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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

ist, dem er begegnet; denn es heißt: „Er begegnete einem Ort“ (1 Mos. 28, 11). 62 Der Begriff „Ort“ ist dreifach zu verstehen: einmal als vom Körper erfüllter Raum, auf die zweite Art als der göttliche Logos, den Gott selbst ganz und gar mit unkörperlichen Kräften ausgefüllt hat. Denn „sie sahen“, heißt es, „den Ort, wo der Gott Israels stand“ (2 Mos. 24, 10), an dem allein er auch den Gottesdienst zu verrichten erlaubt hat, nachdem er es an allen anderen Stellen verboten hatte; er hatte nämlich bestimmt, man solle zu dem Orte hinaufsteigen, den Gott der Herr ausgewählt hätte, und dort die Ganzopfer darbringen und die Dankopfer, dorthin die übrigen makellosen Opfertiere hinaufführen (5 Mos. 12, 5ff.). 63 Der dritten Bedeutung entsprechend aber wird Gott selbst „Ort“ genannt, weil er das All umfaßt, aber von gar nichts umfaßt wird,[1] und weil er selbst die Zuflucht aller ist, und weil er selber der Raum seiner selbst ist, der sich selbst aufgenommen hat und sich allein in sich selbst bewegt. 64 Ich nun bin nicht ein Ort, sondern an einem Orte, und ebenso jedes Ding. Das, was umfaßt wird, unterscheidet sich nämlich von dem, was umfaßt, Gott aber, der von nichts umfaßt wird, ist notwendig selbst sein eigener Ort. Zum Beweis dient mir folgender mit Bezug auf Abraham geoffenbarter Spruch: „Er kam an den Ort, den ihm Gott genannt hatte; und als er seine Augen auftat, sah er den Ort von ferne“ (1 Mos. 22, 3. 4). 65 Was soll das heißen: wer an den Ort kam, sah ihn von ferne[2]? Doch vielleicht ist hier mit


  1. Was Philo hier von Gott sagt, daß er umfasse, ohne umfaßt zu werden, sagt Aristoteles mit denselben Ausdrücken vom Himmel, Phys. IV, 5 S. 212 b; dabei hält sich Philo durchaus an die Definition des Raumbegriffs durch Aristoteles. Vgl. über diese H. Diels, Zur Textgeschichte der Aristotelischen Physik in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1882 und Leisegang, Die Raumtheorie im späteren Platonismus, insbesondere bei Philon und den Neuplatonikern, Diss. Straßburg 1911, 44.
    [Während Philon nur den biblischen Ausdruck „Ort“ auf Gott anwendet, findet sich מקום‎ (= Ort oder Raum) als Bezeichnung Gottes, also auch außerhalb der Exegese, in rabbinischen Aussprüchen seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert (Marmorstein, The old rabbinic doctrine of God 1925, 92; 109ff.). Auch nach Spanier, MGWJ. 1922, 314 ist der Ausdruck „das Rudiment einer durch das Vorwalten höchster religionsphilosophischer Abstraktion gekennzeichneten (frühmischnischen) Epoche“, wie Memra in den Targumen. Beachtenswert ist, daß auch Gen. R. 68, 9 (zu unserer Stelle!) sich die Wendung findet: Gott ist der Ort der Welt, aber nicht die Welt sein Ort“ (Freudenthal, Hell. Stud. 73). I. H.]
  2. Der scheinbare Widersinn ergibt sich nur daraus, daß Philo ἦλθεν = וילך‎ im Sinne von „er kam“ statt „er ging“ versteht.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/24&oldid=- (Version vom 7.10.2018)