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diese ganze Welt ausströmen lassen. Mit Ehrfurcht vernehme ich aber, daß diese Quelle die Quelle des Lebens ist; denn allein Gott ist der Urheber der Seele und des Lebens und vornehmlich der vernünftigen Seele und des von der Einsicht geleiteten Lebens. Denn die Materie ist tot, Gott aber mehr noch als Leben; wie er selbst gesagt hat: eine ewig strömende Quelle des Lebens. 199 Die Gottlosen enteilen jedoch, ohne je von dem Trank der Unsterblichkeit zu kosten, und graben – die Verblendeten – erstens einmal für sich selbst anstatt für Gott: sie ziehen die eigenen Taten [576 M.] den himmlischen und überirdischen und das auf Grund menschlicher Pläne Entstandene dem von selbst Gewordenen und Fertigen vor; 200 dann aber graben sie nicht wie Abraham und Isaak, die Weisen, Brunnen (1 Mos. 21, 30; 26, 18), nämlich tiefgründige Wissenschaften, die trinkbare Gedanken emporströmen lassen, sondern Zisternen, die aus sich selbst nichts enthalten, was eine gute Nahrung wäre, sondern des Zuflusses von außen bedürfen, welcher der Belehrung entspringen kann, wenn die Lehrer beständig den Ohren der Schüler alle Lehren und Betrachtungen der Wissenschaft zuführen, damit sie sie mit dem Verstande aufnehmen und im Gedächtnis das Anvertraute wohl verwahren.[1] 201 Nun sind aber „die Zisternen leck“, das bedeutet: alle Behältnisse der ungebildeten Seele sind beschädigt und durchlässig, so daß sie den Zustrom der Dinge, die nützen könnten, nicht zu halten und zu bewahren vermögen.

[37] 202 Was bei dieser Gelegenheit über die Quellen gesagt werden mußte, ist gesagt. Die Gottesworte machen nun die sehr genaue Angabe, daß Hagar bei der Quelle gefunden wurde, ohne aus ihr zu schöpfen (1 Mos. 16, 7). Denn eine noch in der Entwicklung begriffene Seele ist noch nicht fähig, den ungemischten Trank der Weisheit zu genießen, dagegen ist ihr nicht verwehrt, in der Nähe ihren Aufenthalt zu nehmen.[2] 203 Ferner ist auch jeder Weg zur Bildung eine ganz sichere und sehr gut geschützte Heerstraße. Deshalb heißt es, daß sie am Wege nach Sur gefunden wurde (ebd.). Sur bedeutet


  1. Die Übersetzung folgt Cohns Vorschlag, ὡς φρενί zu lesen. Μ. A.
  2. Vgl. Über die Geburt Abels § 44 (mit Anm.); Über das Zusammenleben § 20: Hagar, die noch mit den vorbereitenden Wissenschaften beschäftigte Seele, sei nur Anwohnerin, nicht Einwohnerin der Weisheit. [Man beachte wieder das Argumentum ex silentio; weil das Schöpfen nicht erwähnt ist, geschieht es nicht. I. H.]
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/051&oldid=- (Version vom 21.5.2018)