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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

den göttlichen Lehren festhaltend, wurde ich nicht müde, wenn ich auch beleidigt wurde,[1] sondern schalt gewaltig diejenigen unter ihnen, die mir fluchten.[2] 52 „Denn es setzte uns Gott in den Streit mit unseren Nachbarn“, wie es auch irgendwo in den Lobgesängen gesagt ist (Psalm 80, 7), uns alle, die nach rechter Einsicht Verlangen tragen. Oder sind sie nicht von Natur Streiter, die unabläßlich nach Wissen und Tugend eifrig streben, da sie sich doch den Nachbarn der Seele entschieden widersetzen, indem sie die Lüste rügen, mit denen sie unter einem Dache wohnen, rügen die Begierden, die Feigheit und die Furchtsamkeit, mit denen sie zusammen leben, beschämen die Schar der Leidenschaften und Laster, ja, sogar die ganze Sinnlichkeit rügen, die Augen wegen des Gesehenen, das Gehör wegen des Gehörten, den Geruch der Düfte wegen und den Geschmack wegen der Säfte, sowie den Tastsinn infolge jener körperlichen Kräfte, die die Akzidenzen hervorrufen,[3] und allerdings den ausgesprochenen Gedanken (das Wort) um dessentwillen, was er gründlich dargetan zu haben [413 M.] schien? 53 Denn recht ist es, sorgfältig zu forschen, was, wie und wodurch die Wahrnehmung wahrnahm, das Wort erklärte und der Affekt einwirkte, und alles Unrichtige aufzudecken. 54 Wer aber keinem von ihnen widersprechen will und allen insgesamt beipflichtet, der merkt es nicht, daß er sich selbst betrügt, und daß er mächtige Nachbarn gegen seine Seele sich verschanzen läßt, die zu Untergebenen zu haben besser ist als zu Vorgesetzten. Denn als Führer werden sie viele große Übel verursachen wegen der bei ihnen herrschenden Unvernunft, dagegen als Untergeordnete gehorsam das Notwendige leisten und nicht mehr das Joch abzuschütteln suchen. 55 Wenn so die einen gelernt haben zu gehorchen, und die anderen die Herrschaft führen nicht nur mit Einsicht, sondern auch mit Kraft, werden sämtliche Trabanten und Vorkämpfer der Seele, die Gedanken, übereinstimmen[4] und vor den Ältesten unter ihnen[5] tretend sagen: „Deine


  1. Statt οὖτε ist wohl nach dem Bibelverse οὐδέ zu lesen.
  2. Mit Mangey lese ich: τοῖς ἐξ αὐτῶν μοι καταρωμένοις.
  3. Ein sehr gekünstelter Ausdruck. Wörtlich: infolge der körperlichen Kräfte der hinzukommenden Eigenschaften. Die verschiedenen Konjekturen beheben nicht ganz die Schwierigkeit. Welche Eigenschaften hier gemeint sind, dazu vgl. Über die Pflanzung Noahs § 133.
  4. Mit Wendland ist wohl συμφωνήσουσι zu lesen.
  5. Aron wird bei Philo als der auf das Erhabene gerichtete Gedanke (μετέωρα καὶ ὑψηλὰ φρονῶν λογισμός) Über die Trunkenheit (§ 128) gedeutet. Er ist daher der älteste unter den Gedanken.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/017&oldid=- (Version vom 1.8.2018)