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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

Denn er sagt: „Und es war die ganze Erde eine Sprache, und einerlei Rede hatten alle. Und es geschah, als sie vom Aufgang der Sonne herzogen, da fanden sie eine Ebene im Lande Senear und ließen sich daselbst nieder. Und sie sprachen einer zum anderen: Wohlan, wir wollen Ziegel machen und im Feuer sie brennen. Und es war ihnen der Ziegel zum Stein und das Erdharz zum Lehm. Und sie sprachen: Wohlan, wir wollen uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und wollen uns einen Namen machen, bevor wir über die Fläche der ganzen Erde zerstreut werden. Da stieg der Herr herab, um zu sehen die Stadt und den Turm, den die Menschenkinder bauten. Und der Herr sprach: Siehe, ein Volk ist es und eine Sprache haben sie alle, und dies begannen sie zu tun, und nun werden sie nichts verfehlen, was zu tun sie sich aufmachen. Wohlan, wir wollen herabsteigen und daselbst ihre Sprache verwirren, damit sie nicht verstehen einer die Sprache des anderen. Und der Herr zerstreute sie von dort über die Fläche der ganzen Erde, und sie hörten auf, die Stadt und den Turm zu bauen. Darum nannte man ihren Namen Verwirrung (Babel), denn daselbst verwirrte der Herr die Sprachen der ganzen Erde, und von dort zerstreute sie der Herr über die Fläche der ganzen Erde“ (1 Mos. 11, 1–9). 2 [405 M.] [2] Diejenigen, die Unwillen gegen die väterliche Verfassung[1] bekunden und unablässig Tadel und Klage gegen die Gesetze im Munde führen, finden – die Verworfenen – in dieser Stelle, wie in anderen ähnlichen, einen Anlaß zu ihrem gottlosen Treiben, indem sie sagen: Wollt ihr noch jetzt mit Ehrfurcht von den Satzungen sprechen, als hätten sie zur Richtschuur die Wahrheit selbst? 3 Seht, die von euch als heilig bezeichneten Bücher enthalten Fabeln, über dergleichen ihr euch lustig zu machen pflegt, wenn ihr sie von anderen hört.[2] Jedoch wozu – wie im müßigen Suchen nach verleumderischen Einwänden – Fabeln sammeln, die an verschiedenen Stellen der Gesetzgebung zerstreut sind, und nicht vielmehr nur das erwähnen, was man gleich zur Hand hat?[3] 4 Eine[4] Fabel, die der (hier)


  1. Πολιτεία bedeutet hier, wie oft bei Philo (und Augustin) die gesamte Lebensordnung, daher die Thora, welche diese Ordnung vorschreibt.
  2. Über Philos Stellung zu den heidnischen Mythen vgl. Anm. zu Über die Nachkommen Kains § 2.
  3. Fortführung des gegnerischen Einwands. „Wir könnten viele Beispiele bringen; aber wir haben nicht nötig zu suchen; dies eine genügt.“
  4. Εἵς ist (abweichend von Mangeys Übers.) als Gegensatz zu ἕτερος § 6 zu erklären.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/004&oldid=- (Version vom 1.8.2018)