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und Jenes, das Hier und Dort, das Nähere und Entferntere. Damit ist durch die denkbar einfachsten sprachlichen Mittel eine Gliederung der räumlichen Anschauungswelt erreicht, die in ihren geistigen Folgen von unabsehbarer Bedeutung ist. Der erste Rahmen, in den sich alle weiteren Unterscheidungen einfügen werden, ist geschaffen. Daß eine solche Leistung einer bloßen Gruppe von „Naturlauten“ zufallen kann, – das wird erst ganz verständlich, wenn man sich gegenwärtig hält, daß der Akt des Zeigens selbst, der in diesen Lauten festgehalten wird, neben seiner sinnlichen Seite eine rein geistige Seite besitzt – daß sich schon in ihm eine neue selbständige Energie des Bewußtseins ausprägt, die über das Gebiet der bloßen Empfindung, deren auch das Tier fähig ist, hinausreicht[1].

Man begreift es demgemäß, daß gerade die Gestaltung der Demonstrativpronomina zu jenen ursprünglichen „Elementargedanken“ der Sprachbildung gehört, die in den verschiedensten Sprachgebieten gleichartig wiederkehren. Überall findet sich der Gebrauch, daß bestimmte Unterschiede in der Lage oder Entfernung des Objekts, auf welches hingedeutet wird, durch den einfachen Wechsel des vokalischen oder konsonantischen Lautes ausgedrückt werden. Der stumpfere Vokal drückt hierbei meist den Ort der angeredeten Person, das „Dort“ aus, während der Ort des Redenden durch den schärferen Vokal bezeichnet wird[2]. Was die Bildung der Demonstrativa durch konsonantische Elemente betrifft, so ist es fast durchweg die Gruppe des d und t, oder auch die des k und g, des b und p, der die Rolle des Hinweises in die Ferne zufällt. Die indogermanischen, die semitischen und die ural-altaischen Sprachen zeigen in diesem Gebrauch eine unverkennbare Übereinstimmung[3]. In einzelnen Sprachen dient ein Demonstrativum zur Bezeichnung dessen, was im Wahrnehmungsbereich des Sprechenden, ein anderes für das, was im Wahrnehmungsbereich


    Kgl. Sächs. Gesellsch. der Wissensch.; Philol.-histor. Klasse XXII). Lpz. 1904; vgl. auch Brugmanns Grundriß II, 2, S. 302 ff. –

  1. [1] S. ob. S. 127.
  2. [2] So in der Sprache von Tahiti, s. Humboldt, Kawi-Werk II, 153; für die afrikanischen Sprachen vgl. z. B. die Nama-Sprache und die Mande-Negersprachen s. Meinhof, Lehrb. der Nama-Sprache, S. 61, Steinthal, Mande-Negersprachen, S. 82; für die amerikanischen Eingeborenensprachen vgl. das Klamath (Gatschet, Klamath language, S. 538).
  3. [3] Diese Übereinstimmung tritt besonders deutlich hervor, wenn man den Angaben Brugmanns für das Indogermanische (s. ob. S. 150 Anm. 2) die Angaben Brockelmanns und Dillmanns für den semitischen Sprachkreis gegenüberstellt (s. Brockelmann, Grundriß I, 316 ff. und Dillmann, Äthiop. Grammat. S. 94 ff.); für die ural-altaischen Sprachen vgl. bes. H. Winkler, Das Uralaltaische und seine Gruppen, S. 26 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/167&oldid=- (Version vom 7.10.2022)