruppen abgeteilt, die sprachlich scharf voneinander getrennt werden, so daß z. B. für jede besondere Gruppe besondere possessive Fürwörter, besondere Ausdrücke des mein, dein, sein u. s. f. im Gebrauch sind. Zwischen den einzelnen Körperteilen selbst und den Verwandtschaftsgruppen besteht dann weiterhin wieder eine Reihe analogischer Zuordnungen und „Identitäten“. (Cf. Man, a. a. O., S. 51 ff. und Portman, a. a. O., S. 37 ff.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: aborginal
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/282&oldid=- (Version vom 18.3.2023)