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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

Auflösung aller erzeugte eine andere, vorzügliche Kraft. 188 Als Gott aber den unfrommen Gedanken eine Synchysis androht, läßt er nicht nur jegliche Untugend als Einzelart und -kraft schwinden, sondern auch, was aus jenen zusammengetragen wurde, damit weder die einzelnen Teile für sich, noch die ganze übereinstimmende Rotte eine Macht um sich sammle zur Vernichtung des besseren Teiles. 189 Deshalb heißt es: „wir wollen daselbst ihre Sprache verwirren, damit sie nicht verstehen einer die Sprache des anderen“ (1 Mos. 11, 7), was soviel heißt als: wir wollen sämtliche Teile der Schlechtigkeit stumm machen, damit sie weder durch das Hervorbringen der eigenen (Stimme), noch durch das Zusammentönen mit anderen Schaden verursache. [38] 190 Dies ist unsere Auffassung. Die aber nun das Äußere und Obenaufliegende verfolgen, glauben, daß hiermit die Entstehung [434 M.] der griechischen und barbarischen Sprachen beschrieben sei. Ohne ihnen Vorwürfe zu machen, – vielleicht ist auch ihre Meinung richtig – möchte ich sie auffordern, nicht dabei stehen zu bleiben, sondern zu der figürlichen Auslegung überzugehen in der Überzeugung, daß der Wortlaut der Gottessprüche dem Schatten der Körper gleicht, die (durch den Wortlaut) veranschaulichten Bedeutungen aber den tatsächlich vorhandenen Gegenständen. 191 Die Veranlassung zu dieser Art (der Auslegung) gibt wohl den am Geiste nicht Geblendeten der Gesetzgeber selbst, wie offenbar auch bei der hier besprochenen Erzählung. Denn das Ereignis nannte er Synchysis, obwohl er es doch, hätte er nur die Entstehung der Sprachen darstellen wollen, mit einem treffenderen Ausdruck als Sonderung statt als Synchysis (Zusammengießung) bezeichnet hätte. Denn was geschieden wird, wird nicht zusammengegossen; im Gegenteil, es wird gesondert; der Gegensatz liegt nicht nur in den Bezeichnungen, sondern auch in der Sache. 192 Denn Synchysis ist, wie gesagt, die Auflösung der einfachen Kräfte zum Zwecke der Entstehung einer zusammengesetzten, Sonderung aber ist die Scheidung des Einen in ein Vieles, wie es sich mit der Gattung und ihren Arten verhält. Hätte somit der Allweise die Scheidung der einen Sprache in mehrere Mundarten geboten, würde er einen näherkommenden, richtigeren Namen gebraucht haben, von einer Scheidung, Teilung, Sonderung oder derartigem sprechend, nicht von der Synchysis, die jenen entgegengesetzt ist. 193 Vielmehr ist sein Streben darauf gerichtet, die Schar der Untugend(en) aufzulösen, ihre Übereinstimmung aufzuheben, ihre Gemeinschaft zu beseitigen,

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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/051&oldid=- (Version vom 1.8.2018)