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Es war im Januar und bitter kalt; alle Wege und Stege weit und breit verschneit und das Vorwärtskommen theilweise recht schwierig. Ich habe nie eine besondere Vorliebe für das Marschiren um seiner selbst willen gehabt und mich viel mehr auf das bequeme ziellose Bummeln gelegt, das sich ja auch mit dem Suchen nach malerischen Motiven weit besser verträgt, diesmal aber hielt ich tapfer Schritt mit meinem jungen Freund, der die kalte klare Luft begierig einsog, als bedürfe er der Kühlung und der den Begriff Ermüdung gar nicht zu kennen schien. Der scharfe Ost hatte eine Röthe auf seine Wangen gezaubert, die ihm um so besser stand, als Haar und Schnurrbart wie gepudert aussahen, und als er sogar den Mantel aufknöpfte, da sah er wahrhaftig nicht aus, wie ein liebesiecher Schwärmer, den die schönen Augen irgend einer Grausamen um Schlummer und Appetit bringen.

Die zeitig einbrechende Dunkelheit setzte unserer Winterwanderung ein Ziel, und Curt, der bisher von allem nur Ersinnlichen geplaudert hatte, wurde stumm, als wir in der niedrigen, verräucherten Schenke eines weitab von der Straße gelegenen Dörfchens eingekehrt waren. Es herrschte ein eigenthümliches Helldunkel in diesem Zimmer, in den Ecken brütete die tiefste Finsterniß, die Lichter brannten wie durch einen Nebel und die paar Bauern, die um einen Tisch am andern Ende des Zimmers saßen und sich in geflüstertem Czechisch scheu aber eifrig unterhielten, wurden, je länger man nach ihnen hinsah, zu einer immer verworreneren und phantastischeren Gruppe.

Wir hatten unsere Gläser längst mit rothem Melniker gefüllt, als Curt, der bis dahin den Kopf in die Hand gestützt und sich nachdenklich und zaudernd die Unterlippe zernagt hatte, plötzlich mit unverkennbarer Selbstüberwindung begann:

„Sie haben mich gestern in einer schwachen Stunde überrumpelt, und sind so zartfühlend und rücksichtsvoll gewesen, Sich zu stellen, als hätten Sie nichts gesehen. Sie sollen mich aber auch nicht im stillen für einen thränenseligen Siegwart halten – es gibt wenig Dinge, die mir gleich fatal wären, wie der Gedanke, in einem solchen Verdacht zu stehen. Wüßten Sie allerdings, wie ich seit dem Ihnen bekannten Theaterabend die ganze Skala der Empfindungen auf- und abgejagt, wie ich ohne jeden Uebergang aus der heißen Zone des Gemüthslebens in die kalte gehetzt worden bin und umgekehrt, wie das innigste und stolzeste Glücksgefühl, die zuversichtlichste, sonnigste Hoffnung, der lähmende Zweifel, die ohnmächtige Verzweiflung und die unbändige Sehnsucht sich Tag für Tag und Stunde für Stunde mein Herz streitig gemacht und mich hin- und hergezerrt haben, Sie begriffen es, daß man zuletzt einmal nervös und matt wird und sich in seiner Hülflosigkeit Thränen abpressen läßt – nicht den linden Thau, der über rosige Mädchenwangen rieselt und den fließen zu lassen, mehr Genuß als Schmerz ist, sondern die salzigen Tropfen, die brennend über ein wettergebräuntes Gesicht laufen und von denen man denken möchte, daß sie unauslöschliche Furchen graben.“

Er sah düster in die trübe brennende Flamme der Kerze vor ihm und fuhr nach einer kurzen Pause fort:

„Es thut wenig zur Sache, wie alles gekommen ist und es würde auch eine zu lange Geschichte sein, ich will also nur skizziren. Die erste Annäherung an das Mädchen machte sich rasch und leicht, so rasch und so leicht, daß ich mir wohl sagen mußte, eine Kokette würde anders verfahren sein und sich mehr gesperrt und geziert haben. Es hat nur eines Briefs bedurft, allerdings nicht eines alltäglichen Briefs. Ich verstehe etwas von der Kunst, Briefe zu schreiben, und ich habe es mir angelegen sein lassen, nichts zu übersehen und nichts zu übereilen. Sie hätte eine Pessimistin vom reinsten Wasser sein müssen, um von dem einfachen, ehrlichen und achtungsvollen Ton meiner Worte nicht überzeugt zu werden; ich denke doch, es gibt noch eine Sprache, die wohl nachgeahmt, aber nie nachgemacht werden kann, eine Sprache, deren Echtheit oder Falschheit ein Frauenherz instinktiv herausfühlt, und in dieser Sprache habe ich zu ihr geredet. Ich habe den Brief ohne Zaudern und ohne Schwanken geschrieben und als ich ihn absandte, war es merkwürdig ruhig in mir – ich war so sicher, als hielt ich die zusagende Antwort bereits in der Hand. Ich wußte, ich hatte in der vollen Aufrichtigkeit meines Herzens ohne Falsch und ohne Hintergedanken geschrieben – war sie im Stande, dieser Sprache zu mißtrauen, so hätte ich sie bemitleiden müssen, zugleich aber die Ueberzeugung erlangt, daß sie zu den von Natur illusionslosen, nüchternen Frauen gehörte, oder zu denen, welche die Gesellschaft korrumpirt hat und denen keine Macht der Welt die Blüthe[WS 1] und den Duft der Seele zurückgeben kann; sie hätte dann keinen Reiz mehr für mich besessen und wäre am allerwenigsten mehr eine Gefahr für mich gewesen.

Sie hat mich verstanden – sie antwortete, daß sie lieber


  1. Vorlage: Blüte
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_41_25.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)