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Und lachend brach man nach dem Café auf, welches auch als Rendez-vous für den Montag Abend bestimmt ward; man beschloß, sich unter Wendts Führung gemeinschaftlich nach der Wohnung seiner Russin zu begeben.

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Nur die Verleumdung eines boshaften Spötters könnte behaupten, daß sich an dem Abend, welcher unsere jungen Literaturfreunde mit Wendts blonder Löwin von den Gestaden des Schwarzen Meeres bekannt machen sollte, eine besondere Sorgfalt für die Toilette anders, als in ganz schüchternen Versuchen gezeigt hätte; man sah bei Born statt eines einfachen gefältelten ein gesticktes Oberhemd, Lindner hatte seine Hände in Glacés gezwängt und vertheidigte dieses Streben nach Eleganz damit, daß einzelne Chemikalien sich der Haut so tief und unausrottbar einfräßen, daß sie auch mit den stärksten Mitteln nur nach und nach entfernt werden könnten, auf Arvenbergs Kopf thronte – eine seltene Erscheinung – ein spiegelblanker Cylinder, aber er betheuerte, daß er denselben nur nothgedrungen aufgesetzt habe, da sein Filzhut in die Wäsche gemußt, und in diesen Kleinigkeiten erschöpfte sich das Trachten nach „Feinheit“. Dagegen muß der gewissenhafte Chronist die Thatsache verzeichnen, daß man sich allseitig einer ungewohnten Pünktlichkeit befleißigt hatte, und selbst Reinisch, der eine Taschenuhr besaß, sich jedoch darauf steifte, dieselbe nie aufzuziehen, verspätete sich nur unbedeutend. Für ihn hatte das ganze Unternehmen einen starken Beigeschmack von unfreiwilliger Komik; er musterte seine jungen Freunde mit äußerst sarkastischer Miene, fühlte Wendt, der allerdings eine gewisse Aufregung nicht zu unterdrücken vermochte, den Puls, und zupfte Arvenberg spöttisch am Ohrläppchen – eine stumme Anklage, die der Philosoph nur durch ein Aufwerfen der Lippe und ein Achselzucken beantwortete.

Als man die breite Treppe eines eleganten Hauses in der stillsten, grünsten und aristokratischsten Gegend der innern Vorstadt emporstieg, machte Wendt in fast erschrockenem und zugleich ein wenig vorwurfsvollem Tone auf die Nothwendigkeit aufmerksam, die Cigarre wegzuwerfen; Born gehorchte nicht ohne ein unwillkürliches Bedauern – er hatte einen sehr respektablen Stummel zu opfern – aber er ließ sich von Wendt geduldig eine von den stark gewürzten versilberten Raucherpillen in den Mund stecken, die den Tabaksgeruch sofort wegnehmen. Es war ein feierlicher Moment, in welchem Wendt nach einem kurzen Zögern den Finger auf die elektrische Klingel legte, und es war ihm sichtlich unangenehm, daß er sich in geräuschvollerer Weise gemeldet hatte, als unbedingt erforderlich gewesen wäre und als sich mit seinem Streben nach lyrischer Zartheit vereinbaren ließ.

Das Stubenmädchen, welches öffnete, wurde von unserm warmblütigen Juristen mit einer verbindlichen Artigkeit begrüßt, die vielleicht nur theilweise ein Ausfluß seiner unbedingten Verehrung für ihre junge Herrin war; sein unparteilicher und gerechter Sinn erkannte auch die Vorzüge der Dienerin freudig an und er flüsterte Born auf dem Wege nach dem Salon im Ton der Bewunderung zu: „Nur wenn man selber klassisch schön ist, kann man es riskiren, einen so hübschen Besen zu halten!“

Er hatte nicht zu viel verheißen. Die nicht mehr in der allerersten Jugendblüthe stehende hochgewachsene, schlanke und doch volle Dame, welche zwischen den sich theilenden schweren grünen Portièren erschien, und die Herren mit einer graziösen Neigung des schönen Kopfs und einem bezaubernden Lächeln willkommen hieß, wurde auch von der frischesten und rosigsten Zofe nicht ausgestochen und konnte überhaupt Anspruch darauf erheben, in der zahlreichsten Gesellschaft sofort aufzufallen. Sie sprach das Deutsche mit einem leichten, fremdartigen Accent, sie sprach es auch nicht ohne kleine Stockungen, aber das machte sie nur um so interessanter, und wer mit ihr plauderte, fand diese kleinen Stockungen äußerst angenehm: sie setzten ihn in den Stand, mit dem gesuchten Worte auszuhelfen und dafür ein liebreizendes Lächeln als Belohnung einzustreichen.

Als unsere Freunde, aufs angenehmste überrascht, den Fuß auf die Teppiche des Salons setzten, in welchem der Kronleuchter nur eine diskrete Beleuchtung erzeugte, erhoben sich aus bequemen Fauteuils eine alte Dame und ein junger Mann und drückten, allerdings mit weit weniger Eifer, ihre Freude über diesen zahlreichen Besuch aus. Man konnte den Herrn recht wohl für den Bruder Amelpha Tatjanas halten, obwohl er kleiner und zarter war, schwarzes gekräuseltes Haar und ein schwarzes Schnurrbärtchen trug und aus großen schwarzen Augen recht abgespannt und melancholisch in die Welt sah; größere Mühe hatte man, zu glauben, daß diese alte Frau mit dem gleichgültigen, schlaffen, fast ein wenig ordinären Gesicht, die sich in ihrer eleganten Robe durchaus nicht allzu behaglich zu fühlen schien, die Mutter des stolzen, anmuthigen, lebensfrohen und eleganten Geschöpfs sein solle, das lächelnd neben ihr stand.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_42_30.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)