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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

mit Namen Onan hinweg. 19 Die also sind alle zu meiden, die nur für sich selbst zeugen, d. h. alle, die nur dem eigenen Nutzen nachjagen und die andern verachten, als ob sie nur für sich selbst da wären und nicht für so viele andere, für Vater, Mutter, Weib, Kinder, Vaterland und das Menschengeschlecht, und – wenn man weiter ausholend reden soll – für Himmel, Erde, die ganze Welt, Erkenntnisse, Tugenden, den Vater und Lenker des Alls.[1] Einem jeden von diesen soll man das ihm Gebührende nach Möglichkeit zukommen lassen und soll nicht alles als ein Anhängsel an sich selbst, sondern sich selber als ein Anhängsel an alles andere betrachten.

[5] 20 Doch damit genug, wir wollen das Folgende mit unserer Untersuchung verbinden. „Es sah“, heißt es nun, „Gott der Herr, daß sich mehrten die Laster der Menschen auf der Erde und ein jeder in seinem Herzen geflissentlich Böses sann alle Tage, da gedachte Gott daran, daß er den Menschen erschuf auf der Erde, und faßte einen Entschluß.[2] Und es sprach Gott: Ich will den Menschen, den ich erschuf, vertilgen vom Angesichte der Erde“ (1 Mos. 6, 5–7). 21 Vielleicht werden manche oberflächliche Menschen glauben, der Gesetzgeber meine, daß der Schöpfer über die Schöpfung des Menschen Reue empfand beim Anblick ihrer Gottlosigkeit, und deswegen das ganze Geschlecht zu vernichten wünschte. Doch sie mögen wissen, daß sie mit einer solchen Ansicht die Sünden jener Altvorderen geringer und leichter erscheinen lassen im Vergleich mit ihrer beispiellosen Gottlosigkeit. 22 Denn was könnte es für einen größeren Frevel


  1. Vgl. Über die Nachkommen Kains § 180f. Die Gegenüberstellung der Pflichten gegen die Menschen auf der einen und gegen die ganze Welt und Gott auf der andern Seite spiegelt die Lehre der jüngeren Stoa wieder, die zwischen einem kleinen Staate, dem der Menschen, und einem großen, dem Kosmos, unterschied, denen beiden der Weise zu dienen hat; vgl. Seneca De otio 4,1. Ep. 68, 2. Epiktet Diss. II 5, 26. III 22, 83f. und hierzu Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epiktet, Stuttgart 1894, 93.
  2. Daß Philo in seinem Septuagintatext (ἐνεθυμήθη ὁ θεὸς, ὅτι ἐποίησε τὸν ἄνθρωπον ἐπὶ τῆς γῆς, καὶ διενοήθη) das ἐνθυμεῖσθαι als Nachdenken (ἔννοια), das διανοεῖσθαι als Entschluß (διανόησις) auffaßt, geht aus §§ 33 und 34 hervor, und es muß dementsprechend hier schon in diesem Sinne übersetzt werden. Tatsächlich war im hebräischen Urtext hier von Reue und Zorn Jahwes die Rede: וַיִּנָּחֶם יְהוָה כִּֽי־עָשָׂה אֶת־הָאָדָם בָּאָרֶץ וַיִּתְעַצֵּב אֶל־לִבֹּו׃‎ Schon die LXX haben in ihrer Übersetzung diese Stelle abgeschwächt, und Philo nimmt ihr hier im Sinne der antiken Lehre von der Affektlosigkeit Gottes den letzten Rest des Anstößigen; vgl. zur Sache Max Pohlenz, Vom Zorne Gottes, 8 u. ö.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/5&oldid=- (Version vom 3.2.2022)