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hatte (derartige Differenzen gingen ersichtlich über seinen eng begrenzten Horizont), war achselzuckend und abwartend zur Seite und zu mir getreten. Borkiewicz blieb noch immer glatt, aber seine Worte hatten schon eine entschieden höhnische Färbung, als er erwiderte:

„Erlauben Sie, Herr v. Blenkheim, ich bin nicht getäuscht worden, denn alles, was ich weiß, beruht auf eigner Wahrnehmung, ich könnte also höchstens unrichtig kombinirt haben und durch den Schein getäuscht worden sein, in welchem Falle ich meine Worte selbstverständlich mit dem größten Vergnügen zurücknähme. Ich weiß, daß Sie mit einer Dame häufig und vertraulich verkehren, und ich kann nur annehmen, daß dieselbe –“

Curt war bis in die Lippen, ja bis in die Ohrläppchen kalkweiß geworden und dann schoß ihm plötzlich wieder alles Blut ins Gesicht und mit fast heiserer Stimme stieß er, als müsse er um jeden Preis verhindern, daß sein Gegner weiter spreche, die Frage heraus:

„Den Namen! – wen meinen Sie?“

„Aber, mein Gott, Herr v. Blenkheim, welche unbegreifliche Aufregung! Sollten Sie wirklich geglaubt haben, aller Welt verheimlichen zu können, daß Fräulein Leontine –“

„Halt! – nicht weiter!“ arbeitete es sich mühsam aus Curts wie zugeschnürter Kehle; seine eine Hand suchte an der nächsten Stuhllehne eine Stütze und mit der anderen fuhr er sich über die Augen. „Es ist genug,“ setzte er dann hinzu, „genug und übergenug! Die Dame, von der Sie sprechen, ist nicht meine Maitresse, aber sie ist meine Geliebte, oder meine Braut, wenn das deutlicher ist, und Sie werden eine künftige Frau v. Blenkheim hoffentlich mit Ihren Vermuthungen verschonen und in aller Form zurücknehmen, was Sie gesagt. Wenn Sie übrigens nur ein einziges mal mit ihr gesprochen hätten, würden Sie wissen, daß in diesen Vermuthungen eine Infamie liegt – ist denn nichts auf Erden so rein, daß es euch Ehrerbietung einflößte, und daß es vor euch sicher wäre?“

Borkiewicz sah Curt anfänglich an, als wisse er nicht, ob er wache oder träume, aber allmählich trat ein förmlich ätzendes Lächeln auf seine Lippen und mit ironischer, jede Silbe vergiftender Höflichkeit sagte er:

„Sie gestatten mir wohl, zunächst aufs höchste erstaunt zu sein. Daß ich offiziell und pro forma jedes Wort zurücknehme, welches ich über Ihre – zukünftige Gemahlin geäußert, ist wohl selbstverständlich, privat aber und unter vier Augen, Herr Kamerad, würde ich Ihnen doch rathen, sich die – Verlobung und Verheiratung noch einige male zu überlegen; ich würde es vielleicht auch für meine Pflicht halten, Ihnen einige kleine Notizen über die – Dame zu geben und Sie über Punkte in ihrer Vergangenheit aufzuklären, die sie durchaus nicht weniger geeignet zu Ihrer Geliebten machen, aber doch ein kleines Hinderniß für eine – Verheiratung bilden würden.“

Ich war zusammengezuckt, Curt aber, bleich und kalt, wie eine Statue, fragte, seinen Blick fest auf den Polen richtend, als wolle er sein Auge in das des Gegners bohren:

„Sie kennen die Dame also – kennen sie sie näher?“

Ich werde die hämische Betonung nicht vergessen, mit der es gedämpft zurückklang:

„Sicherlich – so nahe als möglich –“

Der Herr Kamerad hatte sicherlich noch eine besondere Bosheit in petto, aber Curt schnitt ihm rasch und schroff das Wort ab, indem er mit schier unnatürlicher Ruhe sagte:

„Und Sie überlassen es mir, Ihren Worten jede mir beliebende Deutung zu geben, auch die – weitestgehende?“

„Sie haben zu viel Geist, Herr v. Blenkheim, als daß man Ihnen gegenüber nicht mit Andeutungen vollständig auskäme, es ist doch zuweilen unangenehm, die Dinge beim Namen zu nennen und das kann man sich Ihnen gegenüber sparen.“

„Ich bin in der That befriedigt – Sie sind vollkommen klar gewesen. Linsingen!“

Das klang so laut und hell durch den Saal, wie ein Kommandoruf zum Angriff und der Gerufene löste sich sofort aus einer ihn umgebenden Gruppe los und kam überrascht und fragend auf Curt zu, während alle Anwesenden ihre Aufmerksamkeit auf uns, vor allem aber auf den herkulischen schwarzen Sarmaten und den ihm gegenüber fast klein und zart erscheinenden blonden Hannoveraner richteten, dessen tödliche Blässe jeden erschreckte. Aber es blieb keine Zeit zu Fragen; kalt und scharf, aber langsam und in jeder Silbe betont, klang es durch die erwartungsvolle, fast bestürzte Stille:

„Es thut mir leid, Linsingen, daß ich bei dir und noch dazu in dieser Stunde eine Erklärung abgeben muß, die sehr ungewöhnlich sein dürfte, aber ich muß gehen, denn ein Mann von Ehre kann mit dem Herrn da nicht an einem Tische sitzen.“

„Herr von Blenkheim!“ brauste Borkiewicz, nun selber erbleichend auf, und von allen Seiten rief man auf die beiden ein, die sich mit einem Blick tödtlichen Hasses maßen.

