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Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang

sie, die, auch wenn sie viel gezahlt hätten, ihrer angeborenen Unzuverlässigkeit, von der sie unaufhörlich aufgehetzt werden, hätten Gewalt antun müssen? 102 Alle aber, die einen unechten Dienst des Alleinweisen betrieben, dadurch daß sie wie in einem hochfeierlichen Schauspiel eine Rolle im Leben nur solange übernahmen, als sie sich den versammelten Zuschauern zeigten, die Seele voll von Heuchelei statt von Frömmigkeit, spannen sie sich nicht selbst auf die Folter und quälen sich [288 M.] unter dem Zwang, das fälschlich darzustellen, was sie in Wahrheit nicht gefühlt haben? 103 So werden sie denn auch eine kurze Zeit verhüllt durch die symbolischen Gewänder der Götterfurcht, die zwar eine Gottesfurcht in verstümmelter Form,[1] ein großer Schade aber für ihre Anhänger und Genossen ist; dann aber, wenn sie die Verkleidungen abgelegt haben, offenbaren sie ihre nackte Heuchelei, und dann werden sie wie Leute, die sich das Bürgerrecht anmaßten, als unebenbürtig gekennzeichnet, da sie sich selbst in die Bürgerliste des größten Staates, der Tugend, eingetragen haben, ohne dazu irgendwie berechtigt zu sein. Denn das „Verkappte“[2] währt nur kurze Zeit, wie schon das Wort zeigt, das von „knapp“ abzuleiten ist; knapp nannten aber die Alten eine kurzbemessene Frist. [23] 104 Was das aber heißt: „Noah fand Gnade vor dem Herren Gott“, ist zu untersuchen. Soll gesagt werden, daß er (nur) Gnade erlangte, oder, daß er der Gnade (auch) für wert gehalten wurde? Doch das erstere anzunehmen, ist nicht wahrscheinlich. Denn was für ein Vorzug würde ihm gewährt sein, da ja alle Wesen, nicht nur die zusammengesetzten, sondern auch die elementaren, einfachen, göttlicher Gnade gewürdigt wurden? 105 Das letztere aber hat wohl einen gewissen, nicht ungereimten Sinn, da der Urgrund die seiner Gaben für wert hält, welche die göttliche Münze in sich,[3] den heiligsten Geist, mit schimpflichen Handlungen nicht verderben. Aber auch (diese Erklärung) ist wohl nicht richtig. 106 Denn wie vorzüglich müßte wohl einer sein, der von Gott einer Gnade wert befunden werden sollte? Ich jedenfalls glaube,


  1. Ich folge Wendlands und Cohns Konjektur κόλουσις statt κώλυσις.
  2. Philos Ableitung des Wortes βίαιος gewaltsam von βαιός knapp ist nicht besser als obiges Wortspiel.
  3. Ein bei Philo sehr häufiges, ursprünglich kynisches Bild zur Bezeichnung der von Gott geprägten Menschenseele. In der hellenistischen Mystik (auch des Christentums) treten an dessen Stelle σφραγίς, σφραγίζεσθαι und Ähnliches, oft ganz in demselben Sinne.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Unveränderlichkeit Gottes (Quod Deus sit immutabilis) übersetzt von Hans Leisegang. H. & M. Marcus, Breslau 1923, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloDeusGermanLeisegang.djvu/24&oldid=- (Version vom 10.2.2022)