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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

Irrtum und edle Bildung beizubringen; 126 „nimm mir auch eine Ziege“ – die auf die wahrnehmbare Welt losstürmende[1] Sinneskraft; alle „dreijährig“, einer vollkommenen Zahl gemäß geschaffen, die Anfang, Mitte und Ende hat; und außer diesen „eine Turteltaube und eine (gewöhnliche) Taube“, die göttliche und die menschliche Weisheit, beide beflügelt und emporzuhüpfen bestrebt, aber voneinander derart verschieden wie das Allgemeine von dem Besonderen oder das Abbild vom Urbild.[2] 127 Einsamkeit liebend ist nämlich die göttliche Weisheit; wegen des einzigen Gottes, [p. 491 M.] dessen Eigentum sie ist, liebt sie das Alleinsein – sie wird sinnbildlich Turteltaube genannt. Hingegen die andere ist zahm und sanft und gesellig, sie umkreist[3] die Wohnstätten der Menschen und liebt den Aufenthalt bei den Sterblichen; diese stellt (die Schrift) unter dem Bilde einer gemeinen Taube dar. [26] 128 Hindeutend auf diese Eigenschaften, scheint mir Moses die Hebeammen der Hebräer Sepphora[4] und Phua zu nennen (2 Mos. 1, 15). Der erste Name bedeutet nämlich „Vögelchen“, Phua aber „rot“. Es ist ja die Eigentümlichkeit der göttlichen Weisheit, nach Vogelart stets hochzufliegen, während es die der menschlichen ist, Schamhaftigkeit und Bescheidenheit einzuflößen, und deren deutliches Kennzeichen ist das Erröten, wo es angebracht ist.[5] 129 Weiter heißt es (1 Mos. 15, 10): „Er nahm (holte) ihm alles dieses.“ Dies ist das Lob für den Tugendeifrigen, daß er das ihm anvertraute und von ihm übernommene heilige Gut der Seele, der Sinneskraft, der Sprache, der göttlichen Weisheit, der menschlichen Erkenntnis rein und untrüglich nicht für sich selbst, sondern für den, der es ihm anvertraute,

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/39&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
  1. Philo bringt αἴξ Ziege mit ᾄττω losstürmen zusammen; ebenso Quaest. in Gen. II S. 171A.
  2. Vgl. § 230ff.
  3. Philo deutet wohl περιστερά Taube = περὶ στερρά um das Feste; aus gleichem Grunde ist sie ihm Quaest. in Gen. II S. 175A. Symbol der die Himmelskörper „umschweifenden“ Seele, während die Turteltaube das Unkörperliche sucht. I. H.
  4. Da Philo den hebr. Urtext der Bibel nicht kennt, so setzt er den Namen Σεπφώρα, der hier für שִׁפְרָה‎ (das die Sept. שִׁפֹּרָה‎ las) steht, mit צפרה‎, dessen richtige Etymologie er kennt (Über die Cherubim § 41), gleich. Die Deutung des zweiten Namens Phua als „rot“ beruht auf der Identifikation von פועה‎ mit פואה‎ (M. Sabb. IX 5), der zur Familie der Krappflanzen gehörigen Färberröte, deren Wurzel gelbroten Farbstoff enthält. Vgl. Sachs, Beiträge I S. 149.
  5. Ich verbinde δεῖγμα ἐναργέστατον mit dem vorhergehenden Satze, nicht mit dem folgenden. Der Punkt nach ἄξιον ist zu streichen.