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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

anscheinend nicht nur ahnen, sondern sogar (klar) voraussehen. Denn es heißt: „Bevor wir zerstreut werden“ (ebd.),[1] wollen wir sorgen für einen berühmten Namen. 119 Also wißt ihr, möchte ich ihnen zurufen, daß ihr zerstreut werdet? Warum sündigt ihr denn?[2] Vielleicht schildert (der Gesetzgeber) die Gesinnungsart der Unverständigen, die auch angesichts der ihnen oft nicht nur versteckt, sondern ganz offen drohenden Strafen, ohne Bedenken freveln. Wohlbekannt sind aber die göttlichen Strafen, die (die Frevler) gewöhnlich treffen, wenn sie auch scheinbar unsichtbar bleiben. 120 Denn alle ganz Bösen sind sich bewußt, daß ihre Missetaten der Gottheit nicht verborgen bleiben und daß sie nicht für die Dauer imstande sein werden, die Abbüßung der Strafe von sich fernzuhalten. Woher sollten sie denn es anders wissen, daß sie zerstreut werden? und dennoch sagen sie „bevor wir zerstreut werden“. 121 Allein das (dem Menschen) innewohnende Gewissen züchtigt und quält[3] auch diejenigen, die dem gottlosen Treiben ganz obliegen, sodaß sie gegen ihren eigenen Willen dahin gebracht werden, zuzugeben, daß eine höhere Wesensart um alles menschliche (Geschick) Sorge trage und daß eine unbestechliche, strafende Gerechtigkeit wache, welche die ungerechten Taten und deren Helfer, die Worte haßt. [25] 122 Diese alle sind aber die Nachkommen der immer sterbenden und nie gestorbenen Schlechtigkeit, deren Namen Kain ist.[4] Oder tritt nicht Kain als solcher auf, der einen Sohn erzeugt, den er Enoch nannte, und eine diesem gleichnamige Stadt gründete (1 Mos. 4, 17), also gewissermaßen das Gewordene und Sterbliche zum Verderben derer, die an der göttlichen Ordnung teil haben.


  1. Die LXX liest לפני‎, daher πρίν; der MT hat פןdamit nicht. Jedoch fügt auch Midrasch Tanchuma z. St. zu den Worten „damit wir nicht verstreut werden“ die Bemerkung hinzu, daß der Bösewicht das ihm drohende Unheil voraussehe.
  2. Das ist nach dem fgd. kein Vorwurf gegen die Sünder, sondern die Hervorhebung einer Schwierigkeit.
  3. Zum Gedanken vgl. Über die Nachkommen Kains § 59 u. Anm.
  4. Die Schlechtigkeit ist das sterbende Leben (vgl. oben § 79). Sie ist aber zugleich das unsterbliche Übel (Über die Nachstellungen § 178); deshalb wird vom Tode Kains in der Bibel nichts gesagt (ebd.). Kain ist ein Symbol der selbstgefälligen Ansicht (φιλαυτία), die dem menschlichen Geiste alles zuschreibt. Denn Kain bedeutet „Besitz“ (קנה ‎= besitzen), da der Selbstgefällige alles zu besitzen glaubt. Vgl. Über die Geburt Abels § 2 und Anm.
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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/034&oldid=- (Version vom 1.8.2018)