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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

haltlosen Fleißes als schlammigen Lehm bloßstellt. 104 Denn wäre der Lehm zum Harz geworden, dann könnte vollends das im ewigen Fluß befindliche,[1] erdhafte Sinnliche eine feste, unabänderliche Kraft erlangen; da aber das Gegenteil (eintritt), das Harz in Lehm sich verwandelt, darf man nicht den Mut verlieren: denn Hoffnung, (ja) Hoffnung (ist alsdann vorhanden), daß die starken Festungen der Schlechtigkeit durch Gottes Macht zerstört werden. 105 Und darum wird auch der Gerechte,[2] da er im großen, gewaltigen Untergang der Lebewesen es noch nicht vermag, mit der bloßen Seele ohne Hilfe der Wahrnehmung das wahrhafte Sein zu schauen,[3] „die Arche“, ich meine den Körper,[4] „inwendig und auswendig mit Erdharz“ streichen (1 Mos. 6, 14), indem er den durch ihn (zustandekommenden) Vorstellungen und Handlungen einen Halt verleiht.[5] Als aber die Schlechtigkeit nachläßt und der Sturm sich legt, geht er hinaus, um mit Hilfe der körperlosen Vernunft die Wahrheit zu erfassen.[6] 106 Denn als die von Anfang an edel geborene und genannte Sinnesart, mit Namen Moses, der als Weltbürger in der Welt wie in seiner Vaterstadt wohnt, in dem wie mit „Harzpech“ (2 Mos. 2, 3) bestrichenen Körper gebunden lag, der die Vorstellungen sämtlicher [421 M.] sinnlicher Dinge untrüglich[7] aufgenommen und erfaßt zu haben glaubt, da beweint er (2 Mos. 2, 6) unter dem Drange der Liebe zur körperlosen Natur[8] das Gebundensein, und ebenso beweint er den irrigen, verblendeten, elenden Sinn der Menge, der unter dem Einfluß der falschen Meinung der Ansicht ist, daß er etwas Festes und Untrügliches, oder daß überhaupt ein Geschaffener etwas Unwandelbares besitzt; während doch das Feststehende und sich immer Gleichbleibende nur bei Gott ist.


  1. Ph. denkt an das heraklitische πάντα ῥεῖ.
  2. Der Gerechte = Noah; Ph. deutet den Namen Noah unrichtig als gerecht. Vgl. Anm. zu Alleg. Erkl. III § 77 u. zu Über die Landwirtschaft§ 2.
  3. Noah gehört bei Ph. zu den Fortschreitenden, die die Vollkommenheit, die Bedingung für die Gottesschau noch nicht erreicht haben.
  4. Zur alleg. Deutung der Arche als Körper s. Über die Nachstellungen § 170; Über die Pflanzung Noahs § 43; Quaest. in Gen. II § 1ff.
  5. Wieder ist „Asphalt“ das Untrügliche.
  6. Statt χρησάμενος ist wohl χρησόμενος zu lesen. Denn er wird jetzt dauernd die Vernunft gebrauchen, was er vorher „noch nicht“ (μήπω) konnte. I. H.
  7. Wieder etymologisch.
  8. Physis nennt Ph. nach stoischem Muster die göttliche Vorsehung, die Gottheit.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/030&oldid=- (Version vom 1.8.2018)