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zurückgreifen und mit den Personen beginnen, die dem Haß zuliebe davonlaufen. Es heißt nämlich in der Schrift: „Jakob verheimlichte es dem Syrer Laban und zeigte ihm nicht an, daß er entfliehen wolle, und er entfloh mit seiner ganzen Habe“ (1 Mos. 31, 20. 21). 8 Wo liegt nun hier die Ursache des Hasses?[1] Denn darüber verlangst du doch wohl belehrt zu werden. Es gibt Leute, welche den qualität-, form- und gestaltlosen Stoff zur Gottheit machen und die bewegende Ursache nicht kennen, sich auch keine Mühe geben von denen, die sie kennen, zu lernen, sondern sie bleiben in Unkenntnis und Unwissenheit über den schönsten Gegenstand, nach dessen Erkenntnis sie vor allem und ausschließlich streben sollten. 9 Laban gehört zu dieser Gattung; denn die Gottesworte weisen ihm die ungezeichnete Herde zu (1 Mos. 30, 42); „ungezeichnet“ aber ist beim All die qualitätlose Materie, bei den Menschen die unwissende ungebildete Seele.[2] 10 Einen höheren Rang nehmen andere ein, die gemeint haben, ein Geist habe durch seine Dazwischenkunft das All geordnet und habe so die infolge von Pöbelherrschaft in der Welt herrschende Unordnung in den geordneten Zustand einer gesetzmäßigen Herrschaft, der Königsherrschaft, umgewandelt.[3] Im Reigen dieser Schar befindet sich Jakob, der die gezeichnete, bunte Herde anführt; ‘gezeichnet’, ‘bunt’ bedeutet nämlich wieder beim All die Gestalt, bei den Menschen die wohlgebildete, lernfreudige Seele. 11 Der ‘Gezeichnete’, der Freund der wahren Monarchie, in dem ein natürlicher Gemeinsinn rege ist,[4] begibt sich nun zu dem


  1. Wenn Philo in diesem Abschnitt (§ 7–22) die Flucht des Jakob vor Laban auf Haß zurückführt, so geschieht das seinem Schema zuliebe; in Wahrheit war auch bei diesem Beispiel Furcht das gegebene Motiv, was nur mit Mühe verschleiert wird (vgl. besonders § 14) und von dem All. Erkl . III § 15–22, der anderen Stelle, wo diese Verse ausführlicher behandelt werden, allein die Rede ist; diese letztere Stelle berührt sich daher auch eng mit den Ausführungen unserer Schrift über die Flucht aus Furcht § 23–52 (vgl. besonders All. Erkl. III § 18 mit De fuga § 25).
  2. Zu dieser Deutung vgl. Der Erbe d. Göttl. § 180.
  3. Philo bestreitet hier die Atomiker mit Hilfe der Lehre des Anaxagoras von der Herstellung der Weltordnung durch den Nus. [Philos Worte klingen an den bei Laertios Diogenes II 6 überlieferten Anfang der anaxagorischen Schrift unverkennbar an: πάντα χρήματα ἦν ὁμοῦ· εἶτα νοῦς ἐλθὼν αὐτὰ διεκόσμησεν. Μ. Α.]. – Für die Einkleidung (Entgegensetzung von zwei Parteien) mögen Platostellen wie Soph. 246a Theaet. 155e als Muster gedient haben.
  4. Gemäß dem stoischen Ideal des Weisen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/007&oldid=- (Version vom 21.5.2018)