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seiner gesamten Beschaffenheit nach hier noch nicht aus dem Gebiet der vokalen Geste heraus. So begreift es sich, daß es fast überall dieselben Laute sind, die in den verschiedensten Sprachen zur Bezeichnung gewisser örtlicher Bestimmungen verwendet werden. Abgesehen davon, daß Vokale verschiedener Qualität und Helligkeit der Abstufung im Ausdruck der räumlichen Entfernung dienen, sind es gewisse Konsonanten und Konsonantengruppen, denen eine ganz bestimmte sinnliche Tendenz innewohnt. Schon in den ersten Lallwörtern der Kindersprache scheiden sich scharf die Lautgruppen mit wesentlich „zentripetaler“ Tendenz von denen mit „zentrifugaler“ Tendenz. Das m und n trägt ebenso deutlich die Richtung nach innen, wie die nach außen sich entladenden Explosivlaute, das p und b, das t und d das entgegengesetzte Streben bekunden. In dem einen Falle bezeichnet der Laut ein Streben, das auf das Subjekt zurückweist; im anderen schließt er eine Beziehung auf die „Außenwelt“, ein Hinweisen, Fortweisen, Zurückweisen in sich. Wenn er dort den Gebärden des Greifen-, Umfassen-, Zu-sich-heranziehen-Wollens entspricht, so entspricht er hier den Gebärden des Zeigens und Wegstoßens. Aus diesem ursprünglichen Unterschied erklärt sich die merkwürdige Gleichartigkeit, mit der die ersten „Worte“ der Kindersprache über die ganze Erde verbreitet sind[1]. Und dieselben Lautgruppen finden sich in wesentlich übereinstimmender oder ähnlicher Funktion, wenn man die demonstrativen Partikeln und Pronomina verschiedener Sprachen bis zu ihrem Ursprung und zu ihrer frühesten lautlichen Gestalt zurückzuverfolgen sucht. Für die Anfänge des Indogermanischen unterscheidet Brugmann eine dreifache Form des Hinweisens. Der „Ich-Deixis“ steht hier inhaltlich und sprachlich die „Du-Deixis“ gegenüber, welch letztere selbst wieder in die allgemeine Form der „Der-Deixis“ übergeht. Hierbei ist die Du-Deixis durch ihre Richtung und durch den dieser Richtung entsprechenden charakteristischen Laut, der in der urindogermanischen Demonstrativwurzel *to sich darstellt, bezeichnet, während die Rücksicht auf Nähe und Entfernung in ihr zunächst noch keine Rolle spielt. Nur das „Gegenüber“ zum Ich, nur die allgemeine Beziehung auf das Objekt als Gegenstand wird in ihr festgehalten; nur der Kreis außerhalb des eigenen Körpers wird in ihr erstmalig hervorgehoben und abgegrenzt. Die weitere Entwicklung führt dann dazu, innerhalb dieses Gesamtkreises die einzelnen Bezirke deutlicher gegeneinander abzuheben[2]. Es scheidet sich das Dies


  1. [1] Näheres bei Wundt, Völkerpsychologie ² I, 333 ff. und bei Clara und William Stern, Die Kindersprache, S. 300 ff.
  2. [2] S. Brugmann, Die Demonstrativpronomina der indogermanischen Sprachen (Abh. der [151] Kgl. Sächs. Gesellsch. der Wissensch.; Philol.-histor. Klasse XXII). Lpz. 1904; vgl. auch Brugmanns Grundriß II, 2, S. 302 ff. –
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/166&oldid=- (Version vom 7.10.2022)