Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein | |
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nach der Tat hören werden, damit sie das Getane beurteilen, ob es mit den göttlichen Gedanken und den heiligen Lehren übereinstimmt.
[14] 60 Von denen, die sich zu Freveltaten verschworen haben, heißt es: „sie zogen vom Aufgange (der Sonne) her und fanden eine Ebene im Lande Senaar und ließen sich daselbst nieder“ (1 Mos. 11, 2), ganz der physischen Methode entsprechend.[1] Es gibt nämlich eine doppelte Art von seelischem Aufgehen,[2] eine bessere und eine schlechtere; eine bessere, wenn das Licht der Tugenden wie die Strahlen der Sonne hervorbricht, – eine schlechtere, wenn diese verdunkelt werden, die Untugenden aber zum Vorschein kommen. 61 Ein Beispiel für das erstere ist folgendes: „Und es pflanzte Gott einen Garten in Eden nach dem Aufgang (der Sonne) zu“ (1 Mos. 2, 8),[3] nicht (einen Garten) irdischer Pflanzen, sondern himmlischer Tugenden, die der Pflanzer[4] aus dem bei ihm befindlichen unkörperlichen Lichte, für ewig unauslöschlich, hervorkommen ließ.[5] 62 Jedoch vernahm ich auch folgenden Offenbarungsspruch, der von einem der Genossen des Moses[6] ausgesprochen wurde: „Siehe, ein Mann, Aufgang[7] ist sein Name“ (Zach. 6, 12), eine ganz sonderbare Benennung, wenn du eben annehmen würdest, es sei von einem Menschen die Rede, der aus Körper und Seele besteht; wenn aber von jenem körperlosen Menschen (die Rede ist),[8] der nichts anderes ist als das göttliche Ebenbild, so wirst
- ↑ Wörtlich: „sehr physisch“, wobei man unter „physisch“ die philosophisch-allegorische Deutungsweise zu verstehen hat. Vgl. Anm. zu Über die Nachkommen Kains § 7 und 60.
- ↑ Das griech. ἐντολή bedeutet eigentlich nur „Aufgang“; wird aber hauptsächlich von Sonnenaufgang gebraucht. Ph. nimmt das Wort hier in seiner eigentlichen Bedeutung.
- ↑ Vgl. Alleg. Erkl. I § 43; Über d. Pflanzung Noahs § 32; besonders ebd. § 40. Κατ' ἀνατολάς kann (und soll wohl nach Philo) bedeuten in der Weise des Aufgangs; denn dieser besteht im Pflanzen der Tugenden.
- ↑ Ph. folgt in seiner Bezeichnung Gottes als Pflanzer Plato, der den Weltschöpfer auch φυτουργός, nennt. Vgl. Über die Pflanzung Noahs § 2 nebst Anm.
- ↑ Vgl. Alleg. Erkl. I § 46. Zur Etymologie von Eden vgl. De somn. II § 242.
- ↑ Vgl. oben § 39.
- ↑ צמח Spross wird im Griechischen ebenfalls durch ἐντολή wiedergegeben.
- ↑ Zur Bezeichnung des Logos als den himmlischen Menschen vgl. oben § 41 und Anm. Auch im folgenden haben wir die Attribute des Logos. Er ist das Ebenbild Gottes. (Über die Weltschöpfung § 25; Alleg. Erkl. I § 31; Über die Pflanzung Noahs § 18), der älteste Sohn (Der Erbe des Göttlichen § 205), der Erstgeborene (Über die Landwirtschaft § 51). Über die Rolle des Logos in der Weltschöpfung vgl. Alleg. Erkl. III § 95f.; J. Kroll S. 57ff.
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/020&oldid=- (Version vom 1.8.2018)