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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

das Gesetz und der älteste Logos[1] des Seins – sagt er, werde er fest gründen gleichsam wie eine gottähnliche Statue auf dem Grund der Seele des Gerechten, wenn er zu Noah spricht: „Ich werde meine Wesensart vor dich hinstellen“ (1 Mos. 6, 18).[2] 224 Damit gibt er aber auch noch zweierlei zu verstehen: erstens daß die Gerechtigkeit sich von der Wesensart Gottes nicht unterscheidet, zweitens daß die andern etwas schenken, was sich von denen unterscheidet, die es empfangen, daß Gott aber nicht nur solches schenkt, sondern sie selber sich selbst; mich nämlich hat er mir selbst geschenkt und jedes Wesen sich selber; denn das Wort: „Ich werde meine Wesensart vor dich hinstellen“, heißt soviel wie: „Ich werde sie dir schenken“. 225 Es streben aber auch alle Gottgeliebten danach, dem Sturm der Vielgeschäftigkeit zu entrinnen, in dem Wogenschwall und Brandung immer durcheinandertosen, und in die stillen und schiffebergenden Häfen der Tugend einzulaufen. 226 Bemerkst du nicht, was über den weisen Abraham gesagt wird, daß er „dem Herrn gegenüber stand“ (1 Mos. 18, 22)?[3] Denn wann ist es wahrscheinlich, daß eine Denkseele nicht mehr wie auf einer Waage schwankt und festzustehen vermag, als wann sie sich Gott gegenüber befindet, ihn sehend und von ihm gesehen? 227 Denn von zwei Seiten aus erlangt sie die Stabilität: vom Anblick des Unvergleichlichen und (der Erkenntnis), daß er von den ihm unähnlichen Dingen nicht abgelenkt wird, und von dem Angeblicktwerden (und der Erkenntnis), daß er sie (die Denkseele) die der Lenker für würdig hielt, zu seinem Anblick zu kommen, dem allein Besten, nämlich sich selbst, zuerteilt hat. Und dem Moses fürwahr wurde folgende Weissagung verkündet: „Du aber stelle dich neben mich“ (5 Mos. 5, 31),[4] woraus sich beides bereits Erwähnte ergibt: die Unbeugsamkeit des Edlen und die Festigkeit des Seienden in jeder Beziehung. [34] 228 Tatsächlich nämlich wird auch das sich Gott Nahende an Unveränderlichkeit dem Feststehenden selbst verwandt,[5] und wenn der Geist zur Ruhe kam, erkannte er deutlich, was für ein großes Gut die Ruhe ist, und staunend


  1. Über den Ausdruck „ältester Logos“ s. oben I § 230. Über die Nachstellungen § 82. All. Erkl. III 175, dazu H. Leisegangs Artikel Logos in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie des klass. Altertums XIII 1073.
  2. In den Ausgaben ist 9, 11 angegeben; dort steht aber πρὸς ὑμᾶς, nicht πρὸς σέ.
  3. Vgl. Über die Cherubim § 18.
  4. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 27 und die dort verzeichneten Parallelen.
  5. Nach Wendlands Konjektur: αὐτῷ τῷ ἑστῶτι, statt: αὐτοστατοῦν
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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/102&oldid=- (Version vom 7.1.2019)