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sind erst beruhigt, wenn Mutter die Pfeife stopft und einen extra guten Kaffee zum Nachtisch kocht. Da schwellen die Adern ab, die Nachtmütze beruhigt sich. Die Jüngste bringt ein blaues Schreibheft von Vaters Schreibtisch, die Älteste Tinte und Gänsekiel. Und, bewacht und betraut von den Seinen, beginnt Vater zu dichten. Der Bedeutendste von ihnen ist Ludwig Uhland (1787–1862). Er ist in Tübingen geboren, und der Geist dieser kleinen Wald- und Universitätsstadt war der seine. Ernste Wissenschaftlichkeit in den grauen Hörsälen, das heitere Spiel der Wolken und Winde über den bebäumten und wiesengrünen Hügeln. Und wie in den Gasthäusern der Dörfer rings um die Studentenstadt die Rappiere der schlagenden Verbindungen klirrten, so stand auch Ludwig Uhland ewig auf der Mensur für „das gute alte Recht“ des Volkes, für Deutschtum und Demokratie gegen die kleinliche Tyrannei der kleinen Fürsten. Er wurde 1848 als Vertreter der demokratisch-großdeutschen Fraktion in das Frankfurter Parlament gewählt, nachdem er schon 1833 seine Tübinger Professur für deutsche Literatur wegen politischer Differenzen mit der württembergischen Regierung niedergelegt hatte. Seine eigentliche poetische Produktion fällt nur in die erste Hälfte seines Lebens. Da sang er jene schönen Lieder, die längst in den Volksmund übergegangen sind: „Ich hatt’ einen Kameraden“ und Balladen wie „Das Glück von Edenhall“. Als Balladendichter ist neben Uhland der Schlesier Moritz Graf Strachwitz (1822 bis 1847) zu nennen, der mit Günther, Büchner, Hauff zu jener edlen Reihe jung verstorbener deutscher Dichterjünglinge gehört, die der besonderen schwärmerischen Liebe ihres Volkes immer gewiß sein werden. Die Balladen nach der komischen Seite hin bearbeitete in lustigen gereimten Schwänken der weinselige August Kopisch (1799–1853), dessen „Heinzelmännchen“ wir als Kinder mit brennenden Augen, dessen „Historie von Noah“ wir als Studenten mit weinfeuchten Augen lasen.

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_067.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)