Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/70

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

und Traumdeuter selbst aber – denn er war beides – ergreift den leeren Wahn als größten, glänzendsten und für das Leben tauglichsten Besitz. Deshalb wird er zuerst durch seine Träume, die Lieblinge der Nacht, dem König des Körperlandes[1] bekannt, nicht durch die Klarheit weithin leuchtender Taten, die zu ihrem Erweis des Tageslichtes bedürfen. 43 Dann wird er zum Aufseher oder Pfleger von ganz Ägypterland ausgerufen und soll an Ehren den zweiten Rang neben dem König einnehmen, eine Stellung, die von der richtenden Einsicht für ruhmloser und lächerlicher gehalten wird als Unterwerfung und Entehrung. 44 Dann legt er sich ein „goldenes Halsband“ (1 Mos. 41, 41. 42) um, einen offensichtlichen Henkerstrick, d. h. den Kreis und das Rad der endlosen Notwendigkeit[2] – nicht die Folgerichtigkeit und das Nacheinander im Leben sowie die Reihe der Vorgänge in der Natur, wie es die Thamar tut; denn ihr Schmuck war nicht [665 M.] ein Halsband, sondern eine Schnur[3] – (1 Mos. 38, 18) –, und einen königlichen Ring (1 Mos. 41, 42), ein Geschenk, das man nicht schenken sollte, und ein Unterpfand, dem nicht zu trauen ist, wiederum ganz entgegengesetzt dem, das der Thamar gegeben wurde von Juda, dem König des Schauenden, d. h. Israels. 45 Er nämlich gibt der Seele einen Siegelring (1 Mos. 38, 18), ein wunderschönes Geschenk, wodurch er sie belehrt, daß Gott die formlose Substanz des Weltalls geformt, die unausgeprägte geprägt, die gestaltlose gestaltet, die ganze Welt vollendet und versiegelt hat durch ein Bild und eine Idee, nämlich durch seinen eigenen Logos.[4] 46 Doch jener steigt auch noch auf den Wagen, der der zweite an Rang ist (1 Mos. 41, 43), von Hochmut betäubt und von hohler Aufgeblasenheit, und er verwaltet das Getreide (ebd. 48), d. h. er


  1. Gemeint ist Pharao, dessen Land Ägypten bei Philo das Symbol des Körpers ist; vgl. z. B. Alleg. Erklär. II § 59.
  2. Das Bild vom Rad oder vom Kreis des Schicksals und der Weltentwicklung stammt aus der Orphik; vgl. die von Leisegang gesammelten Stellen: Denkformen, 1928, 83 und R. Eisler, Orphisch-dionysische Mysteriengedanken in der christlichen Antike, 1925, 85ff. „Endlos“ ist die Notwendigkeit, weil sie als Kreis vorgestellt wird, der keinen Anfang und kein Ende hat.
  3. Vgl. Über die Namensänderung § 134f. Über die Flucht § 149f.
  4. Über den Logos als Gottes Siegel, das er bei der Schöpfung der Welt und der des Menschen verwendet, vgl. Über die Weltschöpfung § 25. Über die Wanderung Abrahams § 103. Über die Pflanzung Noahs § 18ff. Über die Flucht § 12ff.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/70&oldid=- (Version vom 7.10.2018)