„Ja, Herr v. Borkiewicz,“ sagte Curt kalt, „Sie sind ein Schuft, ein ehrloser, feiger, verlogener Schuft. Das weitere überlasse ich Ihnen! Addio Linsingen – es thut mir leid, aber er hat mich dazu gezwungen. Kommen Sie, Herr Reinisch – wir haben hier nichts mehr zu suchen.“

Ich hörte noch, wie Borkiewicz, dem man in den Weg getreten war, als er sich in wilder Wuth auf Curt stürzen wollte, kreischte:

„Das soll er mir bezahlen! Er oder ich!“ und dann war ich mit meinem jungen Freund auf der Treppe und er – klopfte mir mit einem wilden, grimmigen Lächeln auf die Schulter und sagte:

„Nun, Reinisch, sind Sie denn auch so verblüfft und so sprachlos vor Staunen, wie die da oben, die nun wohl eine Stunde lang wirr durcheinanderschreien und gestikuliren werden? Hab’ ich’s denn nicht recht gemacht und konnte ich denn anders? Sehen Sie, so hat es kommen müssen, ich fühlte das, und jetzt ist mir wohl und leicht und frei. Glauben Sie, meine Hand würde nur einen Moment zittern, wenn wir uns jetzt mit der Waffe in der Hand gegenüberstünden? Ich schösse ihn jetzt ebenso sicher über den Haufen, wie ich es in ein paar Tagen thun werde!“

Ich will’s nicht verhehlen, daß ich wie betäubt war – die Explosion war eine so jähe gewesen und der grimmige Humor, mit dem Curt vor sich hin lachte, der Leichtsinn, mit dem er dem unvermeidlichen Duell entgegenging, war mir an ihm so unheimlich, daß ich nur seine Hand fassen und sie krampfhaft drücken konnte. Er sah mich überrascht an und meinte begütigend:

„Sie fürchten doch nicht für mich? Ah bah – das wäre recht unnöthig. Der hat ein schlechtes Gewissen, der ist, wenn er der fatalen kleinen schwarzen Mündung gegenübersteht, aufgeregt, und Ruhe und kaltes Blut sind alles. Und mir ist, als müßte ich doppelt gut schießen, als sei ich der Arm, durch den ein gerechter Urtheilsspruch endlich einmal vollstreckt werden soll. Oder – meinen sie doch vielleicht, er habe nicht gelogen, infam gelogen? Leontine seine Maitresse! sie hätte sich eher zehnmal getödtet, als auch nur seine Lippen auf ihrer Hand geduldet. Ich habe ihm noch keinen Augenblick getraut, aber als er den hämischen, giftig-höflichen Ton anschlug, da wußte ich, daß er log, aus Rachsucht und Bosheit log. Morgen werde ich von Leontine hören, ob sie ihn überhaupt kennt – das kann ja sein; dann sage ich Ihnen, wie viel wahres an seinen höhnischen Andeutungen ist. Leontine selber erfährt von der ganzen Geschichte nicht früher etwas, als bis alles vorbei ist – und vielleicht selbst dann noch nicht; sie braucht ja gerade nicht zu wissen, daß ein Mann, der es gewagt, ihren Ruf und ihre Ehre anzutasten, von mir dafür gezüchtigt worden ist, wie es meine Pflicht war. Und nun thun Sie mir die Liebe und lassen Sie mich allein – ich will noch eine Stunde gehen und morgen sollen Sie mich ganz ruhig und gelassen finden, so gelassen, daß Sie Ihre Freude an mir haben sollen. Und keine Sorge, keine düstern Gedanken – ja?“

Das hieß nun freilich mehr verlangen, als ich versprechen konnte, ich war ernstlich in Sorge, ich war weit entfernt, Curts fatalistische Zuversicht zu theilen, und so drückte ich ihm denn nur in schlecht verhehlter Bewegung schweigend die Hand und überließ es ihm, das Vorgefallene auf einsamem Gange zu überdenken und sich auf das Kommende vorzubereiten. Daß Borkiewicz nicht die Wahrheit gesprochen, davon war auch ich moralisch überzeugt, aber ich vermochte doch nicht, gleich Curt, alles für aus den Fingerspitzen gesogen anzusehen, und Aufregung, Sorge, Reue und Aerger darüber, daß wir der unglückseligen Einladung gefolgt waren, Zweifel und düstre Ahnungen bezüglich des Ausgangs ließen mich früher die Augen schließen, als bis die Morgensonne in die Fenster schien und die Spatzen in den Dachrinnen lärmten, da erst schlossen sich die schweren, brennenden Lider und ich verfiel in einen von wüsten Träumen beunruhigten Schlummer. Was die nächsten Tage geschah und wie alles endete, davon das nächste mal, bei Born – es würde heute entschieden zu viel werden, und ich will mich nicht gerade heiser

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_48_47.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)