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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

Steuermanns aber das Steuer – denn so allein wird der Lauf des Wagens und die Fahrt des Schiffes richtig –, so liegt in der Hand und Macht dessen, der die eine Art der Völlerei, die Trunksucht, betreibt, die Befriedigung des Unmäßigen. 202 Aber was fiel ihm ein, daß er sich unterfing, sich einer Sache zu rühmen, die mehr der Verleugnung als des Bekenntnisses wert ist? Oder wäre es nicht besser gewesen, nicht zu bekennen, Lehrer der Unmäßigkeit zu sein, sondern dem Unmäßigen die Erreger des Lasters aufzubürden, als wäre er der Erfinder und Schöpfer des so schändlichen Lebens eines Weichlings und Schwächlings? 203 So ist es aber: der Unverstand prahlt mit dem, was sich ziemte, verborgen zu werden. Jetzt ist er nicht nur stolz darauf, daß er den Behälter der unmäßigen Seele, den Becher, in seinen Händen herumträgt und ihn allen Leuten zeigt, sondern auch darauf, daß er die Traube in ihn zerdrückt; das aber heißt: das zur Befriedigung des Lasters Dienende schaffen und das Verborgene ans Licht bringen. 204 Wie nämlich die Säuglinge, die Nahrung haben wollen, wenn sie Milch saugen möchten, die Brust der Amme drücken und pressen, so preßt der Erzeuger der Unmäßigkeit kräftig die Quelle, aus der das Übel der Trunkenheit fließt [686 M.], um die herausgedrückten Tropfen als süßeste Nahrung zu benutzen. [31] 205 Hiermit mag uns der Mann beschrieben sein, der sich an ungemischtem Wein berauscht hat, das trunkene und schwatzhafte[1], unheilbare Laster; sein Verwandter aber, auch er ein Schlemmer, ein Freund des vielen Essens und der Gefräßigkeit, der die Zubereitung der Speisen im Übermaß betreibt, soll nun betrachtet werden. 206 Man braucht jedoch nicht viel Nachdenken, um seiner habhaft zu werden; denn das getreueste Abbild seines Porträts ist das ihm erschienene Traumbild. Wenn wir also dieses genau untersucht haben, werden wir jenes wie ein Bild in einem Spiegel sehen. 207 „Ich glaubte“, heißt es nämlich, „drei Kornkörbe auf meinem Haupte zu tragen“ (1 Mos. 40, 16). Das Haupt jedoch, sagen wir allegorisierend, ist der führende Teil der Seele, der Geist, auf ihm aber liege alles. Er verkündete nämlich auch einmal von ihm: „Über mich kam dies alles“ (1 Mos. 42, 36). 208 Er stellt sich nun dar, wie er sich fertig macht zu einer Lieferung, die er zubereitete gegen


  1. Das alberne Schwatzen im Rausch wird von strafbarer Zuchtlosigkeit verursacht (vgl. Ü. d. Trunkenheit § 4 und 6); λήρησις und ληρεῖν zählten die Stoiker zu den ἁμαρτήματα s. ebenda S. 9, Anm. 6, 7 zu § 6.
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/98&oldid=- (Version vom 7.1.2019)