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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn

das Verlangen über dich kommt, der göttlichen Güter Erbe zu werden, so verlasse nicht nur „Land“, den Körper, „Verwandtschaft“, die Sinnlichkeit und „Vaterhaus“ (1 Mos. 12, 1), die (durch die Sprache sich äußernde) Vernunft,[1] sondern entfliehe auch dir selbst, gehe aus dir hinaus, gleich den Besessenen und nach Korybantenart[2] Rasenden verzückt und gotterfüllt mit prophetischer Begeisterung. 70 Denn dies ist das Erbe der Seele, die gottbegeistert nicht mehr in sich ist, sondern von himmlischer Liebe getrieben und entflammt, von dem wahrhaft Seienden geführt und zu ihm emporgetragen wird, während die Wahrheit ihr voranschreitet und was im Wege ist, hinwegräumt, damit sie auf gebahnter Straße wandele. 71 Wie du dich nun von den oben genannten Dingen entfernt hast, das sage uns freimütig, ο Seele, die du das dem Geiste Erfaßbare in alle, die es zu hören verstehen, hineintönen läßt, indem du immer sprichst:[3] „Ich wanderte aus dem Körper hinaus, als ich bereits das Fleisch verachtete, und aus der Sinnlichkeit, als ich alles sinnlich Wahrnehmbare als nicht wirklich existierend verwarf, weil ich einsah, daß ihre [p. 483 M.] Prüfungsmittel[4] unecht, verfälscht, voll trügerischen Wahns sind, und das Geprüfte[5] verwarf, da es dazu angetan ist zu täuschen und zu betören und die Wahrheit aus der Natur zu rauben.

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Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/26&oldid=- (Version vom 2.4.2020)
  1. So übersetze ich hier und § 71 (ebenso Über Abr. § 29) das vieldeutige λόγος, wofür Philo De migr. Abr. § 2 und 12 genauer λόγος ὁ κατὰ προφοράν sagt, das dem stoischen λόγος προφορικός entspricht. Gemeint ist das zu den sieben vernunftlosen Seelenteilen (s. § 232) gezählte Sprachvermögen. Denn was von diesen § 71/72, 85 u. 109 ausgesagt ist, geht über die bloße Redefähigkeit hinaus; es ist schon mehr Redefertigkeit, Beredsamkeit, kunstvolle oder sophistische Dialektik, also der λόγος, in den der νοῦς „aus sich heraus Kräfte und Tätigkeiten streut“ oder sie erzeugt: De migr. Abr. § 3. Trotzdem will Philo diesen λόγος scharf geschieden wissen von der eigentlichen Vernunft, dem reinen sprachlosen Denken, dem λόγος ἐνδιάθετος. A. a. Ο., wo er den Bibelvers in gleicher Weise allegorisch erklärt, sieht er in dem Haus des Vaters den λόγος κατὰ προφοράν und in dem Vater den νοῦς, der in dem λόγος wohnt und wirkt, wie Gott in seinem λόγος, der in der Welt wirkenden göttlichen Weisheit.
  2. S. Über die Weltschöpfung S. 51 Anm. 4.
  3. Mit der geistigen Redekraft, dem λόγος κατὰ διάνοιαν s. oben § 4.
  4. S. die Anm. 4 zu § 246 über die Kriterien der Sinnlichkeit.
  5. Die auf ihre Richtigkeit geprüften Vorstellungen s. § 132 u. die Anm. daselbst.