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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

mordet meuchlerisch, tötet öffentlich, wenn man stärker ist. 48 Da nämlich jeder von ihnen sich Reichtum oder Ruhm zum Ziele gesetzt hat und sämtliche Handlungen im Leben wie Geschosse auf dies Ziel richtet, mißachtet er die Gleichheit,[1] strebt nach Ungleichheit, lehnt die Gemeinschaft[2] ab, sucht allein das ganze Gut aller zu besitzen, ist ein Menschenhasser und menschenverhaßt, heuchelt Wohlwollen, ist Freund der falschen Schmeichelei, Gegner der aufrichtigen Freundschaft, Feind der Wahrheit, Verfechter der Lüge, saumselig zu helfen, rasch zu schaden, geneigt zu verleumden, zaudernd Beistand zu leisten, tüchtig zu betrügen, meineidig, treulos, Sklave des Zornes, der Lust erliegend, Beschützer der Laster, Verderber der Tugend. [13] 49 Das und ähnlicher Art sind des gepriesenen und bewunderten Friedens vielersehnte Güter, deren Bild die Seele eines jeden Vernunftlosen in sich trägt, verehrt und anbetet. Über sie gerät auch billigerweise ein jeder Weise in Aufregung, und er pflegt seiner Mutter und Pflegerin,[3] der Wahrheit, zuzurufen: „O Mutter, wie stark hast du mich geboren“, nicht bezüglich der körperlichen Stärke, sondern der Zähigkeit im Hasse wider das Böse. „Einen Menschen des Grolles und des Streites“, der zwar von Natur friedfertig ist, aber eben infolgedessen solchen feindlich gesinnt ist, die die vielbegehrte Schönheit des Friedens beschmutzen. 50  „Weder war ich (ihnen) etwas schuldig, noch waren sie mir schuldig“, denn weder machten sie irgendwann Gebrauch von meinen Gütern, noch ich von ihren Lastern, sondern (es geschah) nach der Schrift Moses „ich nahm nichts von jemand unter ihnen Begehrtes“ (4 Mos. 16, 15):[4] die[5] sämtliche Gegenstände der Begierde[6] – das denkbar Schädlichste – als höchst nützliche Dinge bei sich aufspeicherten. 51 „Und nicht versagte meine Kraft ob der Flüche, die sie gegen mich schleuderten“: mit aller Kraft an


  1. Die Gleichheit ist Mutter der Gerechtigkeit: Über die Einzelges. IV § 231.
  2. Den Glauben an die Zusammengehörigkeit aller Menschen (Cic. Off. I 153 u. ö.).
  3. Die göttliche Weisheit, die fast durchgehends dem göttlichen Logos von Philo gleichgestellt wird (vgl. Bréhier S. 116), wird auch Über die Nachstellungen § 115 als Mutter und Pflegerin der nach der wahren Tugend Strebenden bezeichnet.
  4. Die LXX liest לא חמוד אחד מהם נשאתי‎ (חמוד ‎statt חמור‎) = ein Begehrtes, Gewünschtes.
  5. Auf das vorherg. unter ihnen zu beziehen. Mangey scheint den syntaktischen Zusammenhang nicht erkannt zu haben.
  6. Wörtlich: das ganze Wesen ihrer Begierde.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/016&oldid=- (Version vom 1.8.2018)