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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

heranbrausen. Denn es heißt: „siehe, der König von Ägypten kommt an das Wasser. Du aber stehe ihm entgegentretend am Strande des Flusses“ (2 Mos. 7, 15.)[1] 30 Der Böse begibt sich somit zum Quell der Laster und sämtlicher Leidenschaften,[2] die dem Wasser ähnlich sind; der Weise aber erwirbt sich vorerst den Preis von dem ewig stehenden Gott,[3] der seinem unbeweglichen und ewig unwandelbaren Wesen entspricht. Denn es heißt: „Du aber stelle dich neben mich selbst“ (5 Mos. 5, 31);[4] damit er den Zweifel und das Schwanken, die Beschaffenheiten einer haltlosen Seele, ablege und die feste und stete seelische Verfassung, den Glauben, annehme.[5] Daraufhin „kommt er stehend entgegen“, was ganz sonderbar ist. Denn (es heißt) „stehe entgegentretend“.[6] Das Entgegentreten erscheint ja in der Bewegung, das Stehen aber in der Ruhe. 32 In diesen Worten liegt aber kein Widerspruch, sondern es entspricht durchaus der Natur der Sache. Denn sofern die Vernunft einen Halt besitzt und unumstößlich gefestigt ist, stellt sie sich jenen allen entgegen, die am Wanken und Schwanken Freude haben und durch künstlich hervorgerufenen Sturm denjenigen zu erregen suchen, der die Ruhe zu bewahren vermag. [10] 33 Jedoch sehr richtig heißt es, daß [410 M.] das Entgegentreten am Rande des Flusses stattfindet. Denn der Rand[7] ist die Außengrenze des Mundes und sozusagen ein Zaun der


  1. Vgl. De somn, II § 303ff.
  2. Ägypten ist bei Philo ein Symbol der Sinnlichkeit; König von Ägypten ist der νοῦς φιλοσώματος, der am Sinnlichen haftende menschliche Geist; zur Auffassung des Wassers als Symbols der Affekte vgl. Über die Einzelges. II § 147 u. ö.
  3. Dazu, sowie zu den weiteren Ausführungen über die Bedeutung des Stehens vgl. Über die Nachkommen Kains § 22ff.
  4. Vgl. Über die Geburt Abels § 8; Über die Nachkommen Kains § 28; Über die Riesen § 49; Über die Unveränderlichkeit Gottes § 23; De somn. II § 227. – Zur Übersetzung von αὐτοῦ στῆθι vgl. Anm. zu Über die Riesen § 49.
  5. Der Glaube wird Über die Tugenden § 216 als die sicherste Tugend geschildert.
  6. Die LXX übersetzt 2 Mos. 7, 15, ונצבת לקראתו‎ durch στήσῃ ὑπαντῶν. Ph. preßt das Wort ὑπαντῶν, das nichts mehr als das hebr. לקראתו ihm gegenüber wiedergeben will.
  7. Die LXX übersetzt das hebr. (היאר‎) שפת‎, das Lippe und Strand bedeuten kann, mit χεῖλος, welches eigentlich Lippe heißt, aber auch für Strand verwendet werden kann. Vgl. Herodot 2, 94: παρὰ τὰ χείλεα τῶν τε ποταμῶν καὶ τῶν λιμένων. Ph. nimmt das Wort hier in seiner ursprünglichen Bedeutung.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/012&oldid=- (Version vom 1.8.2018)