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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

und sehr strenges gegen die, welche die Auflösung der Bündnisse anstreben und unabläßlich die beeidigten Verträge zu verletzen pflegen. Es ist nämlich so, daß die Friedfertigen von Natur in feindlicher Stellung verharren[1] zu denen, die das Gleichgewicht der Seele erschüttern. [12] 44 Für meine Ansicht zeugt erstens die so beschaffene Gesinnung eines jeden Tugendfreundes, zweitens auch der Führer des prophetischen Chors,[2] der in göttlicher Begeisterung ausrief „O Mutter, wie stark hast du mich geboren,[3] einen Menschen des Kampfes und einen Menschen des Grolles wider die ganze Erde! Weder war ich (ihnen) etwas schuldig, noch waren sie mir schuldig, und nicht versagte meine Kraft ob ihrer Flüche“ (Jer. 15, 10).[4] 45 Oder ist nicht jeder Weise ein unversöhnlicher Feind aller Schlechten, der freilich zum Verteidigungskampf weder Dreiruderer noch Kriegsmaschinen noch Waffen noch ein aufgebotenes Heer gebraucht, sondern Vernunftgründe? 46 Denn wer inmitten des Burgfriedens[5] den dauernden ununterbrochenen Kampf aller Menschen gegeneinander sieht, den persönlichen wie den politischen, der nicht nur zwischen Völkern, Ländern, Städten und Dörfern, sondern auch zwischen einzelnen Häusern und einzelnen Menschen geführt wird, würde er denn hier nicht Tag und Nacht mahnen, schelten, zurechtweisen, zur Besinnung rufen,[6] da seine Seele infolge des natürlichen Hasses wider das Böse keine Ruhe finden kann? 47 Denn alle Kriegstaten geschehen im Frieden: man plündert, raubt, entführt in die Gefangenschaft, macht Beute, [412 M.] zerstört, mißhandelt, verstümmelt, schändet, schneidet die Ehre ab,

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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/015&oldid=- (Version vom 1.8.2018)
  1. Wörtlich: sie liegen und stehen feindlich gegenüber.
  2. Philo ist schwärmerischer Verehrer des Propheten Jeremias. Vgl. Über die Cherubim § 49.
  3. So muß man nach § 49 hier übersetzen.
  4. Philo zitiert nicht genau. Nach der LXX, die wiederum von dem MT abweicht, soll es heißen: O wehe mir, Mutter אם‎, wie hast du mich geboren ( מי, מי ילדתני ‎= was für einen), einen rechtenden und streitenden Mann איש ריב ומדון ‎auf (-ב‎) der ganzen Erde, weder war ich (ihnen) etwas schuldig, noch waren sie mir schuldig. Meine Kraft versagte (keine Negation!) unter denen, die mir fluchen כחי כלה במקללי‎.
  5. Wörtlich des kriegslosen Friedens; ἀπόλεμος und das folgende πόλεμος bilden ein Wortspiel: ἀπόλεμος πόλεμος. Zum folgenden vgl. Leisegang, Berl. phil. Wochenschrift 1927, 1178.
  6. Παραινῶν – σωφρονίζων Ausdrücke, die in der griechischen Wanderpredigt (Diatribe) oft wiederkehren.