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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

kreisen.[1] Diejenigen aber, die solches wagen, geben der sinnlichen Wahrnehmung den Vorzug vor dem Denken und finden es recht, alles Geistige durch das Sinnliche zu überwinden und so das Herrschende in den Stand des Sklaven, in den des Führers aber das von Natur Untergeordnete gewaltsam zu versetzen.

[27] [425 M.] 134 Die Worte aber „Gott stieg herab, um zu sehen die Stadt und den Turm“ (1 Mos. 11, 5) muß man ganz figürlich auffassen; denn die Annahme, daß die Gottheit hinzu-, hinweg-, herabkomme oder umgekehrt, daß sie emporsteige, wie überhaupt, daß die Gottheit dieselben Haltungen annehme wie die einzelnen Geschöpfe und dieselben Bewegungen ausführe, ist, um sich richtig auszudrücken, eine ungeheure Gottlosigkeit.[2] 135 Der Gesetzgeber schildert aber Gott nach menschlicher Art, wiewohl er keine menschliche Gestalt hat, mit Rücksicht auf den Nutzen, (der sich) für unsere Erziehung (daraus ergibt), wie oft an anderen Stellen gesagt wurde.[3] Denn wer weiß es nicht, daß der Herabsteigende den einen Ort verlassen und den anderen einnehmen muß? 136 Gott aber erfüllt die ganze Welt, umfassend, nicht umfaßt, und ihm allein kommt es zu, zugleich überall und nirgends zu sein: nirgends, weil er selbst den Ort und den Raum gleichzeitig mit den Körpern erschaffen hat, und es sich nicht ziemt, zu sagen, daß der Schöpfer im Geschaffenen umschlossen sei, und überall, sofern als er seine Kräfte durch Erde, Wasser, Luft und Himmel ausdehnend, keinen Teil der Welt frei ließ, sondern, nachdem er alles zusammengebracht, [4] es mit unsichtbaren Banden zusammenschnürte, damit es, durch


  1. Umkehrung des bekannten Gedankens, daß der Geist bei den Gegenständen seiner Betrachtung weilt; in beiden Fällen wird das Vorhandensein der Gegenstände im Bewußtsein in materiellem Bilde aufgefaßt. Zur Deutung des Himmels vgl. All. Erkl. I 1ff. Man beachte die Freiheit, mit der Philo denselben Begriff in demselben Zusammenhang allegorisch verschieden deutet. Über die Nachkommen Kains § 53 ist der Himmel die menschliche Rede, oben § 114 die Gottheit, und endlich hier der menschliche Geist.
  2. Der griechische Ausdruck lautet: ὑπερωκεάνιος καὶ μετακόσμιος, an Größe den Ozean und die Welt übertreffend.
  3. Die Anthropomorphismen der Bibel haben nach Philo eine pädagogische Bedeutung.
  4. Gott durchwaltet mittelbar (durch seine Logoi) auch nach stoischer Vorstellung die ganze Welt.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/037&oldid=- (Version vom 1.8.2018)